Dresden. Die Dresdner feiern das zweite Osterfest in Folge, das große Familienzusammenkünfte verbietet. Eigentlich. Denn die Mobilität der Menschen vor den Feiertagen deutet auf so manchen Einkauf für ein großes Festessen hin. Zumindest sind die Dresdner deutlich agiler als letztes Jahr, wie ein Vergleich der Mobilfunkdaten zeigt. Was ist aus Kontaktbeschränkungen, „Flatten the curve“ und der Solidarität mit den älteren, gefährdeten Menschen geworden?
Seit Beginn der Pandemie untersuchen das Robert-Koch-Institut und die Berliner Humboldt-Universität, wie reisefreudig die Menschen in Deutschland sind. Auch das ist wichtig, um die Ausbreitung des Virus vorherzusagen. Dabei greifen die Wissenschaftler auf Mobilfunkdaten zurück. Anonymisierte Durchschnittsdaten für größere Gebiete. Die Forscher sehen also nicht, wie sich eine einzelne Person bewegt. Dresden ist in vier Regionen gegliedert worden – grob gesagt in einen nördlichen, östlichen, südlichen und westlichen Teil.
Neustädter disziplinierter als Pieschener
Überall in der Stadt sind die Dresdner deutlich weniger zurückhaltend als vorm letzten Osterfest. So sind am Mittwoch auf der Neustädter Elbseite zwischen Pillnitz und der Leipziger Vorstadt etwa 16 Prozent weniger Reisen unternommen worden, verglichen mit einem durchschnittlichen Mittwoch im April 2019, als Corona noch kein Thema war.
Am Mittwoch vor Ostern 2020 blieben noch viel mehr Neustädter zu Hause beziehungsweise in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Wie die Handydaten zeigen, ging die Mobilität damals um 42 Prozent zurück. Das heißt, dass die Dresdner mit ihrem Handy deutlich seltener eine Funkzelle verließen und später für mindestens 15 Minuten ihre Position nicht mehr änderten. Eine Funkzelle ist übrigens ein Gebiet, das in Innenstädten einen Durchmesser von weniger als 100 Metern messen kann.
Die Neustädter sind vor diesem Osterfest am diszipliniertesten, wenn man die Corona-Regeln zum Maßstab nimmt. Im Dresdner Norden – dazu zählen die Wissenschaftler zum Beispiel Pieschen, Kaditz, Cotta und Gorbitz – liegt die Mobilität mit einem Rückgang von fünf Prozent fast auf Vorkrisenniveau. Jeweils elf Prozent weniger Bewegungen registrierten die Forscher im Norden (Klotzsche, Hellerau, Weixdorf, Langebrück) sowie im Süden der Stadt (Plauen, Strehlen, Reick, Prohlis, Leuben, Laubegast). Damit gehört Dresden zusammen mit Leipzig und Chemnitz zu den Corona-Regel-Vorbildern in Sachsen. Ein Blick nach Görlitz zeigt, dass dort fast ein Viertel mehr Bewegungen registriert werden.
Nachmittags-Rush Hour stärker als vor Corona
Könnten sich die Mobilfunkunternehmen und die Wissenschaftler vielleicht täuschen? Kaum. Auch andere Unternehmen, die Bewegungsdaten erheben, zeichnen ein ähnliches Bild für Dresden. Zum Beispiel der Navigationsdienstleister Tomtom, der über Smartphones und fest verbaute Navigationssysteme einschätzen kann, wie viel auf den Straßen los ist.
In den Nachmittagsstunden registriert Tomtom derzeit nicht nur deutlich ausgeprägtere Stauspitzen als im vergangenen Corona-Jahr. Der Verkehr übertrifft sogar das Durchschnittsniveau von 2019. Am Gründonnerstag, gegen 16 Uhr, brauchten die Dresdner zum Beispiel etwa 50 Prozent mehr Zeit für ihren Weg, als wenn die Straßen frei gewesen wären. Für 2020 lag das durchschnittliche Donnerstags-Stau-Level bei 42 Prozent, 2019 bei 47 Prozent. Dafür ist in den Morgenstunden weniger los als früher. In der Summe kommt Tomtom zu dem Schluss, dass sich die diesjährige Karwoche kaum von einer Woche im Jahr 2019 unterscheidet, was den Verkehr angeht.
Wie kann das sein? Halten sich die Dresdner nicht mehr an die Regeln? Dazu muss man wissen, dass die Corona-Schutzverordnung, die zu Ostern 2020 galt, deutlich strenger war. Zwar gab es – wie heute auch – Ausgangsbeschränkungen. Wer raus wollte, brauchte ebenfalls einen triftigen Grund. Doch die Liste der möglichen triftigen Gründe ist im Vergleich zum vergangenen Jahr deutlich gewachsen.
Sie umfasst nicht mehr nur den Besuch von Supermärkten, Drogerien und Apotheken. Auch Blumen- und Bücherläden oder Bau- und Gartenmärkte dürfen öffnen. Gottesdienst-Besuche sind unter Einhaltung von Hygienekonzepten diesmal ebenfalls erlaubt. Im April 2020 galten außerdem noch der 15-Kilometer-Bewegungsradius und die Regel, dass Menschen anderer Haushalte nicht besucht werden durften.

Kretschmer: Pandemie findet in der Wirklichkeit vieler Menschen nicht mehr statt
Mehr Freiheiten und mehr Anreize, sich zu treffen, also als ein Grund, warum die Menschen agiler sind als letztes Jahr. Einen weiteren hat Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Donnerstagabend bei Markus Lanz genannt. „Vor einem Jahr wären nicht so viele Leute am Rheinufer gewesen wie gestern“, sagt er. Damals hätten alle einen unheimlichen Respekt vor der Pandemie gehabt. Freiwilliger Kontaktverzicht wurde ernster genommen.
Kretschmer spricht von einer gewissen Regel-Müdigkeit, die auch mit der wirtschaftlichen Lage vieler Menschen zu tun habe. „Jetzt findet diese Pandemie in der Wirklichkeit vieler Menschen nicht mehr statt.“ Trotzdem wirbt er in der ZDF-Sendung immer wieder für Disziplin. Man habe noch einige Tage Zeit, um die dritte Welle kontrollieren zu können. Dafür müsse es die Politik schaffen, die Situation besser zu erklären.
Immerhin will eine deutliche Mehrheit der Deutschen an Ostern nicht verreisen. In einer Umfrage der Meinungsforschungsinstituts YouGov sagten 60 Prozent, dass sie an dem langen Wochenende noch nicht einmal einen Tagesausflug planten.
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