Dresden. Vor einem Jahr war die Welt noch Ordnung. Da bereitete sich Lina Poddubnaia gerade auf die Deutschen Meisterschaften vor. Auf der Eisbahn im Ostragehege lief sie Runde um Runde, feilte an jedem technischen Detail.
Der Lohn der Mühe: Lina wurde Deutsche Meisterin in Mehrkampf in ihrer Altersklasse. Wenige Wochen später erkämpfte sich die in Karlsruhe geborene Tochter einer Kirgisin und eines Ukrainers bei den inoffiziellen Jugend-Europameisterschaft im niederländischen Heerenveen den dritten Platz über 500 Meter.
Der Beginn der Corona-Krise fiel zunächst mit dem Ende der Saison zusammen. Über den Sommer schien das Thema weit weg zu sein. Mit der zweiten Welle im Herbst kam dann jedoch auch Linas Trainingsplan durcheinander.
Nach wenigen Trainingseinheiten und einem Wettkampf ließ die Stadt die Eisfläche an der Energie-Verbund-Arena am 9. Dezember sperren. Für Lina Poddubnaia und die anderen Dresdner Eisschnelllauf-Talente hieß und heißt das: bis auf Weiteres kein Eis unter den Kufen.

Für Linas Mutter Ksenija Asmus wäre das zur Not zu akzeptieren, würden nicht die Kontrahentinnen in anderen Städten zur selben Zeit trainieren dürfen. "Die Thüringer in Erfurt haben sogar Wettkämpfe", sagt die 36-Jährige. Auch am Bundesstützpunkt im bayerischen Inzell dürften die Nachwuchssportler auf das Eis.
"Das ist doch dann aber Wettbewerbsverzerrung", sagt Ksenija Asmus, die auf die aktuelle Sächsische Corona-Schutz-Verordnung verweist. Laut Paragraph 4, Absatz 8b, dürfen die Sportanlagen derzeit unter anderem von Sportlern genutzt werden, "die dem Bundeskader (Olympiakader, Perspektivkader, Nachwuchskader 1) und Nachwuchskader 2 des Deutschen Olympischen Sportbundes oder dem Spitzenkader des Deutschen Behindertensportverbandes angehören oder die Kader in einem Nachwuchsleistungszentrum im Freistaat Sachsen sind".
Mit diesem Wissen wandte sich die Mutter zuletzt an das Trainerteam des 2001 gegründeten Eislauf-Vereins Dresden, das sie jedoch nur weiter an die Stadt verweisen konnte.
Zu gefährlich - und zu teuer
Grundsätzlich haben Kommunen die Möglichkeit, die Corona-Regeln eigenständig zu verschärfen, wenn die Infektionslage besonders dramatisch ist. Die Stadt Dresden hat entschieden, bis auf Weiteres nur Profisportler trainieren zu lassen. Nach der Verlängerung des Lockdowns wird sich daran wohl auch bis Ende des Monats nichts ändern.
Konkret heißt es in einer Antwort des für die Sportstätten verantwortlichen Bürgermeisters Peter Lames auf eine SZ-Anfrage: "Die Beweggründe unserer Entscheidung, die Nachwuchskader nur zuzulassen, wenn sie parallel auch im gemeinsamen vertieften Unterricht der Sportschulen trainieren, liegen vor allem bei Wirtschaftlichkeit und Infektionsrisiko."
Heißt übersetzt: Neben dem Schutz spielen auch die Kosten eine Rolle. Laut Eigenbetrieb Sportstätten kostet der Betrieb der Eisbahn rund 30.000 Euro monatlich. Nur für wenige Sportler ist das der Stadt schlicht zu teuer.
Möglich sei die Nutzung von Trainings- und Wettkampfstätten in Dresden daher derzeit nur für die Sportler im Hochleistungsbereich sowie die Profimannschaften der Dresdner Volleyball GmbH, der Dresdner Eislöwen und der Dresden Titans, so Lames.
Für Lina bleibt damit vorerst nur, sich an die Trainingspläne zu halten, auf denen vor allem Leichtathletik-Übungen wie Springen, Sprint und Ausdauerlauf vermerkt sind.
Ihre Mutter versteht nicht, warum beispielsweise die Dresdner Turmspringer in der Halle trainieren dürften - die Eisschnellläufer an der frischen Luft aber nicht. "Wir wären für jedes Hygienekonzept zu haben und würden auch Schnelltests vor jedem Training akzeptieren."
"Die Kinder werden so weit zurückgeworfen"
Die Mutter fürchtet, dass ihre Tochter ohne Eistraining leistungsmäßig schnell abgehängt werden könnte. "Wir wollen keinen Streit und wir verstehen, dass es Maßnahmen geben muss, aber langsam verzweifeln wir an der Situation", sagt sie. "Die Kinder werden so weit zurückgeworfen und es ist fraglich, ob sie das jemals wieder aufholen können." Am Ende stehe womöglich sogar Linas Platz im Bundeskader infrage.
Zumindest diesbezüglich gibt die Deutsche Eisschnelllauf- und Shorttrack-Gemeinschaft jedoch Entwarnung und kündigte bereits an, dass die aktuellen Kaderbesetzungen eingefroren werden sollen.
Lina hat noch viel vor auf dem Eis. Natürlich träumt sie von den Olympischen Spielen. Dabei könnte sie ihrem Opa nacheifern. Der reiste im Jahr 2000 als Degenfechter nach Sydney, kurz bevor die Familie nach Deutschland übersiedelte.
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