Dresden. Die Frau, der das Tanzschuhgeschäft gehört, schaut ein wenig skeptisch. "Gibt es denn überhaupt gerade... einen Kurs..., an dem Sie teilnehmen können?", fragt sie vorsichtig, während ich weiter so hochmotiviert wie stümperhaft mit den glänzenden schwarzen Schuhen auf den Fliesenboden unter mir klackere.
Nein, natürlich nicht, erkläre ich, ich lerne das - wie alles in diesen Wochen - einfach online! Dazu sagt sie nichts, wahrscheinlich, um sich in diesen mageren Zeiten nicht selbst das Geschäft zu vermiesen - hat sie mich doch gerade erst zu meinem eigenen Schutz überzeugen können, vorerst die Anfänger-Stepptanzschuhe zu kaufen, nicht gleich das Profimodell.
Ich trage meine Trophäe trotzdem stolz nach Hause, denn: Ha! Ich werde im Lockdown nicht einfach gelangweilt oder gar verzweifelt herumsitzen, weil ich seit Monaten nicht tanzen, nicht schwimmen gehen und keine Freunde in Cafés treffen darf. Ich mache das Beste daraus - ich lerne Steppen!
Das ist nun gut zwei Monate her. Ich habe danach genau zweimal je 15 Minuten lang Shuffeln geübt (Klack nach vorne, Klack zurück, wichtig: ganz locker im Fußgelenk!), erfolgreich ein paar Kratzer ins Parkett geshuffelt und die Schuhe danach "erstmal" ins Regal geräumt. Ab und zu staube ich sie dort nun ab.
Ein sehr freundlicher Mann aus den USA, den ich nur aus seinen Video-Tutorials kenne, zieht mir trotzdem jeden Monat Geld von meinem Konto ab.
Dass ich das zulasse, liegt daran, dass ich erstens auch ihm die Einnahmen in dieser schwierigen Zeit gönne und zweitens ja jeden Moment wieder anfangen könnte mit dem Steppen. Jeden Moment.
Man kann nicht hochmotiviert so viele Projekte starten, ohne dass irgendwas hängen bleibt
Denn so ist das mit meinen Lockdown-Projekten: Ich bin Feuer und Flamme, besorge mir eine komplette Grundausstattung, bin hochmotiviert - und halte dann meist nur wenige Wochen durch. Noch ein Beispiel gefällig?
Im vergangenen Frühjahr habe ich mir eine Nähmaschine mit allem erdenklichen Zubehör gekauft und am allerersten Tag wirklich jedes kaputte Kleidungsstück in meinem Schrank repariert.
In den Wochen danach habe ich wie eine Besessene Stoffe gekauft, mir mithilfe von Youtube-Videos in Rekordzeit die wichtigsten Nähtechniken beigebracht und sogar tatsächlich mehrere Kleider genäht.
Dann wurde Sommer, die Inzidenz fiel - und bei dem schönen Wetter wäre es ja zu schade gewesen, den ganzen Tag an der Maschine zu sitzen.
Gelegentlich staube ich den Stapel schöner Stoffe ab, die Nähmaschine ruht vor Staub geschützt unter ihrer Stoffhülle. Jeden Moment könnte ich ja wieder etwas nähen. Jeden Moment.
Dass mich all diese Erfahrungen des Scheiterns an zu großen Idealen nicht nachhaltig demotivieren, liegt vielleicht daran, dass ich habe, was man gerne "Resilienz" nennt: "die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen".
Ich nenne es lieber: "eine gute Portion Selbstbetrug". "Das hat aber noch nie geklappt", sagt eine innere Stimme in mir. Und ich antworte: "Ja, aber diesmal wird es sicher klappen!"
Und manchmal tut es das ja auch! Man kann nicht hochmotiviert so viele Projekte starten, ohne dass irgendwas hängen bleibt. Ja, vielleicht kann ich noch nicht steppen, aber vor einem halben Jahr wusste ich noch nicht, wie ein Shuffle funktioniert.
Vielleicht habe ich kein Nähstudio im Nebenerwerb eröffnet, aber zwei handgemachte Kleider mehr im Schrank. Eines davon ziehe ich an dem Tag an, wenn der Lockdown endlich endet. Wobei... Vielleicht schneidere ich mir bis dahin doch lieber ein neues.
An dieser Stelle schreiben Redakteure der Dresdner Stadtredaktionen aus ganz persönlicher Sicht über Gedanken, Beobachtungen und Erfahrungen aus dem Alltag im Lockdown.
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