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"Die Krankheit tobt sich jetzt bei Ungeimpften aus"

Viele Deutsche sind mittlerweile gegen Corona geimpft: Doch die Zahl der Patienten steigt wieder. Weltärztebund und Krankenhausgesellschaft schlagen Alarm.

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"Wer sich jetzt nicht impfen lässt, riskiert sein Leben und das seiner Mitmenschen", meint Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Weltärztebundes.
"Wer sich jetzt nicht impfen lässt, riskiert sein Leben und das seiner Mitmenschen", meint Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Weltärztebundes. © Rolf Vennenbernd/dpa

Berlin. Angesichts steigender Corona-Infektionszahlen wächst abermals die Sorge vor einer Überlastung der Krankenhäuser. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sieht eine "kritische Situation der Pandemie". Nach Einschätzung des Weltärztebundes arbeiten das Pflegepersonal der Intensivstationen und die Ärzte längst am Anschlag. Kinderärzte hoffen, dass bald auch Covid-19-Impfungen für unter Zwölfjährige in Deutschland möglich sind. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hatte am Mittwoch angekündigt, möglichst noch vor Weihnachten zu entscheiden, ob sie eine Empfehlung für Corona-Impfungen für Kinder zwischen fünf und elf Jahren ausspricht.

Viele Intensiv-Pflegekräfte haben ihren Job aufgegeben

Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, hat vor einer Überlastung der Krankenhäuser durch ungeimpfte Patienten gewarnt. "Die Krankheit tobt sich jetzt bei den Ungeimpften aus, während die Geimpften recht zuverlässig vor schweren Verläufen geschützt sind", sagte Montgomery der "Augsburger Allgemeinen" am Donnerstag. Das Pflegepersonal der Intensivstationen und die Ärzte arbeiteten längst am Anschlag. "Wer sich jetzt nicht impfen lässt, obwohl er es machen könnte, riskiert sein Leben und das seiner Mitmenschen."

Die gegenwärtige Entwicklung mache ihm große Sorge. "Wir müssen alles in unserer Macht Stehende versuchen, um die Impfraten zu erhöhen", sagte Montgomery. "Das Nutzen-Risiko-Verhältnis hat sich daher dramatisch zugunsten der Impfungen verschoben – trotz Impfdurchbrüchen."

Nach wie vor seien die Inzidenzzahlen und die Krankenhausaufnahmen eng miteinander verknüpft. Nur der Faktor habe sich dabei geändert. "Bei hoher Durchimpfung der Bevölkerung gibt es sehr viel mehr milde Verläufe – die müssen nicht ins Krankenhaus, aber viele Ungeimpfte erkranken nach wie vor schwer", warnte er. Viele Pflegekräfte und Ärzte hätten die Arbeit im Intensivbereich aufgegeben – auch, weil sie es leid seien, sich für die Unvernunft von Impfgegnern abzurackern.

Kinderärzte fordern zügige Impfungen für Kinder

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Donnerstag: "Wir befinden uns in einer kritischen Situation der Pandemie." Die Zahl der mit einer Covid-Infektion im Krankenhaus versorgten Patienten sei binnen einer Woche deutlich gestiegen. "Wenn diese Entwicklung anhält, haben wir schon in zwei Wochen wieder 3000 Patienten auf Intensivstation", warnte Gaß. "Auch wenn die Krankenhäuser dies leisten können, wird es dann nicht ohne Einschränkung des Regelbetriebs ablaufen können", sagte der Verbandschef. Dann müssten die Mediziner in den Kliniken wieder planbare, weniger dringliche Behandlungen verschieben.

Zum Höhepunkt der Pandemie im Januar 2021 wurden mehr als 5.700 Corona-Erkrankte intensivmedizinisch behandelt. Derzeit liegen nach Zahlen aus dem Intensivregister fast 1.800 Menschen auf der Intensivstation und knapp 4.300 Patienten auf der Normalstation.

Wegen gestiegener Corona-Inzidenzen gerade auch in jüngeren Altersgruppen setzen Kinderärzte auf zügige Covid-19-Impfungen für unter Zwölfjährige. "Wir hoffen darauf, dass in den nächsten Wochen eine europäische Zulassung des Biontech-Impfstoffs für die Altersgruppe der Fünf- bis Elfjährigen kommt, die dann auch in Deutschland übernommen wird", sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Jörg Dötsch, den Zeitungen der Funke Mediengruppe am Donnerstag. Nach seinen Worten wären Corona-Impfungen in dieser Altersgruppe damit auch ohne eine ausdrückliche Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) "rechtlich abgesichert". Die Empfehlung könnte dann nach genauer Prüfung der Daten zu Nebenwirkungen in den Wochen darauf folgen.

Zuletzt ist die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner und Woche in Deutschland stark gestiegen - am Donnerstagmorgen gab das Robert Koch-Institut den Wert mit 130,2 an. Zum Vergleich: Am Vortag hatte die Sieben-Tage-Inzidenz bei 118,0 gelegen, vor einer Woche bei 85,6. Nach RKI-Angaben vom Mittwoch sind 66,4 Prozent der Menschen in Deutschland vollständig geimpft.

Die Pläne der künftigen Ampel-Koalition

Zugleich hatten SPD, Grüne und FDP, die eine gemeinsame Bundesregierung bilden wollen, am Mittwoch erklärt, die gesetzliche Sonderlage wegen der Corona-Pandemie zum 25. November auslaufen zu lassen. Für eine Übergangszeit bis zum 20. März 2022 soll stattdessen aber eine neue rechtliche Basis für Corona-Vorgaben geschaffen werden. Damit sollen die Bundesländer weiterhin "weniger eingriffsintensive" Maßnahmen anordnen können - unter anderem zu Masken oder Zugangsregeln nur für Geimpfte, Genesene und Getestete.

Der neue Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU), sagte am Mittwoch im ZDF-"Heute Journal" zu den Plänen der künftigen Koalitionsparteien: "Ich habe die Ankündigung vernommen, dass man diesen Rechtsrahmen schaffen will. Aber da müssen wir jetzt schon genau darauf schauen. Die Details sind da wichtig. Da gibt es an der einen oder anderen Stelle durchaus Zweifel."

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte hingegen der "Rheinischen Post" am Donnerstag: "Das Eckpunktepapier wird der Bekämpfung der Corona-Pandemie gerecht. Es ist ein guter Kompromiss aus weiterhin möglichen Maßnahmen für die Länder und einer Absage an harte Einschnitte wie Lockdowns oder Ausgangssperren." (dpa)