"Der Ministerpräsident macht es sich da zu einfach"

Dresden. Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) war auf Dienstreise im Kongo, während die Corona-Krise immer dramatischer in der Stadt wurde. Die Weihnachtsmärkte wurden viel zu spät verboten, erst kurz bevor einige eröffnen sollten - Striezelmarkt und Co. können nun das zweite Jahr in Folge nicht stattfinden.
Viel schwerer aber wiegt, dass das Dresdner Gesundheitsamt derart überlastet ist, dass nicht mal mehr die Infizierten-Zahlen korrekt erfasst und übermittelt werden können. Dazu ist die Stadt eigentlich verpflichtet. Das bedeutet, es gibt deutlich mehr Corona-Fälle als bekannt sind. Jetzt äußert sich OB Hilbert im SZ-Interview zum Stand und den Vorwürfen gegen ihn.
Herr Hilbert, weshalb können in Dresden weder die Kontakte bei Corona-Infektionen nachverfolgt noch die korrekten Fallzahlen angegeben werden?
Es ist die schiere Menge an Fällen, die im Augenblick einen großen Bearbeitungsstau verursacht. Wir haben immer wieder Personal aus der gesamten Verwaltung in das Gesundheitsamt abgeordnet, haben den Sommer für Schulungen genutzt und so 350 interne und 100 externe Kräfte in der Software fit gemacht. Doch wir stoßen beim exponentiellen Wachstum der Infektionen an die Grenzen des Machbaren.
In Sachen Corona wird Ihnen Organisationsversagen vorgeworfen.
Wichtig ist es, sich die Fakten anzuschauen und die politischen Spielchen außen vor zu lassen. Wären wir die einzige Kommune, die mit diesem Problem kämpft, dann würde ich mir Sorgen machen. Tatsache aber ist, dass viele sächsische und bayrische Städte und Kreise schon viel eher an diesem Punkt waren. Die entscheidende Frage ist doch immer: Warum trifft uns die vierte Welle in Deutschland so hart? Für die niedrige Impfquote trägt kein Bürgermeister oder Stadtrat die Verantwortung.
Liegt alles nur am Personal? Das Gesundheitsamt bekommt doch ständig Verstärkung.
Hinzu kommen zum Beispiel immer wieder Probleme mit der Software, die wir nutzen müssen. Je mehr Menschen bundesweit darauf zugreifen, umso langsamer wird das System. Und eines darf man nicht vergessen. Die festen Kolleginnen und Kollegen aus dem Gesundheitsamt arbeiten seit Beginn der Pandemie im Ausnahmezustand und sind am Limit. Gleichzeitig macht der Virus keinen Bogen um die Verwaltung, auch wir haben mit hohen Krankenständen zu kämpfen.
Was könnte die Lösung dafür sein?
Wir haben entschieden, dass das Gesundheitsamt vollen Zugriff auf das Personal der anderen Ämter hat und wir so die Kapazitäten weiter aufstocken. Gleichzeitig gibt es Landesbedienstete, die schon einmal in den Gesundheitsämtern geholfen haben. Die sind geschult und sofort einsatzfähig, aber leider erteilt uns der Freistaat da bisher eine Absage.
Hat die zuständige Bürgermeisterin die Sache im Griff?
Frau Dr. Kaufmann und ich arbeiten sehr eng und abgestimmt zusammen und ich habe keinen Zweifel, dass sie die Situation richtig einschätzt. Sie ist immer sachlich, auch wenn im Augenblick uns allen eine Menge Unsachlichkeit entgegenschlägt.
Ihnen wird auch vorgeworfen, Sie hätten nicht den Mut gehabt, die Weihnachtsmärkte abzusagen.
Mut ist nicht die entscheidende Frage gewesen, sondern es ging um den Zeitpunkt und die rechtlichen Rahmenbedingungen. Chemnitz, Leipzig und Dresden haben ihre Weihnachtsmärkte nicht abgesagt, weil alle Schadensersatzforderungen voll bei den Kommunen und die persönliche Haftung bei den Bürgermeistern gelegen hätte. Das wäre in die Millionen gegangen.
Die Corona-Schutzverordnung des Landes hat ja Weihnachtsmärkte nicht nur erlaubt, sondern sogar ausdrücklich gesagt: Weihnachtsmärkte können stattfinden, komme was wolle. Darauf haben wir das Land frühzeitig hingewiesen und Änderungen erbeten. Appelle alleine ändern nichts daran. Erst die Notverordnung vom 19. November hat die rechtliche Grundlage einer Absage geschaffen.
Der Ministerpräsident sagt, er habe es bis zum Verbot am 19. November den Kommunen überlassen – die Märkte können stattfinden, müssen aber nicht.
Ich schätze den MP sehr, aber da macht er es sich zu einfach. Es war auch seine Ministerin, die immer wieder ausdrücklich gesagt hat, man werde alles für das Weihnachtsland Sachsen tun. Im Nachhinein wäre es schlau gewesen, dass das Land eine klarere Exit-Strategie für die Märkte in die Regelungen aufgenommen hätte.