Katastrophen kreieren manchmal neue Wörter. „Mütend“ ist so eines. Es ist die Mischung aus müde und wütend. Jeder von uns wird sich in diesen Tagen und Wochen auf einer Skala zwischen diesen beiden Worten immer mal wieder einordnen können. Mal mehr müde, mal mehr wütend. Diese beiden Pole scheinen gesetzt. Und das emotionale Taumeln zwischen ihnen erschöpft und zermürbt. Das Leben ist wie auf „Stopp“ geschaltet.
Wenn man in ein paar Jahren irgendwann einmal danach fragen sollte, wann sich die Stimmung in dieser Pandemie gedreht hat, wann sie gekippt ist, dann wird man höchstwahrscheinlich auf diese zwei bis drei Wochen vor Ostern kommen. Als sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Länderfürsten nach elfstündiger Diskussion auf eine „Oster-Ruhe“ einigt, die sie am nächsten Tag wieder kippt und einen Fehler nennt.
Es ist die Zeit, als Eltern provokativ Kinderschuhe auf Rathaus-Stufen stellen und darauf drängen, dass wieder unterrichtet wird. Es ist die Zeit, in der sich auf den Straßen Protest zu sammeln beginnt, auch von Menschen, die nicht alle unter dem Begriff „Corona-Leugner“ und „Querdenker“ zu versammeln sind. Die nicht alle gelenkt sind von Rechtsextremisten und sonstigen hasserfüllten Fanatikern. In diesen Tagen sind Menschen zunehmend bereit, ihren Protest zu artikulieren, die sonst eher still alles „wegstecken“. Dabei achten manche in ihrer Wut leider nicht darauf, wessen Aufruf sie da gerade folgen.
Zweifeln an der Demokratie
Es ist eine Zeit, in der auch die Geduldigsten, die Gutwilligsten, die der Demokratie am Wohlgesonnensten beginnen zu zweifeln und mitunter sogar zu verzweifeln. Angesichts fehlender Perspektiven und existenzieller Not. Alleingelassen mit dem Gefühl, doch alles getan, investiert und das erforderliche Hygiene-Konzept erarbeitet zu haben, aber trotzdem zum Nichts-Tun-Können verdammt zu sein. Es ist eine Zeit, in der man den Vertrauensverlust in „die Politik“, was immer das sein mag, nahezu hören kann, so laut und sichtbar schnell vollzieht er sich. All das kulminiert in der Frage, ob „die da oben“ noch wissen, was sie tun.
Zu viele Versprechen wurden nicht gehalten, zu viele tag-genaue Ankündigungen trafen nicht ein: Impfen, Tests, die Warn-App, eine Software zur Kontaktnachverfolgung, Unternehmer-Hilfen. Das große High-Tech-Wunderland Deutschland mit seinem stolzen „Made in Germany“ blamiert sich gerade. Weltweit und nachhaltig. Und Sachsen, das Land der Erfinder und mutigen Unternehmer? Es ist in vielen Punkten im Bundesvergleich auf hinteren Plätzen. Auch durch seinen Zick-Zack-Kurs im Umgang mit Corona. Nun erschöpft auch Sachsen sich im notwendigen, aber für ein wirkliches Vorankommen nicht ausreichenden Neu-Verfassen von Verordnungen mit all ihren inneren Widersprüchen und der Abarbeitung von Prozessen nach bürokratischen Vorgaben. So lange, bis die Atempause nach dieser Welle wieder ungenutzt verstrichen ist.
Harter Lockdown, ja oder nein? Dazwischen scheint es nichts zu geben. Dabei greift genau das zu kurz. Der Lockdown kann nur die „Notbremse“ sein. Und dass sie in diesen Tagen der „dritten Welle, konsequent und ohne Ausnahmen gezogen wird, ist richtig. Doch schon das Bild von der Notbremse ist unglücklich. Eine Notbremse, hilft nur, einen Zug zu stoppen. Sie ändert nicht seine Richtung oder bringt ihn gar auf ein neues Gleis.
Ideen müssen ausprobieren werden
Für die Zeit nach diesem Lockdown dürfen wir nicht wieder „alternativlos“ dastehen. Jetzt müssen kraft- und phantasievoll Alternativen erarbeitet und – soweit es das Infektionsgeschehen zulässt – vorsichtig ausprobiert werden. Jetzt ist die Zeit, mutig zu handeln. Wir müssen raus aus dieser unerträglichen Lähmung.
Dazu gehört auch, endlich die wichtigen Fragen der Menschen zu beantworten. Damit ist nicht der Mallorca-Trip gemeint, das Campen, der Test am Flughafen oder der nächste Besuch im Biergarten. Sondern: Wie kann das Impfen beschleunigt werden? Wann werden auch diejenigen mit den meisten, unvermeidbaren Kontakten geschützt? Wann gibt es eine systematische Test-Strategie? Vor allem aber: Wie geht es nicht nur in zwei Wochen weiter, sondern in einem Monat? Wo sind die Ideen und Visionen, fernab vom starren und ausschließlichen Blick auf Inzidenzwerte? Wo sind mehr Modellprojekte wie die in Augustusburg und Oberwiesenthal, die mit konsequentem Testen mehr Öffnungen ermöglichen?
Zu Beginn dieser Pandemie wiederholte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer häufig diesen Satz: „Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben.“ Ein wichtiger, richtiger Satz. Er gilt für uns alle. Auch für diejenigen, die mit Verweis „auf die da oben“ gern selbst die Hände in den Schoß legen und darauf warten, dass alles Gute vom Himmel regnet.
Jetzt ist die Zeit, mutig zu handeln. Wer das nicht erkennt, riskiert die „Koalition“ der Willigen und Vernünftigen zu verlieren, die in diesem Land noch immer die Mehrheit bilden. Die still mittragen und ertragen, die versuchen, mit ihrer Familie, dem kleinsten Kern der Gesellschaft, heil durch diese Pandemie zu kommen. Diszipliniert und ermutigend für andere. Wer sie weiterhin enttäuscht, wird diese Pandemie irgendwann überwinden, aber ganz sicher nicht ihre politischen und gesellschaftlichen Folgen.