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Kritik an Laschets Kritik am Corona-Kurs

NRW-Regierungschef Laschet bemängelt, dass Bürger in der Pandemie wie unmündige Kinder behandelt würden. Politiker werfen ihm nun Populismus vor.

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"Bürger nicht wie unmündige Kinder behandeln": CDU-Chef Armin Laschet.
"Bürger nicht wie unmündige Kinder behandeln": CDU-Chef Armin Laschet. © Fabrizio Bensch/Reuters/Pool/dpa (Archiv)

Berlin. Der CDU-Vorsitzende Armin Laschet erntet für seine deutliche Kritik an einem scharfen Lockdown-Kurs in der Corona-Pandemie starken Widerspruch. Die Grünen warfen ihm am Dienstag vor, sich gegen die gemeinsame Linie aller Länder und der Bundesregierung zu stellen, die er als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen selbst mitbeschlossen habe. Die SPD hielt ihm "unbeholfenen Populismus" vor. Unterstützung erhielt der nordrhein-westfälische Regierungschef dagegen von der FDP, mit der er in Düsseldorf zusammen regiert.

Laschet hatte am Montagabend bei einer Digital-Veranstaltung des baden-württembergischen CDU-Wirtschaftsrats erklärt, man müsse das Virus und seine Mutationen zwar ernst nehmen, aber zugleich zu einer abwägenden Position zurückkommen. "Populär ist, glaube ich, immer noch die Haltung: Alles verbieten, streng sein, die Bürger behandeln wie unmündige Kinder." Das trage aber nicht auf Dauer. So erlitten zum Beispiel Kinder, die monatelang nicht in Schule oder Kita gingen, vielleicht Schäden fürs ganze Leben.

Kritik aber auch Zustimmung

Laschet warnte überdies vor einer zu einseitigen Fokussierung auf die Infektionszahlen. "Wir können unser ganzes Leben nicht nur an Inzidenzwerten abmessen." Man müsse all die anderen Schäden, etwa für Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, genauso im Blick haben. Seine "Grundposition" sei: Die 50 sei erreicht, "wir werden in Kürze auch die 35 erreichen, aber man kann nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfindet", sagte er. Populär sei diese Position noch immer nicht. "Der große Nachbar in Bayern sieht es manchmal etwas anders."

Die Länderregierungschefs und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten zuletzt vereinbart, den Lockdown weitgehend bis zum 7. März zu verlängern. Sollte die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche stabil unter 35 sinken, sollen die Länder schrittweise die Beschränkungen lockern. Manche Wissenschaftler sehen dafür aber sogar erst bei einem Wert von 10 Chancen. Laut Robert Koch-Institut lag die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz am Dienstagmorgen bei 59.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil warf dem CDU-Chef vor, er lege "die gefühlt 50. Wendung in seiner Corona-Politik" hin. Klingbeil wertete die Äußerungen beim Redaktionsnetzwerk Deutschland als Beleg dafür, dass die CDU tief gespalten sei. Der neue CDU-Chef versuche, die Anhänger seines unterlegenen Konkurrenten Friedrich Merz für sich zu gewinnen. "Mitten in der größten Krise der Nachkriegszeit beschäftigt sich die CDU nur mit sich selbst, und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Menschen und die SPD erwarteten, "dass die Union sich jetzt endlich mal am Riemen reißt", sagte Klingbeil.

"Profilierungsthema für die Kanzlerkandidatur"

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, reagierte im "Spiegel" ähnlich: "Wenn sich die Corona-Krisenbekämpfung noch weiter zum Profilierungsthema für die Kanzlerkandidatur in der Union entwickelt, bekommt das Land ein zusätzliches Problem."

Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sagte: "Armin Laschet blendet aus, wie fatal die Auswirkungen für die Gesellschaft wären, wenn Lockerungen zu früh kämen." Er stelle sich gegen die von ihm selbst mitbeschlossene Linie aller Länder und des Bundes. "Damit untergräbt er eine solidarische Pandemiebekämpfung, das höchste Gut in diesen Zeiten."

Unterstützung kam hingegen vom FDP-Vorsitzenden Christian Lindner. "Wir fühlen uns bestärkt. Den richtigen Worten müssen nun aber umgehend Taten folgen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Eine Perspektive auf Öffnung sei möglich und dringlich: "Die Entwicklung der Zahlen lässt die Eingriffe in Grundrechte und die enormen Schäden des Lockdowns an vielen Stellen unverhältnismäßig werden."

Mehr Parameter einbeziehen als nur die Inzidenz

Die Länderregierungschefs - darunter Laschet - und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten zuletzt vereinbart, den Lockdown grundsätzlich bis zum 7. März zu verlängern. Sollte die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz - also Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche - stabil unter 35 sinken, sollen die Beschränkungen von den Ländern schrittweise gelockert werden - zunächst für Einzelhandel, Museen und Galerien sowie Betriebe mit körpernahen Dienstleistungen.

Die Gesundheitsämter meldeten dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 3.856 Corona-Neuinfektionen. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 528 weitere Todesfälle verzeichnet, wie aus Zahlen vom Dienstag hervorgeht. Die Daten geben den Stand von 00.00 Uhr wieder, nachträgliche Änderungen oder Ergänzungen sind möglich. Vor genau einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 3.379 Neuinfektionen und 481 neue Todesfälle verzeichnet, wobei rund 600 Infektionsfälle aus Nordrhein-Westfalen fehlten, die erst am Tag darauf in die Statistik einflossen. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) lag laut RKI am Dienstagmorgen bundesweit bei 59 und damit ähnlich hoch wie am Montagmorgen.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsbundestagsfraktion, Karin Maag (CDU) riet, andere Parameter einzubeziehen als nur die Inzidenz. "Das sind politische Größen", sagte sie der "Welt". "Die Leistungsfähigkeit der Gesundheitsämter und der Kliniken muss miteinbezogen werden. Dazu gibt es Schnelltests. Mehr Technik muss beim Thema Öffnen ebenso dazugedacht werden wie der höhere Durchimpfungsgrad der älteren Menschen."

Öffnungen wegen Mutationen riskant

Der Immunologe Michael Meyer-Hermann hält es für möglich, dass ansteckendere Virusvarianten die angepeilte Inzidenz von 35 torpedieren. Sollte sich das Vorkommen der Mutante B.1.1.7 ungünstiger entwickeln als erwartet, könne es sein, dass die 35 mit dem aktuellen Lockdown nicht zu erreichen sei, sagte der Leiter der Abteilung System Immunologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. "Das macht deutlich, dass jede Form von Öffnungen zum jetzigen Zeitpunkt ein hohes Risiko birgt, die gesetzten Ziele nicht erreichen zu können."

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken warnte in der Öffnungsdebatte vor zu frühen Versprechungen. "Angesichts der noch immer unklaren Situation hinsichtlich der Verbreitung und Auswirkung von Virusmutanten müssen wir aber weiterhin auf Sicht fahren und dürfen keine Versprechen abgeben, die wir nicht halten können", sagte Esken der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Dienstag). Zugleich merkte sie an, ein bundesweit abgestimmter und nachvollziehbarer Stufenplan müsse sich "strikt am Infektionsgeschehen orientieren".

Für Linksfraktionschefs Dietmar Bartsch muss ein Stufenplan Zahlen wie die Inzidenz, die Belegung der Intensivbetten und den Reproduktionswert beinhalten, wie er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte. "Und diesen Stufenplan, der hoffentlich im Kanzleramt für die Ministerpräsidentenkonferenz am 3. März erarbeitet wird, den muss die Kanzlerin vorher im Bundestag vorstellen." (dpa)