Kommt die Impfpflicht noch vor der nächsten Welle?

Von Marie Zahout, Thomas Trappe und Dana Bethkenhagen
Die verschiedenen Anträge für eine Corona-Impfpflicht nehmen im Bundestag langsam Gestalt an, allerdings nicht in dem Tempo, das nötig wäre, um schnell zu einer Abstimmung zu kommen. Zwar wurden am Freitag zwei Anträge – deren auffallend viele Flüchtigkeitsfehler dafür sprechen, dass sie auch mit heißer Nadel gestrickt sind – vorgestellt, von einer Ampel-Gruppe einerseits und der Unionsfraktion andererseits.
Für ein sich in die Länge ziehendes Verfahren spricht aber, dass der Antrag einer weiteren Ampelgruppe – für die Impfpflicht ab 50 – weiter auf sich warten lässt: Voraussichtlich in dieser Woche soll der Antrag von einer Gruppe um den FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann präsentiert werden, für eine Parlamentsdebatte diese Woche aber kommt das wohl zu spät.
Beim bereits vorliegenden weitestgehenden Antrag – die Impfpflicht ab 18 – indes stellt sich ein anderes Zeitproblem. Laut diesem am Freitag präsentierten Entwurf soll diese Pflicht erst ab 1. Oktober scharfgestellt werden. Aller Voraussicht nach würden sich damit reale Immunisierungseffekte erst spät im Herbst zeitigen. Dann also, wenn eine von den Antragsstellern als Begründung angeführte potenzielle neue gefährliche Corona-Welle also gegebenenfalls schon in vollem Gange ist.
Nachdem die Eckpunkte für die Ü-18-Impfpflicht schön länger bekannt waren, haben am Freitag die Abgeordneten Heike Baehrens (SPD), Janosch Dahmen (Grüne), Katrin Helling-Plahr (FDP), Dagmar Schmidt (SPD), Till Steffen (Grüne), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Dirk Wiese (SPD) ihren Gesetzesentwurf schließlich vorgestellt.
Der Entwurf solle, erklärte Schmidt, den „Grundstein für einen besseren Winter legen“. Man wolle nicht warten, bis die nächste Infektionswelle in Sichtweite ist. Denn dann sei es für vorausschauendes Handeln zu spät.
Laut dem Entwurf soll in einem ersten Schritt zunächst die Impfkampagne erweitert werden. „Dazu werden insbesondere erstmals alle erwachsenen Personen persönlich kontaktiert und von ihren Krankenkassen über Beratungs- und Impfmöglichkeiten informiert“, heißt es im Entwurf. Darauf aufbauend soll dann die allgemeine Impfpflicht ab 18 kommen.
Nach den Vorstellungen der sieben Parlamentarier sollen die Krankenkassen ab 1. Oktober diejenigen Personen an die Ordnungsbehörden melden, die keinen Impfnachweis vorgelegt haben. Zunächst würden die Gesundheitsämter den Ungeimpften dann einen Termin zur Immunisierung anbieten. Wer ihn jedoch verstreichen lasse, müsse mit einem Bußgeld rechnen. Möglich seien auch mehrfache Bußgelder. Eine Erzwingungshaft sei aber nicht vorgesehen.
Problem: Bislang beharren die Krankenkassen darauf, dass sie zwar ihre Versicherten gerne über Impfpflichten informieren werden, diese aber sicher nicht vollstrecken würden. Damit ist bislang völlig offen, wie dieses Verfahren umgesetzt werden könnte. Auch aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) – Minister Karl Lauterbach (SPD) gilt als Unterstützer der Impfpflicht ab 18 – ist diesbezüglich bislang nichts zu hören.
Union: Ausrufung des Impfmechanismus als erste Stufe
Anders als die Gruppe der Ampel-Abgeordneten will die Unionsfraktion die Impflücke zunächst nicht mit einer Verpflichtung schließen. Bundestag und Bundesrat sollen laut dem am Freitag vorgelegten Vorschlag vielmehr per Beschluss und abhängig von der Pandemielage einen „gestuften Impfmechanismus“ in Gang setzen können – erst dann würde eine abgestufte Impfplicht greifen.
Nach Vorstellungen der Union soll das BMG dem Bundestag alle zwei Wochen eine Einschätzung zur aktuellen Corona-Lage geben. Das Parlament würde auf dieser Grundlage dann entscheiden, ob der Impfmechanismus in Gang gesetzt wird und, wenn ja, auf welcher Stufe er greift.
Im Fokus des Berichtes sollen dabei Erkenntnisse über die Gefährdung der vulnerablen Gruppen stehen sowie die Belastung des Gesundheitssystems und der kritischen Infrastruktur. Anders als beim Verfahren zur „epidemische Lage nationaler Tragweite“ müsste nicht nur der Bundestag die Ausrufung eines Impfmechanismus beschließen, sondern auch der Bundesrat zustimmen.
Die Union legt keinen eigenen Gesetzentwurf vor, vielmehr wird im Antrag die Bundesregierung beauftragt, den Entwurf eines „Impfvorsorgegesetzes“ auszuarbeiten. Kriterien für die Aktivierung des Impfmechanismus sollen demnach die Schwere einer Virusvariante, deren Übertragbarkeit, die Wirksamkeit der dann verfügbaren Impfstoffe und der Grad der Immunität in der Bevölkerung sein.
Gestaffelt werden soll der Impfmechanismus nach Alter, der Zugehörigkeit zu bestimmten Berufsgruppen oder der kritischen Infrastruktur. So sollen besonders gefährdete Gruppen geschützt und die anderen nicht unnötig belastet werden.
Sepp Müller, als Unionsfraktionsvize zuständig für den Bereich Gesundheitspolitik, zeigte sich am Freitag sicher, dass vulnerable Gruppen bei einem Scharfschalten des Gesetzes zügig durchgeimpft werden könnten. Verstöße sollen mit einem Bußgeld geahndet werden, dessen Höhe im Unionsvorschlag aber offen bleibt.
Union: Steuer-ID für Corona-Impfregister
Die aktuell grassierende Omikron-Variante, die in der Regel weniger schwere Krankheitsverläufe hervorrufe, rechtfertige aktuell keine Impfpflicht, sagten Müller und Andrea Lindholz, Unions-Fraktionsvize für Innen- und Rechtspolitik.
Um die Situation im Herbst besser bewerten zu können, fordert die Union den zeitnahen Aufbau eines Impfregisters. Mit den Daten könnten dann etwa die Gruppen identifiziert werden, bei denen besonders große Impflücken bestehen. Außerdem könnten Ungeimpfte gezielt angesprochen werden.
Die Pandemie habe gezeigt, dass selbst komplexe Vorhaben wie die Corona-Warn-App in Deutschland schnell und qualitativ hochwertig umgesetzt werden können, heißt es in dem Vorschlag der Union.
Für den Aufbau eines Impfregisters soll möglichst auf existierende IT-Lösungen zurückgegriffen werden, um Basisdaten wie Name, Geburtsdaten und Anschrift ins Register zu überführen. Dafür könnten sich unter Einbeziehung der Erkenntnisse aus dem Registermodernisierungsgesetz die Basisdaten der über das Bundeszentralamt für Steuern vergebenen Steuer-Identifikationsnummer eignen, so die Union.
Horst Seehofer (CSU) war in seiner damaligen Funktion als Bundesinnenminister bereits einmal aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken gescheitert, die Steuer-ID als zentrale Bürgernummer zu nutzen.
Eine Abstimmung über die Anträge stehe diese Woche „nicht auf dem Plan“, bekräftigte Lindholz am Freitag. Dagmar Schmidt aus der Gruppe des Ü18-Antrags betonte mit Blick auf diese Woche, „an uns wird es nicht scheitern“, sagte aber gleichzeitig, dass auch die anderen Gruppen genug Zeit bekommen sollen, ihre Anträge auszuarbeiten.
Wichtig sei am Ende, so die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Heike Baehrens, dass „Ende März alles in trockenen Tüchern“ ist, damit die Impfpflicht für alle Volljährigen ab dem 1. Oktober in Kraft treten könne. Dazu müsse das Gesetz spätestens bis zum 15. Mai verabschiedet werden.
Da der Ullmann-Antrag diese Woche kaum ins Parlament kommen wird, können sämtliche Anträge laut regulärem Sitzungsplan des Bundestags frühestens in der Woche vor dem 19. März verhandelt werden – allerdings steht dann aller Voraussicht nach auch die akute Debatte auf dem Plan, ob die Corona-Schutzmaßnahmen am 19. März komplett auslaufen oder ein Teil von ihnen mit einem neuen Gesetz verlängert werden sollen.
Insgesamt vier Sitzungswochen bleiben nach dem 19. März dann noch bis zum 15. Mai, in denen neben der ersten sowie der zweiten und dritten Lesung noch mindestens eine Öffentliche Anhörung zu den konkurrierenden Vorlagen absolviert werden müssten.
Gegen und für die allgemeine Impfpflicht
Relevant ist aktuell auch die Frage, in welcher Reihenfolge die voraussichtlich fünf konkurrierenden Gesetzesvorhaben und Anträge schließlich abgestimmt werden sollen. Darüber herrsche zwar aktuell keine Klarheit, so der SPD-Abgeordnete Wiese zum Tagesspiegel Background, jedoch gehe er davon aus, dass „der weitestgehende Entwurf zuerst abgestimmt“ wird. „Und da hat unser Entwurf gute Chancen“, so Wiese.
Als in die andere Richtung am weitestgehenden können weiterhin die beiden Anträge um den Parlamentsvize-Präsidenten Wolfgang Kubicki und jener der AfD gelten, die beide eine Impfpflicht ablehnen.
Bekommen diese drei Anträge – sowohl die gegen die Impfpflicht als auch jener für die allgemeine Pflicht ab 18 – keine Mehrheit, wird dann nach bisher gängiger Praxis in der nächsten Runde über den weniger weitgehenden abgestimmt, also wahrscheinlich über den Ü50-Antrag aus der Ullmann-Gruppe. Der am wenigstens weitgehende wäre schließlich wohl jener der Union. Über das genaue Verfahren allerdings müssen sich die Fraktionen in den kommenden Wochen noch einigen, sobald alle Anträge vorliegen.