Dresden. Nach der Ausbreitung des mutierten Coronavirus in Tschechien und Tirol hat die Bundesregierung neue Einreisebeschränkungen und Grenzkontrollen beschlossen. Beide Regionen wurden als sogenannte Virusmutationsgebiete eingestuft. Der Freistaat Bayern und der Freistaat Sachsen hätten um diese Maßnahmen gebeten, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer. Die Kontrollen sollen ab kommenden Sonntag um 0 Uhr gelten.
Damit werden auch Sachsen und Bayern die Bestimmungen für tschechische Pendler rasant verschärfen. So sollen nach Sachsen nur noch Pendler in wichtigen Systemberufen wie dem Gesundheitswesen und der Pflege pendeln dürfen, und auch nur bei täglicher Testung. Alle anderen brauchen einen negativen Test und müssen danach zusätzlich zwei Wochen in Quarantäne.
„Die Pendlerbewegungen werden deutlich eingeschränkt werden“, kündigte Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer an. Wie bisher will Sachsen einen Zuschuss pro Nacht zahlen, wenn Pendler aus Tschechien am Arbeitsort bleiben. Er habe Tschechien Hilfe angeboten, fügte der CDU-Politiker hinzu.
Kritik vom DGB Sachsen
Der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Dresden, Detlef Hamann, appellierte an die Unternehmen, sich auf eine Grenzschließung einzustellen. Tschechische Pendler seien vor allem für die Industrie in der Region Chemnitz unverzichtbar. Wie bisher will Sachsen einen Zuschuss von 40 Euro pro Nacht zahlen, wenn Beschäftigte aus Tschechien am Arbeitsort bleiben.
„Das käme einem Pendelverbot gleich“, kritisiert auch Anna Bernstorf, Sprecherin des DGB Sachsen. Denn in den Ausnahmebranchen arbeiten nur knapp 700 von rund 11.000 Pendlern. „Die übergroße Mehrheit ist im verarbeitenden Gewerbe und der Logistik beschäftigt.“ Bernstorf nennt Firmen wie DHL, Deutsche Post und auch die Ernährungswirtschaft. Bei den Firmen wächst entsprechend die Unsicherheit. „Dabei ist bis heute in Sachsen kein einziger Fall eines Covid-Ausbruchs in Firmen bekannt, in denen tschechische Arbeitnehmer arbeiten“, sagt Bernstorf. Im Gegenteil, diese Mitarbeiter seien durch regelmäßige Tests am besten überwacht.
Tschechien schottet derweil drei Grenzbezirke von der Außenwelt ab: die Bezirke Cheb, Sokolov sowie Trutnov im Dreiländereck zu Polen und Sachsen.
Abriegelung gilt für drei Wochen
Der Kreis Sokolov an der Grenze zu Westsachsen im Raum Klingenthal und der benachbarte Kreis Cheb im Dreiländereck Sachsen, Bayern, Tschechien gehört gemeinsam mit dem Kreis Trutnov im Riesengebirge seit Wochen zu den am schwersten betroffenen Regionen Tschechiens. Die Inzidenz liegt bei über 1.000. Die Lage scheint außer Kontrolle zu sein.
Zwar wird in Tschechien viel getestet. Doch der hohe Anteil der Positivtests von einem Viertel bis zuletzt sogar einem Drittel lässt auf hohe Dunkelziffern schließen. Speziell im Kreis Trutnov soll die schnelle Verbreitung auch an Mutanten der britischen Variante liegen. Deshalb greift die tschechische Regierung nun zu drastischen Maßnahmen.
Seit der Nacht zu Donnerstag sind die drei Kreise abgeriegelt. Nur noch in Ausnahmefällen wie dem Weg zu Arbeit oder Schule und zwecks Transitverkehrs dürfen die Kreise verlassen oder in die Kreise gefahren werden. Die Sperrung soll von 580 Polizisten an 80 Orten kontrolliert werden, meldet das Innenministerium. Laut Hygienechefin Jarmila Rážová gilt die Abriegelung zunächst für drei Wochen.
Die Anordnung, mindestens OP-Masken zu tragen, wurde auf alle öffentlichen Plätze ausgedehnt. Gesundheitsminister Jan Blatný empfahl das Tragen von FFP2-Masken. In Innenräumen gilt die Maskenpflicht de facto überall, also auch an Arbeitsplätzen. Soweit möglich, soll im Homeoffice gearbeitet werden. Die Maßnahmen sind in Tschechien derzeit mit jenen in Deutschland vergleichbar. Lediglich Kitas sind geöffnet und die Schule für Kinder der ersten und zweiten Klasse.
Aktueller Notstand endet am Sonntag
Die Reaktionen auf die Maßnahme fallen nahezu gleich aus: „Richtig, aber viel zu spät“, sagt Jiří Černý, der Vizebürgermeister von Cheb, und fügt hinzu: „Es bleibt eigentlich keine andere Möglichkeit mehr, als das Leben für zehn Tage komplett anzuhalten.“ Selbst in den Betrieben ist eine geregelte Arbeit nicht mehr möglich. „Bei uns ist die Hälfte der Belegschaft krank“, sagte Jiří Hlavatý, der Chef des Textilunternehmens Juta im Kreis Trutnov.
Es gibt aber auch Stimmen, die die verschärfteren Maßnahmen für ganz Tschechien fordern. „Denn die Zahlen sind fast überall viel zu hoch“, sagt Martin Komárek, Kommentator der Tageszeitung Deník. Der am wenigsten betroffene Kreis Jeseník weit im Osten des Landes hat mit 173 eine höhere Wocheninzidenz als jeder Landkreis in Sachsen. Normal sind dagegen Inzidenzen von 300, 400 und höher. „Eine Pflicht zum Tragen von FFP3-Masken ist überfällig“, fordert Komárek.
Vorraussetzung für diesen radikalen Schritt wäre aber, dass der Notstand verlängert wird. In Tschechien stimmt darüber anders als in Deutschland das Parlament ab. Doch dort hat die Regierung keine eigene Mehrheit. Der aktuelle Notstand endet am Sonntag. Die Abstimmung fand erst am Donnerstagabend statt.