Das sind die Corona-Regeln für den Herbst

Von Albert Funk und Georg Ismar
Gut drei Stunden haben sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten am Dienstag Zeit genommen, um zu vereinbaren, wie Bund und Länder in den zweiten den Corona-Herbst gehen. Das Hauptziel: Es soll neuer Schwung in die Impfkampagne kommen.
Daher läuft das Beschlusspapier auf einen dringlichen Impfappell hinaus. „Wie sich die Infektionszahlen entwickeln, hängt maßgeblich davon ab, wie hoch die Impfquote in Deutschland ist. Deshalb werben die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und -chefs der Länder dafür, dass alle Bürger sich nun zügig impfen lassen“, heißt es in dem Beschluss. „Genug Impfstoff ist inzwischen vorrätig. Das Versprechen, jedem Bürger im Sommer ein Impfangebot zu machen, ist inzwischen erfüllt.“
Eine höhere Impfquote wird für erforderlich gehalten, weil die inzwischen vorherrschende Delta-Variante des Virus ansteckender ist. Die Runde betonte jedoch, dass die Impfstoffe auch gegen diese Variante eine hohe Wirksamkeit aufwiesen. Die Folge für alle, die nicht immunisiert sind: „Wer nicht geimpft ist, muss sich absehbar regelmäßig testen lassen, wenn er in Innenräumen mit anderen Menschen zusammentrifft, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern“, steht weiter in dem Papier.
Testpflicht-Befreiung als Anreiz
Schwung sollen nicht zuletzt „niedrigschwellige, zielgruppenbezogene und aufsuchende Angebote“ bringen – die Impfzentren sollen sozusagen zu den Leuten, nicht umgekehrt. Die Politik setzt dabei auch auf die Arbeitgeber. Sie sollen Mitarbeiter bei der Wahrnehmung von Impfangeboten unterstützen, „insbesondere durch Information von Beschäftigten, Schaffung von betrieblichen Impfangeboten durch Betriebsärzte sowie Freistellung der Beschäftigten zur Wahrnehmung von Impfangeboten“.
Als Anreiz soll auch dienen, dass Geimpfte und Genesene von sämtlichen Testpflichten befreit sind – es genügt, wenn sie, wo nötig, ihre Nachweise vorlegen. Auch gelten für sie keine Quarantänepflichten mehr – weder nach Kontakt mit Infizierten noch nach Rückreise aus dem Ausland. Die „Basisschutzmaßnahmen“ gelten aber weiter für alle: Abstandhalten, Händehygiene, das Tragen von Masken, wo geboten, regelmäßiges Lüften in Innenräumen. Wer Symptome hat, soll sich weiterhin testen lassen. Im Einzelhandel und im öffentlichen Personennahverkehr bleibt das Tragen medizinischer Masken vorgeschrieben. Die Erforderlichkeit dieser Maßnahmen wird mindestens alle vier Wochen überprüft.
Das sind die wichtigsten Vereinbarungen von Bund und Ländern:
- Der negative Corona-Test: Ungeimpfte sollen Zugang zur Gastronomie oder kulturellen Veranstaltungen nur noch mit negativem Testergebnis erhalten.
- Die 3G-Regelung: Zutritt zu Veranstaltungen im Innern oder Einrichtungen soll nur für geimpfte, genesene oder getestete Personen möglich sein.
- Die kostenlosen Tests: Gratistests sollen ab 11. Oktober nicht mehr zur Verfügung stehen. Ungeimpfte müssten dann für Coronatests bezahlen.
- Die pandemische Lage: Die Regelungen mit Sonderdurchgriffsrechten soll über den September hinaus vom Bundestag verlängert werden.
Vom 23. August an soll die sogenannte 3-G-Regel gelten: Wo vorgegeben, können dann nur Geimpfte, Genesene und Getestete Zugang bekommen. Nicht immunisierte Erwachsene (Schüler sind ausgenommen, weil sie ohnehin häufig getestet werden) sind dann verpflichtet, einen negativen Antigen-Schnelltest, der nicht älter als 24 Stunden ist, vorzulegen – oder aber einen negativen PCR-Test, der nicht älter ist als 48 Stunden. Die Geltungsbereiche der 3-G-Regel sind Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime sowie Einrichtungen der Behindertenhilfe.
Auch die Innengastronomie sowie Aufenthalte in Hotels, Pensionen und Ferienanlagen fallen darunter. Ebenso Veranstaltungen und Feste in Innenräumen, ob Kultur oder Sport. Wer Gottesdienste oder andere religiöse Zusammenkünfte in Innenräumen besuchen will, muss „3G“ beachten. Das gilt auch für die „Inanspruchnahme körpernaher Dienstleistungen“ – das sind Friseure, Kosmetikerinnen, Einrichtungen der Körperpflege. Sport im Innenbereich, ob in Fitness-Studios, Schwimmbädern oder Sporthallen, ist 3-G-pflichtig.
Die Pflicht gilt ab einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen – das ist die Einstiegsschwelle für Einschränkungen nach dem Infektionsschutzgesetz. Italien hat gerade erst eine ähnliche Regelung, die dort "Green Pass" heißt, eingeführt: Unabhängig von der Inzidenz darf man dort nur mit Impf-, Genesenen- oder Testnachweis zum Beispiel in Innenräume von Restaurants.
Bei größeren Veranstaltungen in Innenräumen, aber auch in Bars und Clubs soll es ein Sitzplatzgebot mit Abstandsregelung geben – so sollen Superspreader-Events klein gehalten werden. Länder und Kommunen können ergänzend zur 3G-Regelung im Einzelfall die Teilnehmerzahl und den Zugang begrenzen, wo sie dies für erforderlich halten. Es herrscht Einigkeit, dass bei Sportgroßveranstaltungen "oberhalb einer absoluten Zahl von 5.000 Zuschauenden die zulässige Auslastung bei maximal 50 Prozent der jeweiligen Höchstkapazität liegt, jedoch nicht bei mehr als insgesamt 25.000 Zuschauenden".
"Epidemische Lage" muss verlängert werden
Das Angebot kostenloser Schnelltests soll am 11. Oktober enden. Von da an müssen Nicht-Geimpfte damit rechnen, ihre Tests bezahlen zu müssen – ebenfalls ab der 35er-Schwelle. „Für Personen, die nicht geimpft werden können und für die keine allgemeine Impfempfehlung vorliegt (insbesondere Schwangere, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren), wird es weiterhin die Möglichkeit zum kostenlosen Antigen-Schnelltest geben“, heißt es in dem Beschluss. Die Begründung lautet, dass die Kosten nicht mehr von der Allgemeinheit getragen werden könnten, weil nunmehr alle ein Impfangebot bekommen hätten.
Da diese Beschlüsse nur möglich sind, wenn die Rechtsgrundlage dafür besteht, soll der Bundestag am 11. September die epidemische Lage von nationaler Tragweite verlängern.
Auf ein neues Stufensystem bei den Inzidenzwerten wollte sich die Runde nicht verständigen. Merkel machte deutlich, das man hier noch die Entwicklung abwarten wolle. Die im Infektionsschutzgesetz bisher vorgesehenen Warnschwellen von 35, 50 und 100 Infektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen haben laut Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) ausgedient. Ungeachtet einiger Differenzen besteht eine Übereinstimmung, Corona-Maßnahmen nicht mehr allein an die Infektionszahlen, also die Sieben-Tage-Inzidenz zu binden.
Bei der Ende Juni ausgelaufenen „Bundesnotbremse“ galt ein Maßnahmen-Automatismus bei einer Inzidenz von mehr als 100 Infektionen pro 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen – immer auf der Ebene der Stadt- und Landkreise. Das Infektionsschutzgesetz sieht zudem erste allgemeine Vorsichtsmaßnahmen und Beschränkungen schon bei Inzidenzen von 35 und 50 vor. Geplant ist, die Inzidenz durch Belegungsquoten in Kliniken und lokale Impfquoten zu ergänzen. Aber gerade die Impfquote spielt eine wesentliche Rolle - die Hoffnung ist nun, das durch vermehrte Impfungen dann die Schwellenwerte höher angesetzt werden können - was lokale Lockdowns dann weniger wahrscheinlich macht.

Das bisherige Stufenmodell ist mit der relativ hohen Impfquote fragwürdig geworden. „Wir benötigen ein abgestimmtes Vorgehen, das die Verhältnismäßigkeit wahrt – darauf haben uns zuletzt auch die Gerichte immer wieder hingewiesen“, sagte der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) dem Tagesspiegel.
So hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg vorige Woche entschieden, „dass im Hinblick auf das Fortschreiten der Immunisierung der Bevölkerung und der damit verbundenen weitgehenden Beschränkung des Infektionsgeschehens auf weniger vulnerable (jüngere) Gruppen eine Anpassung der Schwellenwerte an die geänderte Sachlage erforderlich sei“. Auf Grundlage der derzeit geltenden Schwellenwerte „könnten schwerwiegende Grundrechtseingriffe nur noch für einen kurzen Übergangszeitraum gerechtfertigt werden“
Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet hatte sich am Montag schon für ein „besonnenes, aber entschlossenes Handeln“ ausgesprochen. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident sagte, es gehe darum, im Herbst einen weiteren Lockdown zu vermeiden. Von den Bund-Länder-Beratungen müsse daher vor allem ein „großer und geschlossener Impfappell“ ausgehen.
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hatte vor dem Gipfel noch einmal für Corona-Impfungen geworben. Inzwischen seien 52 Millionen Menschen geimpft und „niemand ist ein Alien geworden“, sagte der SPD-Kanzlerkandidat der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ). „Viele, die bislang skeptisch gewesen sind, werden sich nun hoffentlich auch impfen lassen, und dann müssen sie sich auch nicht länger testen lassen.“