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Wenn Mütter auf den Strich gehen müssen

Auf der Urlaubsinsel Mallorca hinterlässt Corona eine Spur der wirtschaftlichen und sozialen Verwüstung.

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Prostituierte warten auf Mallorca auf Kunden: Wegen der Corona-Krise sind viele von ihnen auf das Geld angewiesen.
Prostituierte warten auf Mallorca auf Kunden: Wegen der Corona-Krise sind viele von ihnen auf das Geld angewiesen. © Mar Granel/dpa

Palma. Die Straßen von Palma de Mallorca sind wegen des Corona-Lockdowns seit Wochen leer. Die Frauen, die an der Plaça Sant Antoni auf und ab gehen, an den Hauswänden lehnen und rauchen oder auf Klappstühlen sitzen oder sich in kleinen Gruppen unterhalten, fallen umso mehr auf. Sie warten auf männliche Kundschaft. Und obwohl diese im Zuge der Pandemie rar geworden ist, sind die Frauen auch bei Regen und kühlen Temperaturen da. Medien und Hilfsorganisationen klagen, dass die Corona-Krise auf der Urlaubsinsel viel Elend zutage treten lasse und Elendsprostitution hervorbringe.

Es handelt sich demnach oft um alleinerziehende Mütter, die zum ersten Mal oder nach langer Zeit wieder anschaffen gingen, weil sie im Zuge der Pandemie ihre Arbeit als Kellnerin oder Putzfrau verloren haben und verzweifelt seien. "Für viele ist die Rückkehr oder der Eintritt in die Prostitution der einzige Weg, um ihre Familien zu versorgen", erklären Inmaculada Mas Nadal und Rafa Campos von der Organisation Ärzte der Welt der Deutschen Presse-Agentur.

Voriges Jahr habe man sich um 1.168 Menschen gekümmert, die auf Mallorca und den anderen Balearen-Inseln der Prostitution nachgingen, die in Spanien in einem rechtlichen Graubereich stattfindet. Davon seien 439 Menschen zum ersten Mal betreut worden. Dass es wegen der Krise immer mehr "Neulinge" gibt, bestätigt auch Magdalena Alomar von der gemeinnützigen Organisation Casal Petit.

"Neulinge" wie Leila. Die Marokkanerin erzählte der Regionalzeitung "Última Hora", sie habe im Zuge der Krise ihren Job als Küchenhilfe in einem Restaurant verloren. Sie sei neu im Metier. Ihrer Familie verheimliche sie die neue Tätigkeit. "Ich muss meiner Mutter und meinen Geschwistern Geld schicken. Wir sind arm."

Prostituierte unterhalten sich während einer Pause an der Puerta de Sant Antoni in Palma de Mallorca.
Prostituierte unterhalten sich während einer Pause an der Puerta de Sant Antoni in Palma de Mallorca. © Mar Granel/dpa

Viel Geld wird derzeit aber nicht eingenommen. Leila sprach mit der Journalistin am letzten Sonntag im Januar. "Seit Freitag ist niemand mehr gekommen." Kein Wunder, dass der "komplette Dienst" hier im Zentrum Palmas, unweit der Nobel-Einkaufsstraße Passeig del Born, bereits für 15 Euro angeboten wird, wie Jaume Perelló von Casal Petit erzählt. Laut "Última Hora" stehen sich die meisten Frauen jeden Tag zwölf Stunden lang die Beine in den Bauch - und kommen trotzdem auf Einnahmen von nur rund hundert Euro die Woche.

"Die Frauen erzählen uns, dass viele die Preise gesenkt haben und auch Sex ohne Schutz akzeptieren, weil der Konkurrenzkampf so groß ist", erzählen die Helfer von Ärzte der Welt. Die Kunden verhandelten nun mehr. Dabei sind die Arbeitsbedingungen nicht nur wegen des Virus viel gefährlicher als zuvor. Die Zuhälter übten in der Krise auch viel mehr Druck auf die Frauen aus, heißt es.

Schulden bei den Schleppern

An der Plaça Sant Antoni versichern die meisten Frauen gegenüber Medien, dass sie keinen Zuhälter haben. Perelló weiß aber, dass das nicht immer stimmt und dass einige bei den Schlepperbanden, die sie nach Spanien gebracht haben, mit bis zu 7.000 Euro in der Kreide stehen. Deshalb müssten sie "jeden Preis akzeptieren". Körperliche und psychologische Gewalt sei Alltag. Auch Catalina Bagur vom Roten Kreuz auf Mallorca spricht von einer "extremen Notlage" der Frauen.

Betroffen sind die Schwächsten der Schwachen. Nach Angaben von Ärzte der Welt haben zwei Drittel der von der Organisation betreuten Prostituierten eine Familie zu versorgen. Und davon seien die meisten, etwa 80 Prozent, alleinerziehende Mütter. Die meisten sind Einwanderinnen aus Ländern wie Kolumbien, Rumänien und Marokko.

Aber es gibt auch Mallorquinerinnen, die vor der Pandemie zwar oft einen Job etwa als Putzfrau, Kinder- oder Seniorenbetreuerin, aber keinen Arbeitsvertrag hatten und daher leicht vor die Tür gesetzt werden konnten. Sie haben kein Recht auf Kurzarbeits- oder Arbeitslosengeld. Wie María, die dem Strich vor Jahren entkommen konnte, ein Auskommen als Putzfrau hatte und nun mit 53 wieder auf der Straße landete. "Ich hatte keine Alternative", sagt sie.

Nach einer Studie der Universität der Balearen hat sich die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen in nur einem Jahr auf 34.000 verdoppelt. Die Tristesse ist in der Party-Hochburg enorm. Die Zahl der Urlauber fiel 2020 um fast 90 Prozent, Touristen muss man derzeit am Ballermann mit der Lupe suchen. Restaurants und Bars sind mindestens bis Anfang März dicht. "Die langsame Rückkehr zur Normalität wird erst in vielen Monaten beginnen", sagt der angesehene Arzt Joan March der Zeitung "Última Hora". (dpa)