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Kinder impfen lassen? Acht Einwände im Ärzte-Check

Eltern sehen sich heute vielen gegensätzlichen Meinungen zum Thema Impfen ausgesetzt. Was davon wirklich stimmt - ein Überblick.

Von Stephanie Wesely
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Sind Impfungen reine Geldmacherei der Pharmaindustrie? Die vermeintlichen Riesenprofite sind bei Impfungen gar nicht zu erwarten, da sie nur wenige Male im Leben gegeben werden müssen.
Sind Impfungen reine Geldmacherei der Pharmaindustrie? Die vermeintlichen Riesenprofite sind bei Impfungen gar nicht zu erwarten, da sie nur wenige Male im Leben gegeben werden müssen. © Julian Stratenschulte/dpa

Die Frage „Impfen: Ja oder nein?“ wird immer hitziger diskutiert – vor allem natürlich wegen der Coronaimpfung, aber auch wegen der ab nächstem Jahr für alle geltenden Masernimpfpflicht. Viele Eltern sind generell verunsichert, ob bei einer Impfung der Gesundheitsschutz für ihr Kind oder ein möglicher Schaden überwiegt.

So ging es auch Dr. Daniel Tiefengraber. Er ist Facharzt für Allgemeinmedizin und hat sich auf Infektionserkrankungen und Immunisierung spezialisiert. Als er das erste Mal Vater wurde, hatte er trotz seiner medizinischen Ausbildung wenig praktische Erfahrung mit Impfungen, wie er sagt. Denn im normalen Krankenhausalltag und der Erwachsenenmedizin sei das Thema nur am Rande vorgekommen.

„Wir als hoffnungsvolle Jungeltern waren nun plötzlich mit ganz unterschiedlichen Meinungen und Ratschlägen zum Thema Impfen konfrontiert“, so der Arzt. Einige befreundete Kinderärzte leisteten sogar Zusatzzahlungen, um mehr Impfungen für ihre Sprösslinge zu bekommen. Andere Bekannte ließen ihre Kinder wenig oder gar nicht impfen. Sie alle hatten gemeinsam, dass sie verantwortungsvoll für das Wohlergehen ihrer Kinder entscheiden wollen. „Deshalb beschloss ich, die aktuellen Forschungsergebnisse zu den wesentlichsten Sorgen und Widersprüchen herauszuarbeiten“, sagt er. Daraus ist der „Elternratgeber Impfen“ entstanden, der Eltern die Entscheidung über Impfungen erleichtern soll.

Einwand 1: Die Krankheiten, gegen die geimpft wird, sind – mit Ausnahme von Corona – so selten, dass ein Schutz gar nicht nötig ist.

Das stimmt nicht. Gerade damit diese Erkrankungen selten bleiben, ist der Impfschutz wichtig. Die Geschichte hat schon oft gezeigt, dass Infektionskrankheiten bei sinkendem Impfschutz wiederkommen. Zwei Beispiele nennt Tiefengraber, der heute in einer Spezialambulanz für Impfungen, Tropen- und Reisemedizin der medizinischen Universität Wien arbeitet: Nach dem Zusammenbruch der UdSSR sanken die Durchimpfungsraten gegen Diphtherie in allen Altersklassen. Das Resultat: Von den mehr als 17.000 Infizierten starben 646. Eine neuerliche Impfkampagne beendete die Ausbrüche. 2016 galten die Masern in Nord- und Südamerika als eliminiert. Durch abgebrochene Impfprogramme aufgrund einer politischen Krise in den Jahren 2017/18 meldete Venezuela plötzlich mehr als 7.000 Fälle mit 84 Toten.

Einwand 2: Geimpfte Kinder sind nicht gesünder, sie haben häufiger Allergien als ungeimpfte.

Zwei Untersuchungen aus Deutschland sollen dieses Vorurteil widerlegen: Im Jahr 2011 wurden 18.000 Kinder und Jugendliche hinsichtlich ihrer medizinischen Behandlungen und allergischen Erkrankungen untersucht. Ein Unterschied zwischen Geimpften und Ungeimpften wurde nicht festgestellt. 2013 wurde die Untersuchung einer Gruppe von 1.800 Jugendlichen ausgewertet, die hinsichtlich ihres Asthmarisikos vom Zeitpunkt der Geburt bis zu ihrem 20. Lebensjahr beobachtet wurden. Es gab hier weniger Asthmafälle bei Geimpften. Denn Impfungen trainieren das Immunsystem und leisten damit ihren Beitrag, dass sich ein unterbeschäftigtes Immunsystem nicht gegen alltägliche Stoffe richtet, begründet der Infektiologe dieses Ergebnis.

Einwand 3: Geimpfte Kinder erkranken häufiger an Autismus.

Dieses Gerücht halte sich immer noch hartnäckig, so Daniel Tiefengraber, werde damit aber nicht richtiger. Fakt sei, Erkrankungen aus dem autistischen Spektrum kämen bei geimpften Kindern genauso häufig vor wie bei ungeimpften. Die Studie aus dem Jahr 1998 des britischen Mediziners Andrew Wakefield, die für diese Behauptung oft noch herangezogen wird, sei längst widerlegt. „Die Autismus-Daten haben auf Fälschungen beruht“, so der Infektiologe. Der britische Journalist Brian Deer habe die Fehler Wakefields bei der Durchführung der Studie und das Versagen der Kontrollmechanismen bei den Fachzeitschriften, die diese Studie veröffentlichten, aufgezeigt. Erst zehn Jahre später erklärten die Verlage die veröffentlichten Informationen für falsch. Wakefield habe seine ärztliche Berufserlaubnis verloren.

Einwand 4: Impfungen sind reine Geldmacherei der Pharmaindustrie.

Wenn das so wäre, dürfte es aus Sicht von Daniel Tiefengraber keine Engpässe bei Impfstoffen mehr geben. Doch die vermeintlichen Riesenprofite seien bei Impfungen gar nicht zu erwarten, wie er sagt, da sie nur wenige Male im Leben gegeben werden müssen. Erst wenn die Menschen älter würden, brächten sie Umsatz durch Tabletten, die sie jeden Tag und viele Jahre hindurch benötigen, zum Beispiel gegen hohen Blutdruck, Sodbrennen, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das seien die wahren Goldesel der Pharmaindustrie. Deshalb hätten sich die großen Pharmahersteller oft auf andere Arzneimittel spezialisiert und produzierten gar keine Impfstoffe mehr.

Einwand 5: Stillen reicht als Nestschutz für ein Baby völlig aus.

Stillen biete zwar viele gesundheitliche Vorteile und wird von Hebammen wie Kinderärzten gleichermaßen empfohlen. Den wichtigsten Nestschutz geben Mütter ihren Kindern aber vor der Geburt mit, indem sie ihre eigenen Antikörper im Blut mit dem Baby im Bauch teilen. Diese Leih- Immunität helfe dem Kind, die ersten, besonders gefährlichen Wochen nach der Geburt zu überstehen, bevor das Immunsystem des Kindes seine Aufgabe übernimmt.

Einwand 6: Die Impfungen überfordern die Kinder, sie werden zu früh und zu zahlreich gegeben.

Das Immunsystem des Kindes komme schon nach wenigen Wochen, zum Beispiel beim Greifen und Saugen, mit einer Menge von Erregern ohne Probleme klar. Immunologen hätten errechnet, dass ein Kind Antikörper gegen etwa 10.000 Erreger gleichzeitig produzieren kann. Die vorhandenen Kombinationsimpfstoffe gegen mehrere Krankheiten seien zudem hochgereinigt und auf Sicherheit geprüft. Sie ersparen dem Kind damit mehrere Stiche. Gemessen an den anderen Erregern sei diese Belastung gering.

Einwand 7: Impfstoffe enthalten zu viel giftiges Aluminium.

Aluminium sei in höheren Konzentrationen giftig. Es könne sich in den Organen anreichern und damit Knochen, Nerven und die Fruchtbarkeit beeinträchtigen, bestätigt der Infektiologe. Lebendimpfstoffe (zum Beispiel gegen Masern, Mumps, Röteln oder Grippe) enthielten aber gar kein Aluminium. In Totimpfstoffen, wie bei der Sechsfachimpfung, würden streng reglementierte Mengen an Aluminiumverbindungen zur besseren Antikörperbildung eingesetzt. Sonst müssten die Impfungen viel häufiger gegeben werden. Die genaue molekulare Wirkungsweise der Aluminiumverbindungen sei aber noch nicht abschließend geklärt. Eine Fülle von Studiendaten habe aber bislang keinen Effekt auf die gesunde Entwicklung von Kindern feststellen können.

Einwand 8: Die Krankheiten, gegen die geimpft wird, haben Kindern früher auch nicht geschadet.

Es stimme, dass Masern, Hirnentzündungen oder Mumps früher meist schon im Kindesalter durchgemacht wurden, sagt Daniel Tiefengraber. Denn es habe keine Möglichkeit gegeben, sie zu verhindern. Neben tödlichen Verläufen seien aber auch dauerhafte Schäden wie Epilepsie, Taubheit, Herz- und Lungenprobleme aufgetreten, die heute durch die Impfung verhindert werden könnten. Eine schwerwiegende Komplikation der Masern ist die Gehirnentzündung, zu der es bei etwa einem von 1.000 Fällen kommt. Bei zehn bis 20 Prozent endet sie tödlich. Seltener und schwerer ist die Subakute Sklerosierende Panenzephalitis, die sich etwa sechs Jahre nach Infektion zeigt. Sie beginnt mit intellektuellen und psychischen Veränderungen und führt zum Verlust der Hirnfunktion.

Impfschäden in Sachsen

Impfschäden sind sehr selten, informiert das sächsische Sozialministerium. 2019 habe es sieben Anträge auf Einstufung als Impfschadensfall gegeben, drei wurden anerkannt. Im Jahr 2018 waren es zwei von zwölf, 2017 zwei von neun, 2016 zwei von 15.

Die meisten anerkannten Impfkomplikationen wurden durch Impfungen verursacht, die heute nicht mehr empfohlen werden, zum Beispiel Pocken und Tuberkulose. Auch gegen Kinderlähmung wurde früher mit einem Lebendimpfstoff geimpft, der vereinzelt zu Erkrankungen führte.

Für ganz Deutschland registriert das Paul-Ehrlich-Institut die Impfkomplikationen und Impfschäden. Im Jahr 2018 habe es 3.570 Verdachtsmeldungen gegeben, heißt es. 82 davon hätten zu bleibenden Schäden geführt. Allerdings wurde hier häufig kein ursächlicher, sondern nur ein zeitlicher Zusammenhang zur erfolgten Impfung festgestellt. (rnw/sw)

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