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Wie Sachsens Wirtschaft bei Corona mitredet

Die Chefs der Industrie- und Handelskammer Dresden sind bei vielen Videokonferenzen mit der Politik dabei. Doch auch sie erleben Überraschungen.

Von Georg Moeritz
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Gerne zugeschaltet: Detlef Hamann nimmt als Hauptgeschäftsführer der IHK Dresden an Beratungen mit Ministerien teil. Manches kann er durchsetzen, manches enttäuscht ihn.
Gerne zugeschaltet: Detlef Hamann nimmt als Hauptgeschäftsführer der IHK Dresden an Beratungen mit Ministerien teil. Manches kann er durchsetzen, manches enttäuscht ihn. © Jürgen Lösel

Dresden. Existenznot beim Gastwirt, aber volle Auftragsbücher in vielen Fabriken: Andreas Sperl erlebt die starken Gegensätze der Corona-Wirkungen auf die Wirtschaft. Der Präsident der Industrie- und Handelskammer Dresden (IHK) ist zugleich Chef der Elbe-Flugzeugwerke. Die bekommen jetzt mehr Aufträge zum Umrüsten alter Passagierflugzeuge zu Frachtmaschinen, weil Internethandel und Luftfrachtverkehr wachsen.

Sein Unternehmen findet auch ausreichend Lehrlinge – während die Zahl neuer Lehrverträge im Bezirk Dresden insgesamt einbricht. An Schulabsolventen und ihre Eltern ist derzeit schwer heranzukommen, berichten Sperl und IHK-Hauptgeschäftsführer Detlef Hamann. Mit Politikern sprechen sie dagegen viel und nehmen gerne Einfluss.

Eile: Zwölf Stunden Zeit für Stellungnahme

Jede Woche Videokonferenz mit Wirtschaftsministerium und Aufbaubank, immer donnerstags mit dem Sozialministerium – und vorige Woche war CDU-Chef Armin Laschet Gastredner bei einer Online-Vollversammlung der IHK Dresden. Hauptgeschäftsführer Hamann klagt nicht über mangelnden Zugang zur Politik. Eine Konferenzschaltung zum Landeshaushalt mit Fraktionsvertretern hat er auch absolviert.

Nach eigenen Angaben hat der Kammerchef Verbesserungen bei den Corona-Hilfen für die Wirtschaft durchgesetzt, etwa erhöhte Abschlagszahlungen auf Novemberhilfen fürs Gastgewerbe. Die Gespräche mit der Aufbaubank trugen zur Beschleunigung von Zahlungen und zur Klärung von Einzelfällen bei.

„Gut angehört“ fand sich Hamann auch, als Grenzpendlern aus Tschechien der Weg zur Arbeit nach Sachsen verwehrt wurde. Für sie machten auch Deutscher Gewerkschaftsbund und Arbeitgeberverband VSW gemeinsam Druck.

Click & Collect hat die Kammer seit Januar gefordert und sich mit dem Handelsverband für Lockerungen beim Einkaufen eingesetzt. Doch für Einwände zu den Corona-Schutzverordnungen erhielten auch die Wirtschaftsvertreter oft wenig Zeit: Hamann berichtet, dass in einem Fall zwölf Stunden für eine schriftliche Stellungnahme blieben, einmal nur eine Nacht. Politiker müssten erst verstehen, dass sie nicht freitags etwas beschließen könnten, das schon montags in allen Betrieben gilt.

Sorge um Wirte: Wer mitziehen soll, braucht Belohnung

Von der überraschend angekündigten Osterruhe und dem Rückzieher der Kanzlerin vorige Woche wurden auch die Wirtschaftsverbände überrascht. Hamann schätzt, dass ein zusätzlicher Ruhetag zu milliardenschweren Entschädigungszahlungen geführt hätte. Die Politik treffe „Entscheidungen, deren Folgen sie nicht übersehen kann“, sagt der Hauptgeschäftsführer.

Nun lasse die Akzeptanz nach. Immer wieder sei Hoffnung auf Öffnungen gemacht worden. „Der Mensch will irgendwann eine Belohnung fürs Mitziehen“, sagt Hamann. Die Gastronomie bleibe auch bei den neuen Öffnungsstrategien außen vor. Seit November seien die Wirtschaften geschlossen, Kellner wechselten den Beruf.

Kleine Einzelhändler könnten sich mit Online-Bestellungen nicht retten. Hamann schlägt vor, dass beim Wiederhochfahren dem Handel „vielleicht ein paar verkaufsoffene Sonntage mehr“ erlaubt werden, und der Gastronomie Erleichterungen beim Stühleaufstellen auf dem Bürgersteig.

Landeshaushalt: Schuldentilgung braucht mehr Zeit

Bei den Verhandlungen über Sachsens Landeshaushalt erinnert die IHK an die Interessen der Wirtschaft. Hamann fordert mehr Geld für Innovationen und Investitionen, „damit der Mittelstand wieder durchstarten kann“. Im Entwurf für den Haushalt seien zunächst 27 Prozent weniger Geld für Wirtschaftsförderung angesetzt worden als zuvor, das mache 200 Millionen Euro aus.

Stattdessen sei aber Geld für unnötige Doppelstrukturen vorgesehen. Auf Nachfrage nennt Hamann das geplante Zentrum für Fachkräftesicherung und Gute Arbeit (Zefas) mit 30 Mitarbeitern in Chemnitz. Davon erhoffen sich Gewerkschafter neuen Schwung für Gute Arbeit – die IHK hält es nicht für nötig.

Anders als der Arbeitgeberverband VSW kann sich die Kammer aber vorstellen, die Tilgung der Landesschulden zu verschieben. Sechs Milliarden Euro in acht Jahren zurückzuzahlen, das hält Hamann nicht für machbar.

Ausbildung: Mehr als 1.400 Plätze in Lehrstellenbörse frei

Die Prüfer der IHK Dresden haben trotz Corona fast 2.300 Zwischenprüfungen abgenommen. Sperl sieht nun eine „große Herausforderung“ darin, im Sommer für fast 4.000 Kandidaten die Abschlussprüfungen zu organisieren. Noch schwieriger aber ist die Nachwuchsgewinnung: 536 neue Ausbildungsverträge hat die IHK bisher fürs neue Lehrjahr eingetragen. Vor einem Jahr waren es noch 244 mehr.

Sperl weiß, dass Betriebe ohne Praktika und Lehrstellenmessen nicht leicht Auszubildende finden. Viele Jugendliche schöben Entscheidungen auf und gingen zunächst noch auf weiterführende Schulen. Dabei stehen 1.463 freie Plätze in der IHK-Lehrstellenbörse. Die Zuschüsse fürs Ausbilden wurden erhöht, nachdem das erste Angebot laut Hamann „ein Rohrkrepierer“ war.

Nach der Corona-Krise wird der Fachkräftemangel erneut zu spüren sein, sagt der Hauptgeschäftsführer voraus. Auch über schwierigen Fragen zu Energiewende oder Lieferkettengesetz liege zwar jetzt „Corona wie ein Schleier“. Doch bald würden alte Probleme rufen: „Hier bin ich wieder!“