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Deutlich weniger andere Infektionen seit Corona

Die Deutschen brauchten Millionen weniger Pillen gegen Erkältung und Durchfall. Nur ein Mittel stieg in der Gunst.

Von Stephanie Wesely
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Sie wirken – Hygieneregeln, wie hier in einem Friseursalon in Dresden.
Sie wirken – Hygieneregeln, wie hier in einem Friseursalon in Dresden. © Robert Michael/dpa

Corona hat auch eine gute Seite: Weil die Menschen Abstand halten und Hygieneregeln befolgen, stecken sie sich weniger an. Infektionskrankheiten, wie Grippe, Windpocken, Keuchhusten und Masern, aber auch Durchfallerkrankungen durch Noro- oder Rotaviren sind stark zurückgegangen. Das weist das Robert-Koch-Institut (RKI) anhand der Meldedaten für den Zeitraum von März bis Mitte August 2020 im Vergleich zu 2019 nach. So gab es in diesen sechs Monaten 2020 deutschlandweit rund 163.000 Fälle von Infektionskrankheiten, die nicht Covid-19 zuzuordnen waren. Das waren 35 Prozent weniger als 2019.

Am stärksten war der Rückgang laut RKI in der Altersgruppe der Unter-Vierjährigen. Hier erkrankten 57 Prozent weniger an Infektionen als 2019. In der Gruppe der Schulkinder und der über 80-Jährigen waren es jeweils 44 Prozent weniger. Betrachtet man einzelne Erkrankungen, war die Abnahme bei den Durchfallerkrankungen am deutlichsten – um 79 Prozent bei Noro- und um 83 Prozent bei Rotavirus-Infektionen.

Auch Grippe, Keuchhusten und Erkältungskrankheiten traten um mindestens 50 Prozent weniger auf. Am Deutlichsten ist der Rückgang der Grippezahlen aber in der aktuellen Saison. Bis Ende Februar 2021 wurden für Sachsen nur noch 20 Erkrankte gemeldet. Ein Jahr zuvor, bevor Corona den Freistaat zum Lockdown zwang, waren es knapp 12.000 Grippefälle.

Verkauf von Erkältungsmitteln bricht ein

Dass die Menschen in Corona-Zeiten auf Abstand gehen und sich dadurch weniger erkälten, ließ auch den Verkauf von rezeptfreien Arzneimitteln in Deutschland einbrechen. Bayer-Chef Werner Baumann nennt bei Erkältungspräparaten ein Marktminus von über 20 Prozent im vergangenen Jahr. Procter & Gamble, Stada und Sanofi vermeldeten ebenfalls Einbußen, ohne das mit Zahlen zu konkretisieren. Die Unternehmen sind bekannt für Mittel wie etwa Wick, Grippostad, Mucosolvan und Alka-Seltzer Plus.

Die gesunkene Nachfrage bekamen besonders die Apotheken in Deutschland zu spüren. Laut Apothekervereinigung ABDA sei bei Erkältungs-, Durchfall- und Läusemitteln in den ersten drei Quartalen 2020 der Absatz rezeptfreier Medikamente deutlich gefallen. Dabei bezog sich die Vereinigung auf Daten des Marktforschers Insight Health. Ihnen zufolge wurden bei Durchfallmitteln in den ersten neun Monaten der Vorjahre etwa 15 Millionen Packungen nachgefragt – 2020 waren es dagegen nur knapp 12 Millionen, also ein Fünftel weniger.

Auch bei Erkältungsmitteln gab es Rückgänge: Fragten Apothekenkunden normalerweise knapp 150 Millionen Arzneimittel in den ersten drei Quartalen nach, waren es 2020 noch knapp 130 Millionen. Bei Läusemitteln habe sich zudem der Absatz von etwa zwei Millionen auf 1,2 Millionen Medikamente fast halbiert. In den Zahlen sind das Apothekengeschäft vor Ort und der Versandhandel inbegriffen. „Die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln in der Corona-Pandemie sorgte vermutlich für den Rückgang der Ansteckungen im Bereich von Durchfallerkrankungen und Erkältungen“, so die ABDA. Zudem werde dadurch auch ein Rückgang des Befalls mit Parasiten, wie Läusen, angenommen.

Nahrungsergänzungsmittel sehr gefragt

Die Pandemie mit Lockdowns und Kontaktbeschränkungen habe für ein Auf und Ab der Nachfrage in den Apotheken gesorgt. Zwar seien Desinfektionsmittel stark gefragt gewesen. „Sie waren aber kein großer Umsatztreiber“, sagte ein ABDA-Sprecher. Der Ansturm auf medizinische Masken spiegle sich noch nicht in den Zahlen für 2020 wieder.

Die Apotheken in Deutschland hatten 2019 einen Umsatz von mehr als 54 Milliarden Euro erzielt, den Großteil mit verschreibungspflichtigen Arzneien. Die Zahl der Apotheken hierzulande sinkt seit Jahren deutlich. Zum Jahresende 2020 lag sie bei 18.753.

Die Corona-Einschränkungen hatten für die Arzneihersteller wirtschaftlich gesehen allerdings auch positive Folgen. Denn die Nachfrage nach Nahrungsergänzungsmitteln stieg – etwa nach Vitamin-Tabletten zur Stärkung der Abwehrkräfte. Dieses Geschäft habe von der Corona-Situation „sehr profitiert“, sagt Bayer-Chef Baumann. Procter & Gamble sieht ebenfalls ein zunehmendes Interesse an Nahrungsergänzungsmitteln. „Wir haben einen deutlichen Trend zur aktiven Gesundheitsvorsorge beobachtet“, teilt die Firma mit. „Viele Menschen sind sich bewusst geworden, welchen Einfluss sie selbst auf ihre eigene Gesundheit haben können.“

In den kommenden Monaten dürften die Erkältungszahlen weiter zurückgehen. Im Herbst wird die Erkältungssaison wohl wieder losgehen – und die Arzneihersteller und Apotheken könnten wieder Kasse machen. Hinzu kommt, dass die Abstandsregeln und Kontaktbeschränkungen in den nächsten Monaten vermutlich wesentlich gelockert werden. „Unserer Einschätzung nach wird auch der Absatz von Produkten gegen Grippe und Erkältung saisonal wieder ansteigen, sobald die Menschen zu einer gewissen Normalität zurückkehren“, heißt es vom Hersteller Stada. (mit dpa)