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Was passiert mit den Hunden nach dem Lockdown?

Die Corona-Krise bringt nicht nur eine höhere Nachfrage nach Haustieren mit sich. Tierheime wie das in Pirna stehen vor immer größeren Problemen.

Von Luisa Zenker
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Hunde wie Jesus warten im Tierheim von Pirna auf neue Besitzer. Die Nachfrage ist in Zeiten von Corona groß. Aber wie lange bleibt das so?
Hunde wie Jesus warten im Tierheim von Pirna auf neue Besitzer. Die Nachfrage ist in Zeiten von Corona groß. Aber wie lange bleibt das so? © kairospress

Pirna. Leise dudelt das Radio. Ein Hund beginnt zu bellen, ein zweiter steigt ein. Gedämpfte Stimmen in den engen Gängen. „Ist das Futter für Timmy fertig?“ Tierpflegerin Cora Michler sortiert dreckige Lappen in der Hundeküche, nimmt einen silbernen Napf in die Hände, die glitschigen Fleischstücke könnten zwei Erwachsene sättigen. Neben der Spüle stapeln sich Plastiksäcke voller Trockenfutter. In schweren Arbeitsschuhen stiefelt Cora zielstrebig an den weißgefliesten Hundezwingern vorbei. Samy, ein schwarzer Mischlingshund, lugt zwischen Gitterstäben hervor. Sein Napf ist schon leer. Hund Jesus winselt auf der anderen Seite. Die Schnauze weiß, der Kopf braun, die Ohren grau. 15 Hunde sind zurzeit im Pirnaer Tierheim untergebracht.

„Damit sind wir fast voll“, sagt Cora und öffnet die Hundeklappe. Ein kleines fuchsfarbenes Etwas kommt angeschossen – Mischling Bodo durfte auf der Wiese tollen. Jetzt gibt es Frühstück, ein Gulasch aus Trocken- und Nassfutter.

Jeden Morgen um 7 Uhr beginnt die Schicht für Cora – auch am Wochenende. Dann umgibt die 21-Jährige ein Geruch aus Hundekot, Dosenfutter und Seife. Letztere kennt Cora gut, Putzen gehört zur Hauptarbeit der Tierpflegerin. „Viele denken, dass wir den ganzen Tag Katzen streicheln und mit Hunden Gassi gehen. Das machen wir aber meist in unserer Freizeit. 70 Prozent der Arbeit sind wir mit Putzen beschäftigt.“

Die Tierpflegerinnen Doreen Ziska und Cora Michler brauchen für ihren Beruf nicht nur ein Gespür für das Tier, sondern auch für den Menschen. Das bewährt sich gerade jetzt in der Corona-Zeit. Seit mehr als zwei Jahren arbeiten sie im Tierheim Pirna.
Die Tierpflegerinnen Doreen Ziska und Cora Michler brauchen für ihren Beruf nicht nur ein Gespür für das Tier, sondern auch für den Menschen. Das bewährt sich gerade jetzt in der Corona-Zeit. Seit mehr als zwei Jahren arbeiten sie im Tierheim Pirna. © kairospress

Kollegin Doreen Ziska zieht die Braue hoch, während sie den Lappen auswringt: „Ich glaub, es sind 80 Prozent.“ Sauberkeit ist wichtig im Tierheim. Auch Hunde können in Quarantäne kommen, die Krankheit heißt dann nicht Covid-19, sondern „Giardiasis“. Und die ging vor Kurzem im Pirnaer Tierheim rum: „Mieser Durchfall.“

Im Tierheim hinterlässt die Krankheit Covid-19 zwar keine fiebrigen Hunde, aber ein klingelndes Telefon in Dauerschleife.

Lange Wartelisten bei den Hundezüchtern und leere Hamsterkäfige in Zoohandlungen sind im Reich der Haustiere die Langzeit-Folgen der Pandemie. Knapp 35 Millionen Hunde, Katzen, Kleinsäuger und Ziervögel lebten 2020 in deutschen Haushalten, eine Million Tiere mehr als vor einem Jahr, sagt der Industrieverband Haustierbedarf. 2020 wurden nach Angaben des Verbands für das deutsche Hundewesen (VDH) schätzungsweise 20 Prozent mehr Hunde gekauft. Ganz genau kann es niemand sagen, in Deutschland gibt es kein Hunderegister. In 22 europäischen Nachbarländern ist das seit Jahren Vorschrift, erklärt Geschäftsführer Jörg Bartschere vom VDH. Hundezüchter würden ihre Telefonnummern aus dem Internet streichen, weil die Nachfrage zu hoch sei.

Auch Katzen sind während der Pandemie beliebter geworden. Sally hat inzwischen eine Familie gefunden.
Auch Katzen sind während der Pandemie beliebter geworden. Sally hat inzwischen eine Familie gefunden. © kairospress

Die Tierschützerin Regina Walther aus Pirna erzählt: „Viele sind allein zu Hause. Die Leute freuen sich, wenn sie sich um jemanden kümmern können, jemanden zum Kuscheln haben.“ Außerdem sei das Gassigehen in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen ein guter Grund, um vor die Tür zu dürfen. Walther befürchtet, dass nach Ende des Lockdowns die vielen neu gekauften Hunde, Katzen und Kleintiere ins Tierheim abgeschoben werden.

„Ich hab Sorge, dass wir die Tiere dann nicht aufnehmen können.“ Schon jetzt registriere sie mehr Telefonanrufe von Tierbesitzern, die Schwierigkeiten mit dem eigenen Hund hätten. „Zum Glück laufen die Vermittlungen gerade sehr gut“, sagt sie. Die Leute stehen Schlange – nicht nur bei den Züchtern, sondern auch im Tierheim.

Tierschützerin Regina Walther sorgt sich zudem um die Erziehung der Hunde: „Es braucht mehr Kontrollen. Hier im Tierheim schaut jeder ganz genau hin, wie die Tiere gehalten werden. Da draußen interessiert es niemanden.“ Regina Walther sieht viele Problemfälle – auch in Pirna. Schlecht erzogene junge Hunde. Gerade in Zeiten von geschlossenen Welpenschulen und eingeschränktem Trainingsbetrieb für Hunde. „Später landen sie dann verhaltensauffällig bei uns, weil sie nicht mehr zu händeln sind.“

Leinen zum Gassigehen gibt es mehr als genug.
Leinen zum Gassigehen gibt es mehr als genug. © kairospress

Auch Tierpflegerin Cora sieht die gestiegene Nachfrage nach Haustieren skeptisch. Wie aber kann sie den geeigneten vom corona-gelangweilten Tierliebhaber unterscheiden? Es ist eine Aufgabe, die ein klares Gespür nicht nur für das Tier, sondern auch für den Menschen erfordert. „Ich frage immer, wie denn das Leben der Leute normalerweise aussieht. Arbeiten sie für gewöhnlich im Büro und sind tagsüber nicht zu Hause? Reisen sie viel? Wir schauen uns immer die Wohnungen vorher an“, sagt Cora, der die Entscheidung oft schwerfällt. Cora blickt in den Zwinger von Hund Jesus, der die Ohren spitzt, während er im geflochtenen Korb voller bunter Decken lungert. Der Mischling legt seinen Kopf auf den Pfoten ab. In der Stellung verharrt er, beobachtet geduldig das Treiben. Treuer Kulleraugenblick. Er wirkt gelassen. „Jesus ist ein Sitzenbleiber.“ Seit mehreren Jahren lebt der 16-Jährige im Tierheim, wurde mal vermittelt, kam dann wieder zurück.

Das Telefon klingelt. Ein Interessent, der einen jungen Pudel sucht. „Haben wir nicht.“ Cora legt auf und schüttelt den Kopf. Zu viele Ansprüche. Familienfreundlich, hübsch, jung soll er sein. „Die Leute wollen zu viel. Sie hätten am liebsten einen Katalog, wo sie Eigenschaften und Farbe aussuchen können. Ist ja lieb, dass sie im Tierheim anrufen, aber bei uns sind nun mal oft die schwierigen, älteren Hunde.“ Das sei bei Hund Jesus nicht anders, der draußen einen Maulkorb tragen muss. „Ja, der beißt auch mal, das verschreckt viele.“

Fürs Foto posieren klappt super.
Fürs Foto posieren klappt super. © kairospress

Das Telefon klingelt schon wieder. Die Polizei, sie hat zwei Welpen in einem Kofferraum an der tschechischen Grenze entdeckt. Vermutlich geschmuggelt. Ein Geschäft, das in Corona-Zeiten floriert, die Preise für Haustiere sind ins Unermessliche gestiegen. Wenn die Anfrage bei Züchtern und Tierheimen erfolglos bleibt, sucht der Interessent per Mausklick nach dem erhofften Haustierglück. Bei Ebay fällt nicht auf, ob ein Hund einen Pass besitzt oder nicht.

Das Tierheim Pirna nimmt keine geschmuggelten Welpen auf. Zu wenig Platz in dem alten verwinkelten Gutshaus, das unterteilt ist in Katzen- und Hundestube und daneben noch neun Ratten, zwei Kaninchen und zwei Meerschweinchen beherbergt. Manchmal auch Mäuse.

Enge Gänge verbinden die Räume. Dort hängen rote, blaue, grüne Hundeleinen, Dosen voller Katzen- und Hundefutter stapeln sich in den Ecken. Dankeskarten von Familien schmücken Wände. Daneben prangen von einem Plakat zehn Bitten eines Hundes an einen Menschen: Die erste lautet: Mein Leben dauert 10 bis 12 Jahre. Jede Trennung von dir bedeutet Leiden.“

Landrat um Hilfe gebeten

Auf der anderen Seite des Gangs: Patenschaftsurkunden. Fotos von Tierheimfesten bei sonnigem Wetter. „Die Veranstaltungen fehlen uns“, sagt Tierpflegerin Cora. Die Feiern seien finanziell wichtig gewesen. Zwar hat das Tierheim in Pirna noch Glück, der Kreis der Unterstützer ist groß.

Andere Tierheime dagegen müssen Rücklagen aufbrauchen, die ursprünglich für Modernisierungen geplant waren. Dem Tierschutzbund zufolge sind in 56 Prozent der Tierheime die Spendeneinnahmen durch die Corona-Krise gesunken. Auch in Sachsen haben einige Tierheime zu kämpfen. Peter Vater vom Görlitzer Tierheim ärgert sich über die finanzielle Situation.

„Wir gelten nicht als systemrelevant, aber wenn die Leute in Quarantäne kommen, sollen wir die Tiere aufnehmen.“ Wenige Spenden, laufende Personalkosten und nun noch die Testpflicht: „Wir müssen jedem unserer Mitarbeiter einen kostenlosen Schnelltest anbieten, das sind 215 Euro pro Woche.“ Wo soll der Tierheimleiter das Geld hernehmen? Er habe jetzt den Landrat um Hilfe gebeten. Eine wichtige Einnahmequelle ist für viele weggefallen: Die Pensionstiere für zwei oder drei Wochen. „Die Leute fahren ja nicht mehr in den Urlaub“, sagt ein anderer Tierheimleiter.

Die drei jungen Frauen arbeiten gern im Tierheim.
Die drei jungen Frauen arbeiten gern im Tierheim. © kairospress

Die finanzielle Situation sei auch vor Corona ein Problem gewesen, sagt Tierschützerin Walther. Tierheime finanzieren sich hauptsächlich über Spenden, die Kommune kommt meist nur innerhalb einer kurzen Zeit für die Fundtiere auf. „30.000 Euro geben wir pro Jahr allein für den Tierarzt aus.“ Corona ist nicht die einzige Herausforderung für die Tierheime.

Boxermischling Aron gegenüber beginnt zu bellen. „Hör doch mal auf“, sagt Doreen, streichelt ihm liebevoll den Kopf. Als die 30-Jährige zum Besen greift, fängt er wieder an. „Wir könnten stundenlang so weitermachen und uns um die Tiere kümmern. Aber irgendwann muss man auch mal abschalten.“ Sonst nehme man die Tiergeschichten mit nach Hause.

Die Tierpflegerinnen erinnern sich noch gut an eine Dogge. Sie kam im Februar nach Pirna, stark unterernährt. In ihrem Bauch ein großer Tumor. Nach zwei Wochen musste sie eingeschläfert werden. Zu spät wurde dem alkoholsüchtigen Besitzer der Hund weggenommen.

Eine andere Geschichte handelt von zwei Meerschweinchen. Im Winter stand über Nacht plötzlich eine Box mit zwei piepsenden Nagern vor dem Tierheim, mitten im Schnee. „Die meisten Tiere kommen, weil sich etwas in der Familie oder im Beruf geändert hat. Dann sind es die Haustiere, die zuerst drunter leiden.“

Seit der Corona-Krise hält Cora Michler den Telefonhörer öfter in der Hand. Viele rufen vergeblich an.
Seit der Corona-Krise hält Cora Michler den Telefonhörer öfter in der Hand. Viele rufen vergeblich an. © kairospress

Cora berichtet vom Animal Hoarding, einer Sucht, zu viele Tiere zu halten. Laut Deutschem Tierschutzbund steigen die Fallzahlen. Im Durchschnitt findet die Polizei dann 80 Tiere pro Besitzer.

Neben Fundtieren kommen nach Pirna auch eingefangene Straßenhunde aus dem weltweit größten Tierheim „Smeura“ im rumänischen Pitesti. Seit Dezember teilt sich Cora ihre Wohnung mit einem Rumänen, der den Kopf einzieht, wenn man die Hand in seine Richtung hält. Einer, der nie gelernt hat, mit Menschen zu leben. Cora und Doreen könnten noch viele Geschichten über leidende Tiere erzählen, Geschichten von Gestrandeten, die im Hundezwinger monate- oder jahrelang nach einem Happy End suchen.

Im Tierheim naht die Mittagspause. „Endlich mal sitzen.“ Alle sind versorgt. In einer Stunde würde der Besucherverkehr losgehen. Normalerweise. Seit der Corona-Zeit werden Termine vereinbart. „Dadurch ist es ruhiger geworden. Das merkt man den Tieren an.“ Trotz der Ruhe hat die Corona-Krise auch negative Folgen für die Hunde. Keine Besuche bedeuten auch: keine regelmäßigen Gassigänge. Cora und Doreen schaffen es nicht, mit allen Hunden täglich rauszugehen. Ob nun systemrelevant oder nicht, die Pflegerinnen müssen weiter Katzengehege putzen, Hunde füttern, Menschen einschätzen. Hundebitte Nummer zehn auf dem Plakat an der Wand erinnert: „Du hast deine Arbeit, dein Vergnügen, deine Freunde. Ich habe nur dich.“