Radeberg/Dresden. Die meisten Senioren schmieren gerade ihr Sonntagsbrötchen, als es in der Lobby des Radeberger Altenheimes hektisch wird. Orange gekleidete Rot-Kreuz-Helfer tragen Kisten, Monitore und Drucker in die Empfangshalle. Beiwerk, wenn man so will, denn die wichtigste Fracht ist schon früh am Morgen eingetroffen. Es ist der Corona-Impfstoff, auf den so viele Menschen weltweit gewartet haben und noch warten. Kleine Ampullen, gefüllt mit wenigen Millilitern klarer Flüssigkeit und bis vor wenigen Minuten auf minus 70 Grad heruntergekühlt. Die Bewohner und Mitarbeiter des Radeberger Altenheimes bekommen sie an diesem Sonntag als erste in Ostsachsen.

Genau 91 Einwilligungen konnte Heimleiterin Carolin Proske einholen. Keine gute Quote, könnte man denken. Immerhin werden in dem Heim etwa 170 Menschen betreut. Allerdings erhalten all diejenigen zunächst keine Impfung, die schon einmal eine Corona-Infektion durchgemacht haben. Das seien relativ viele. Zählt man die bislang Nicht-Infizierten zusammen, so liege die Impfbereitschaft bei rund 90 Prozent, so Proske. „Für die Kürze der Zeit haben sie wirklich schnell zugestimmt.“
Lemm: "Stolz wäre das falsche Wort. Ich freue mich."
Die mobilen Impfteams, die in jedem Landkreis und jeder Großstadt in den Altenheimen unterwegs sind, wollen pro Schicht bis 100 Impfungen schaffen. Carolin Proske krempelt ihren linken Ärmel kurz nach 10 Uhr hoch. Sie und ihre Kollegen haben sich in den vergangenen Monaten einem sehr hohen Infektionsrisiko ausgesetzt, um die Bewohner zu pflegen. Mehr als 20 Senioren und Mitarbeiter infizierten sich im Frühjahr. Ganze Stationen mussten unter Quarantäne gestellt werden. Bundeswehr-Soldaten wurden angefordert. Trotz aller Bemühungen schafften es mehrere Senioren nicht.

Wohl auch deshalb ist das Radeberger Heim für den Impfstart ausgewählt worden, vermutet Oberbürgermeister Gerhard Lemm (SPD). „Unser Haus war in der ersten Welle eines der am schwersten betroffenen Häuser und auch jetzt in der zweiten Welle gab es bereits einen Ausbruch.“ Er hat sich an diesem Sonntagvormittag als freiwilliger Helfer gemeldet, um dem mobilen Impfteam in mintgrünem Schutzkittel zur Hand zu gehen. Den Impfstoff selbst dürfen dagegen nur Ärzte verabreichen. Sie schätzen im Aufklärungsgespräch vorher auch ein, ob eine Person überhaupt geimpft werden darf. Die Impfungen werden drei Ärzte aus Radeberg vornehmen. In drei Wochen ist eine Nachimpfung notwendig. Ob er stolz darauf ist, dass die ersten Impfdosen seiner Stadt zugutekommen? „Stolz wäre das falsche Wort“, sagt Lemm. „Ich freue mich.“

In den kommenden Tagen sollen mehr und mehr Menschen den Impfstoff erhalten, auch in Dresden. So plant das Universitätsklinikum nach SZ-Informationen, spätestens in der neuen Woche mit der Immunisierung jener Ärzte und Pfleger zu starten, die Tag für Tag am Bett von Corona-Patienten stehen und um deren Leben kämpfen.
Da zunächst aber nur 10.000 Impfdosen für ganz Sachsen zur Verfügung stehen, können nicht sofort alle alten Menschen, Pfleger und Ärzte geimpft werden. So wusste die Dresdner Stadtverwaltung am Tag vor Heiligabend noch nicht, wann die Bewohner und Mitarbeiter der städtischen Tochtergesellschaft Cultus an der Reihe sind. Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) sprach dagegen am Sonntag davon, dass die mobilen Impfteams in der neuen Woche in allen sächsischen Kreisen starten werden.
Impfzentrum öffnet erst in nächster Impfphase
Auch für die kommunalen Krankenhäuser Friedrichstadt und Neustadt sowie die Geriatrische Klinik an der Löbtauer Straße lagen dem Rathaus noch keine genauen Informationen vor. Allerdings wird bereits am nächsten Montag eine weitere Impfstoff-Lieferung in Sachsen erwartet, mit mehr als der doppelten Menge.
Noch etwas gedulden müssen sich die Menschen, die zwar hochbetagt sind, aber in keinem Heim leben. Steht genügend Impfstoff zur Verfügung, sollen sie im Impfzentrum in der Dresdner Messe ihre Spritze erhalten. Vermutlich wird es im Januar soweit sein. Später schließt sich die zweite Gruppe an. Ihr gehören Menschen ab 70 Jahren sowie Menschen mit einem hohen Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf an, zum Beispiel Demenzkranke.
Die Kabinen in Halle 4 sind bereits aufgebaut. Theoretisch könnte es sofort losgehen. Vorerst wird das Zentrum dem mobilen Impfteam aber als logistischer Drehpunkt dienen.

Gerhard Lemm dämpft die Hoffnungen auf eine baldige Rückkehr zur Normalität. Trotz der Impfungen würden die strengen Besuchsregeln im Heim vorerst weiter gelten. „Ein Zutritt ins Haus ist nur mit negativem Schnelltest möglich. Ausnahme ist der Speisesaal, der ja bekanntlich separat liegt.“ Er darf nur von maximal fünf Bewohnern mit je einem Besucher genutzt werden. Die Gesprächsbereiche im Saal sind mit Plexiglas voneinander abgetrennt. Die Besuchszeit beträgt höchstens 15 Minuten, dann wird eine Viertelstunde gelüftet, danach können die nächsten Bewohner mit ihren Besuchern in den Saal. Im Haus und auch im Speisesaal muss Mund-Nasen-Schutz getragen werden. „Ob es gegebenenfalls nach der zweiten Impfung eine Lockerung der Regeln geben kann, müssen dann Mediziner entscheiden“, so Lemm.
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