Dresden. Es könnte die Sequenz aus einem Traum oder Märchen sein: Räume voller glitzerndem Weihnachtsschmuck, Teddybären, Geschenke, rotes Schleifenband. Ein Raum prachtvoller als der andere - und kein Mensch weit und breit.
Aber hier wird nicht geträumt. Die Weihnachtswelt ist bittere Realität. Wer den plüschigen Teppich des Bülow Palais im Königstraßenviertel betritt, steht auf dem Boden der Tatsachen: Bis Ende Dezember gilt die aktuelle sächsische Allgemeinverfügung zum Schutz vor Corona.
Touristische Aufenthalte sind verboten und nur Übernachtungen aus dienstlichen oder anderen notwenigen Gründen erlaubt. Spa, Bar und Restaurant des Fünf-Sterne-Hauses bleiben geschlossen. Kaum ein Gast wird den weihnachtlichen Lichterglanz hier sehen. Üppig geschmückt hat das Mitarbeiterteam trotzdem und bis zuletzt gehofft.
"Über Weihnachten dürfen wir zwar auch Touristen beherbergen, aber ich mache mir nichts vor", sagt Ralf J. Kutzner. "Es wird fast niemand kommen." Für ein paar Tage hatte der Hoteldirektor jedoch ganz besondere Gäste. Sie sind zugleich Gastgeber und in diesem geschmückten Haus genauso einsam wie er selbst: Monika und Horst Bülow, Inhaber der Residenz und des Palais, die unter ihrem Familiennamen in Dresden bekannt sind.
"Bei 15 Millionen haben wir aufgehört zu zählen"
"Eigentlich kommen wir jedes Jahr vier bis fünfmal nach Dresden", sagt Horst Bülow. Im Coronajahr sei dies der erste und einzige Besuch in der Stadt, die ihm seit 30 Jahren ans Herz gewachsen ist. Gleich nach der Wende war der Immobilienunternehmer nach Dresden, Chemnitz und Leipzig gereist. "Wir wollten in jeder der drei ostdeutschen Großstädte wenigsten ein Grundstück besitzen", sagt er.

Den Anblick des Hauses Rähnitzgasse 19 wird der heute 80-Jährige nie vergessen. Vollkommen baufällig sei es 1990 gewesen, obwohl bis zuletzt noch Menschen darin gewohnt haben, wie in so vielen heruntergekommenen Gebäuden der Neustadt.
Zunächst stellte sich Bülow Büros darin vor. Doch die Stadtverwaltung sah Bedarf in mehr Übernachtungsmöglichkeiten für Besucher der Stadt. Also wurde das Gebäude aus dem Jahr 1730 ein Hotel. Viele gab es damals noch nicht. "Ich selbst habe während der Bauphase im Hilton gewohnt und dort an der Bar auch den Kaufvertrag für unser künftiges Hotel unterschrieben."
Für die Sanierung hatte er 13 Millionen D-Mark eingeplant, erzählt Horst Bülow, "Bei 15 Millionen haben wir aufgehört zu zählen." Heute lacht er darüber. Obwohl er die quälenden Gespräche mit dem Verantwortlichen des Denkmalamtes in unguter Erinnerung hat. "Der wollte Sandsteinboden im Eingangsbereich. Darauf konnten die Damen doch nicht in Stilettos laufen!" Sicher war dies nicht die größte Herausforderung, dafür ist sie ihm besonders im Gedächtnis geblieben.
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"Senator" sollte das Hotel zunächst heißen. "Alles war auf diesen Namen abgestimmt: Die Stickerei auf den Bademänteln, die Aufschrift auf den Kugelschreibern, die gedruckten Briefköpfe", erinnert sich Ralf J. Kutzner. Seit der Eröffnung 1993 ist er Direktor, inzwischen auch vom zweiten Objekt an der Königstraße. Der geplante Name aber war bereits vergeben und geschützt, wie sich zu spät herausstellte. Förmlich über Nacht wurde die Bülow Residenz geboren, inklusive neuer Bademäntel, Kulis und Briefbögen.
In Stuttgart, wo das Ehepaar Bülow zu Hause ist, gibt es mittlerweile ein Bülow-Carree, einen Bülow-Bogen und einen Bülow-Turm. Dennoch tragen die wenigsten Gebäude, die Horst Bülow mit seiner Bülow AG errichtet hat, seinen Namen. "Unser neuestes Projekt ist der Porsche-Design-Tower Stuttgart", erzählt er stolz. In drei Jahren soll er fertig sein.

Nach seinem Abitur, einer kaufmännischen und einer technischen Ausbildung hatte sich der gebürtige Rheinländer mit 23 Jahren selbstständig gemacht. "Ich habe genormte Stahlbauten für Industrieunternehmen entwickelt und später bis zur schlüsselfertigen Übergabe erbaut. Das lief großartig", erzählt Horst Bülow. Ganz allein mit einer Sekretärin habe er begonnen und Jahre darauf rund 35 Ingenieure und Architekten beschäftigt.
Als sich in den 1970er-Jahren in der Bundesrepublik eine Wirtschaftskrise anbahnte, suchte der Unternehmergeist nach neuen Möglichkeiten im Ausland - und fand sie im Irak. "Dort haben wir die bis dahin größte Textilfabrik gebaut: einen Kilometer lang und einen Kilometer breit." Sämtliche Bauelemente dafür wurden in Deutschland gefertigt und verschifft. "Es sind zwar auch einige Teile ins Wasser gefallen, aber wir haben die vereinbarte Schlüsselübergabe auf den Tag genau eingehalten", erzählt Horst Bülow. Damals sei die Welt im Irak noch in Ordnung gewesen. "Eine tolle Zeit war das!" Auch in Frankreich und Belgien stehen Gebäude von Bülow. Inzwischen baut er überwiegend in Stuttgart.
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"Wir hätten dieses Jahr Zehnjähriges gefeiert", sagt er. Im Jahr 2010 hatte er sein zweites Hotel in Dresden eingeweiht: das Bülow Palais. Dieses Mal forderte ihn nicht das denkmalgerechte Sanieren und Restaurieren, sondern ein Neubau auf der letzten freien Baulücke des Dresdner Barockviertels. "Das haben Sie wirklich sehr schön renoviert!" Über diesen Satz freuen und amüsieren sich Horst Bülow und seine Frau Monika herzlich. Zumal ihnen damit schon waschechte Dresdner ihren Respekt zollten. "Dabei stand an diesem Ort vorher gar nichts, was wir hätten restaurieren können."
Die Band für die Jubiläumsfeier war bestellt, das Menü kreiert. Dann kam Corona. Hoteldirektor Kutzner sagte alles ab. Ab Mitte März verwaltete er die Leere, dann ging das Hotelleben zwar weiter. Größere Feiern blieben jedoch untersagt. "Ab August hatten wir richtig viel Schwung und hofften auf einen guten November und Dezember." Diese beiden Monate sind normalerweise die umsatzstärksten des Jahres. "Wir waren zu mehr als 90 Prozent ausgebucht, die Silvesterparty geplant."
Der Lockdown "light" ist für ihn wie für Monika und Horst Bülow eine Bürde. "Ich halte es zwar für sehr richtig, dass die Politik versucht, Menschenleben zu retten", sagt der Hotelbesitzer. Er selbst gehöre ja zur Risikogruppe. Einen guten Bekannten hat das Paar an Corona verloren: "Er war Mitte 50 und völlig gesund." Hotelchef Ralf Kutzner kennt viele Betroffene: "Wir haben auch schon Tote zu beklagen", sagt er.
"Homeoffice ist keine Bedrohung fürs Immobiliengeschäft"
Dennoch glauben die Hoteliers dran, dass gesellige Menschen in Gasthäusern mit Hygienekonzept sicherer wären als zu Hause oder auf der Straße. Auch dort sollen sie sich nicht zusammenfinden. "Aber solange Verstöße nicht streng geahndet werden, nehmen es zu wenige ernst", sagt Ralf J. Kutzner. "Seit es richtig teuer ist, sich im Auto nicht anzuschnallen, tun es die Autofahrer."
Kutzner ist sicher: "Wenn es Horst Bülow und sein großes Unternehmen nicht gäbe, wären das Bülow Palais und die Bülow Residenz nicht mehr lebensfähig." Dank Querfinanzierung bestehen die Häuser noch. Die rund 90 Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Staatliche Hilfen jedoch gebe es für die beiden Hotels keine. Das Firmenkonstrukt der Bülow AG muss einen eigenen Rettungsschirm spannen.
"Es geht uns gut", sagt Horst Bülow. Das Immobiliengeschäft sei von der Krise nicht betroffen, und im Homeoffice sehe er keine Bedrohung für Büro- und Verwaltungsräume. "Im Gegenteil: Die Anforderungen steigen, die Räume sollen künftig größer und besser belüftet sein."
Auf lange Sicht sind für Horst Bülow seine Hotels eine wirtschaftliche Belastung. "Aber wir hängen an unseren Dresdner Häusern und sind sehr stolz darauf!" Immer wieder zeichnen großen Buchungsportale und Hotelguides sie aus. Allein in diesem Jahr zweimal. Rund 90 Mitarbeitern, 14 Auszubildenden und vier BA-Studenten fühlt er sich verpflichtet. Dazu den vielen treuen Stammgästen. Gute Gründe, um durchzuhalten.
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