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Wie lange geht das alles noch weiter, Herr Drosten?

Die Inzidenz ist hoch wie nie. Doch der Coronavirus-Experte Christian Drosten macht im Interview Hoffnung auf ein Ende der Pandemie.

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Christian Drosten ist Direktor des Instituts für Virologie an der Charité Berlin und einer der bedeutendsten Pandemie-Experten in Deutschland.
Christian Drosten ist Direktor des Instituts für Virologie an der Charité Berlin und einer der bedeutendsten Pandemie-Experten in Deutschland. © dpa/Kay Nietfeld

Von Sascha Karberg und Richard Friebe, Tagesspiegel

Herr Drosten, es ist fast auf den Tag zwei Jahre her, dass Sie erstmals im Berliner Tagesspiegel zu einer neuen Viruserkrankung zitiert wurden. Hätte Sie da jemand gefragt: „Wie werden wir in zwei Jahren über dieses Virus reden?“, was hätten Sie gesagt?

Ich kann Ihnen sagen, was ich damals gesagt habe: Das wird das Nachrichtenthema des Jahres, es wird 2020 kein anderes mehr geben. Das habe ich allerdings nur zu meiner Frau gesagt.

Was machte Sie damals schon so sicher? Am Anfang war ja noch nicht einmal klar, ob das neue Virus von Mensch zu Mensch übertragen wird.

Mitte Januar zeichnete sich auf Basis der Daten schon ab, dass es ernst wird. Man wusste, dass die Fallzahlen in China rasch steigen, vor allem beim Krankenhauspersonal – was immer ein erster Indikator ist, ob ein Virus von Mensch zu Mensch gut übertragbar ist.

Allerdings waren Sie am Anfang auch nicht sicher, wie ansteckend Sars-CoV-2 ist. Sie haben es anfangs eher wie Sars-1 eingeschätzt, das 2003 einfach verschwand.

Meine Einschätzung war, dass das ein schwer pathogenes Virus ist, dass es sich wie Sars-1 in erster Linie tief in der Lunge vermehrt und daher nicht so ansteckend ist. Dann kam die Webasto-Kohorte, die ersten Infektionsfälle in Deutschland beim Münchner Autozulieferer, und es wurde schnell klar: Die Patienten haben fast alle einen milden Verlauf, einige asymptomatisch. Aber die Messung der Viruslast und RNA-Transkription bei diesen Patienten zeigte, dass das Virus sich aktiv im oberen Rachenraum vermehren kann. Das war eine Überraschung.

Sie haben kürzlich gesagt, die Evolutionsfähigkeit des Virus habe Sie „komplett überrascht“. Warum, Viren mutieren ja nun einmal, musste man damit nicht rechnen?

Zu sagen, dass Viren nunmal mutieren, ist ein Allgemeinplatz. Die entscheidende Frage ist, ob man davon eine quantitative Vorstellung hat. Und da ist es eben so, dass kein heute lebender Virologe Erfahrung dazu hat, wie sich ein völlig neues Virus im Menschen etabliert. Selbst bei den Influenza-Pandemien von 2009 oder 1968 kann man ja nicht von neuen, für Menschen gänzlich unbekannten Viren sprechen. Mit Sars-Cov-2 ist es anders, das ist ein völlig neues Virus für die Bevölkerung. Ein Plus von Übertragbarkeit von 30 oder 40 Prozent, wie es einzelne Sars-Cov-2-Varianten zeigen, das gibt es bei Influenza nicht. Diese außerordentlich starke Zunahme der Übertragbarkeit bei Alpha, Delta und Omikron spricht schlicht gegen bisherige Erfahrungen.

Wobei Omikron noch mal eine andere Dimension der Anpassung ist als Alpha und Delta.

Alpha und Delta waren Fitness-Sprünge. Das Virus hat sich dabei besser an den Menschen angepasst und seine Übertragbarkeit optimiert. Das war überraschend, weil das Virus im Frühjahr 2020 ja schon mit einer sehr guten Übertragbarkeit begonnen hatte, die sich 2020 kaum veränderte. Erst kurz vor Weihnachten 2020 kamen die Signale aus England, dass Alpha eine Fitness-Erhöhung zeigt. Omikron hingegen ist eine Immunflucht-Variante, die dem Schutz durch Impfung oder Infektion mit anderen Sars-CoV-2-Varianten ein Stück weit ausweicht. Das ist eine Reaktion auf die sich entwickelnde Bevölkerungsimmunität. Ich habe schon damit gerechnet, dass das irgendwann passiert, aber nicht so früh. Nun ist es schon Ende 2021 so gekommen.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass eine Immunflucht-Variante wie Omikron schon jetzt aufgetaucht ist?

Sobald größere Teile einer Bevölkerung immun werden, gerät das Virus unter Druck. Es muss reagieren – durch eine Immunflucht-Variante. In Südafrika oder auch anderen Ländern im südlichen Afrika ist die Bevölkerung schon sehr stark durchinfiziert. In so einer Population haben dann Virusvarianten einen Selektionsvorteil, die diese Immunität umgehen können.

Was ist da noch zu erwarten an Veränderung? Gibt es ein Ende der Veränderungsfähigkeit von Sars-Cov-2?

Das Änderungspotenzial von Sars-Cov-2 ist grundsätzlich begrenzt. Das Virus kann nicht das Spike-Protein strukturell so stark verändern, dass es gar nicht mehr wiederzuerkennen ist. Also es gibt einen gewissen, begrenzten Mutationsraum, den das Virus benutzen kann. Aber das ist keine Halle, sondern eher ein Haus mit vielen Zimmern und manchmal kann eine Mutation eine Tür zu einem neuen Raum öffnen, in dem das Virus dann neu experimentieren kann. So kommt es zu gewissen Mutationssprüngen. Bei Influenza passiert das alle fünf bis acht Jahre mal, und man muss dann die Impfstoffe anpassen. Und so ein Sprung ist jetzt mit Omikron passiert. Das wird in Zukunft weiter passieren, alle paar Jahre oder jetzt, zu Beginn der Pandemie, vielleicht auch öfter.

Wird es immer so weiter gehen?

Für die weitere Zukunft erwarte ich, dass das zur Ruhe kommen wird - weil es bei allen vier zirkulierenden Erkältungs-Coronaviren auch passiert ist. Aber das ist eine evolutionsbiologische Antwort. Die relevante Frage, die alle interessiert, lautet ja: Wie lange geht diese Quälerei noch weiter mit der Pandemie? Und darauf kann ich viel besser antworten. Denn anders als der schwer abschätzbare Mutationsraum, entwickelt sich die Bevölkerungsimmunität bei Erwachsenen in eine klare Richtung: Die Bevölkerung baut Immunität auf und behält die auch. Und in diesem Prozess sind wir drin. Es gibt ein paar Länder, die sind schon am Ende damit, etwa Südafrika oder Indien, wo es sehr viel Virus-Zirkulation gab, allerdings auch zum Preis sehr vieler Todesfälle.

Was bedeutet das für Deutschland? Können wir bald die Pandemie für beendet erklären und die endemische Phase ausrufen?

Wir sind jetzt in diesem Prozess. Aber wegen des hohen Anteils Älterer in der Bevölkerung müssen wir das in Deutschland über Impfungen machen. Über natürliche Infektionen würden viel zu viele Menschen sterben. Wir haben jetzt schon ein ganzes Stück dieses Weges geschafft über Impfungen. Den müssen wir jetzt zu Ende gehen, damit wir im Laufe des Jahres 2022 in die endemische Phase kommen und den pandemischen Zustand für beendet erklären können.