Sachsen
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Der Wahlkampf ist zu Ende, Herr Kretschmer!

Sachsens Ministerpräsident sucht die Schuld für die Corona-Eskalation bei einer Regierung, die noch nicht mal im Amt ist. Was soll das?

Von Maximilian Helm
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Michael Kretschmer ist Ministerpräsident des am stärksten vom Coronavirus heimgesuchten Bundeslandes.
Michael Kretschmer ist Ministerpräsident des am stärksten vom Coronavirus heimgesuchten Bundeslandes. © Ronald Bonß

Während Sachsens Krankenhäusern mit Erreichen der Überlastungsstufe der Kollaps droht, sucht Ministerpräsident Michael Kretschmer nach Schuldigen. Offenbar wird er in Berlin fündig: "Wir erleben ein schuldhaftes Zögern der Ampel, das die Dramatik der pandemischen Lage verkennt", twitterte Kretschmer am Donnerstag vergangener Woche.

Am Sonntag legte Sachsens Regierungschef in einem Interview mit der Bild am Sonntag nach. "Die Corona-Politik der Ampel ist brandgefährlich. Die Entscheidungsgeschwindigkeit der neuen Koalition in Berlin ist zu langsam", sagte er. Und: "Wenn die Krankenhäuser überlastet sind, [...] wird auch eine noch so störrische Ampel-Regierung nicht umhinkommen, zum Schutz der Bevölkerung drastische Maßnahmen zu ergreifen."

Immer ist der Bund schuld

Richtig gehört: Die Regierung, die nicht im Amt ist, deren Zustandekommen noch nicht einmal zu 100 Prozent sicher ist, ist also schuld an der Misere. Es gibt keinen Koalitionsvertrag, kein Kanzler ist gewählt und kein Minister vereidigt. Stattdessen ist die alte Regierung mit Kanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn geschäftsführend nach wie vor in der Verantwortung. Die nimmt sie auch wahr, wie etwa jetzt zum Beispiel bei der Wiedereinführung kostenloser Bürgertests.

Dass der Bund in der Kritik steht, wenn Maßnahmen mal als zu schwach oder mal als zu harsch empfunden werden, daran musste man sich in fast zwei Jahren Pandemie gewöhnen. Wenn nun jedoch eine noch nicht mal existierende Regierung für die in der Vergangenheit gemachten Fehler verantwortlich sein soll, wird aus Kritisieren verzweifelte Zeigefingerei.

Politisches Theater ist fehl am Platz!

Es war jedenfalls nicht die Berliner Ampel, sondern die sächsische Regierung, die darauf bestanden hat, alle (!) Impfzentren ohne Standby-Option zu schließen. Auch war Sachsen eines der ersten Länder, das die Maskenpflicht im Unterricht abgeschafft hatte. Und es ist auch der Freistaat, der sich die Freiheit gönnte, erst anderthalb Jahre nach Beginn der Pandemie eine Förderung für Luftfilter in Schulen aufzulegen.

Und es ist auch nicht die Ampel, die in einer sächsischen Corona-Verordnung Weihnachtsmärkte und Bergparaden erst faktisch versprochen hat, um sie jetzt - immerhin - mit Blick auf volle Intensivstationen doch wieder infrage zu stellen.

Es wird Zeit, dass Sachsens Ministerpräsident den Wahlkampfmodus verlässt. Wenn die Menschen reihenweise auf Intensivstationen liegen, ist es völlig egal, ob die Regierung schwarz, rot, grün oder lila-grau gestreift ist. Politisches Theater ist ein Luxus, den wir uns gerade nicht leisten können.

Mail an Maximilian Helm