Die Schneekönigin jagt mit ihrem einspännigen Schlitten durch das verschneite Zuschendorf. Der braune Wallach wiehert ängstlich im Schneegestöber, die böse Frau auf dem Kutschbock lacht indes aus vollem Halse. Hat sie doch endlich ihre Opfer entdeckt: zwei Kinder, die sich am Wegesrand in Sicherheit bringen. Es sind Kai und seine ältere Schwester Gerda. Schon bald wird der Junge seinen kleinen an den großen Schlitten hängen und in wilder Fahrt geradewegs in die Gefangenschaft der Königin schlittern. Und das Mädchen wird versuchen, ihn zu befreien.
Ob es ihr gelingt, steht im Märchen des dänischen Dichters Hans-Christian Andersen. „Es ist eine meiner liebsten Geschichten aus der Kindheit“, sagt Matthias Riedel, Leiter der Botanischen Sammlungen und Geschäftsführer des Fördervereins Landschloss Zuschendorf. Dort, im Eingangsbereich, erlebt die Schneekönigin samt Gaul und Kindern in einem aufwendigen Schaubild ihre Auferstehung. In Lebensgröße rast sie über die Sandsteinplatten, eine Schönheit, durchaus, aber dieser falsche Blick!
Aufwand ist für die Katz
Die Königin wird nun wahrscheinlich kaum einer sehen, wenigstens bis Ende des Jahres nicht. Die kühle Herrscherin ist Teil einer Geisterschau, was zwar zu ihrem Wesen passen würde, aber in diesen Tagen nicht als lustiges Bonmot taugt. Das Landschloss gilt als Museum und ist seit 1. November komplett geschlossen. Dabei ist die nur alle zwei Jahre stattfindende Weihnachtsausstellung, die am 25. November eröffnet werden sollte, komplett aufgebaut – fünf Wochen hat das gedauert. Ein gigantischer Aufwand, der nun für die Katz ist.
Matthias Riedel ist sehr verärgert. „Leider basieren die behördlichen Schließungen nicht auf wissenschaftlichen Analysen“, sagt er. „Von uns geht keine Ansteckungsgefahr aus.“ Für Zuschendorf hat Riedel ein ausgeklügeltes Hygienekonzept. Das beginnt mit einer durch Plexiglaswände geschützten Kasse im Foyer, reicht über ein konsequentes Einbahnwegesystem durch die gesamte Ausstellung bis hin zu einem separaten Ausgang in den Park. Nirgendwo hätte es eine gegenläufige Bewegung von Besuchern gegeben, deren Zahl am Einlass reguliert worden wäre – um Längen besser als in jedem Supermarkt.
Lichterhäuser des Erzgebirges
Weil das Schloss aber kein Laden ist, lämpeln die „Lichterhäuser des Erzgebirges“, mit denen sich die Ausstellung thematisch befasst, nun einsam vor sich hin und meistens gar nicht. Für wen auch. Schade ist es, haben sich Sammler Matthias Riedel, Holzgestalter Georg Brückner und Gestalterin Bea Berthold, unterstützt von Susanne und Volker Berthold sowie Mitarbeitern des Fördervereins, doch wieder einiges einfallen lassen, um „Weihnachten im Landschloss“ zu einer besonderen Schau zu machen, zu einer, die wohl in ganz Sachsen ihresgleichen sucht.
Die großzügig bestückte Ausstellung unternimmt eine Reise in eine Sparte der weihnachtlichen Volkskunst, die im späten 19. Jahrhundert aufkam. Lichterhäuser heißen so, weil in ihnen eine Kerze oder eine elektrische Lampe brennt, um die Gebäude aus Papier, Holz, Bindfaden oder Stroh von innen heraus leuchten zu lassen. Das können Kirchen sein, prunkvolle Häuser, einfache Katen oder ganze Dörfer im Erzgebirge und Städte, wie Dinkelsbühl, dessen Altstadt Willy Dähnert aus Wünschendorf bei Lengefeld einst aus Pappe baute.
Winterliche Eisenbahnplatte
Von dort hat Riedel, der die Nachfahren des 1970 verstorbenen Kunsthandwerkers ausfindig machte, wunderbare Leihgaben mitgebracht. Lichterhäuser, die ein ganzes Regal füllen, Ausschneidebögen, Fotos und Dokumente. Im Treppenhaus ist zudem die Werkstatt in einem lebensgroßen Schaubild szenisch aufgebaut, ausgestattet mit zeittypischen Schränken, Lampen, Tischen und einer Werkbank. Sieben Menschen vom Kind bis zum Großvater werkeln an den Weihnachtsartikeln, die oft zu einem Spottpreis verkauft wurden.
Die große Eisenbahnplatte mit der Märklin Spur I im Salon hat Georg Brückner diesmal ganz winterlich mit verblühten Hortensien, Zapfen und vor allem Lichterhäusern von Frieda Seifert aus Dörfel bei Olbernhau gestaltet. In ihrer Tradition arbeiten heute Birgit und Uwe Uhlig in ihrer Werkstatt in Olbernhau. So kommt es, dass sogar das Landschloss Zuschendorf in seinem eigenen Festsaal Licht und Wärme verbreitet. Extra für diese Weihnachtsausstellung haben Uhligs den Gartenflügel gebaut, ein Unikat. Die Kirche soll folgen.
In den wie Spielzeugkisten anmutenden Vitrinen zeigt das Schloss Lichterhäuser und Landschaften weiterer Hersteller, wie auch Eigenbauten, zum Beispiel aus Zigarrenschachteln. Hingucker sind zudem die Räuchertürken, die Weihnachtsengel die beweglichen Weihnachtsberge, eine Binge aus Holz mit Weihnachtskrippe, launige Arrangements wie Kuddel-Daddeldus Weihnachtsfeier oder die detailverliebten Kästen von Georg Brückner. Der Künstler aus Goes baute eine Eisenwarenhandlung, eine Kunstgalerie, die „Öffentliche Bedürfnisanstalt Leipzig-Connewitz“ oder eine Drechslerwerkstatt als Miniaturen.
Vielleicht im Januar offen
Auch der „Zuschendorfer Rummel“ ist geöffnet. Der darf wenigstens. Matthias Riedel indes bleibt vorsichtig zuversichtlich. Er will die Weihnachtsaustellung, die bis 13. Dezember geöfnet sein sollte, bis Ende Januar verlängern, sobald sich eine Entspannung der Lage abzeichnet. „Länger können wir nicht, dann beginnt der Aufbau der Kamelienblütenschau.“
Riedel hofft natürlich, dass diese nicht wieder zu einem solchen Desaster wird wie in diesem Frühjahr, als die Schau schon nach zwei Wochen beendet werden musste. 100.000 Euro an Eintrittsgeldern gingen dem Verein verloren, auf weitere 50.000 Euro beziffert Riedel den Ausfall durch die Schließung der Weihnachtsausstellung.
Insgesamt summiert sich der Fehlbetrag auf fast 70 Prozent des Jahresetats. Die Insolvenz, sagt der 62-Jährige, konnte nur mit staatlichen Hilfen und eines „schmerzlichen“ Sparkurses verhindert werden. Der traf zunächst das saisonal beschäftigte Personal. Aber auch den Bau von Regenwasserzisternen musste Riedel verschieben. „Dabei brauchen wir diese wegen der zunehmenden Trockenheit dringend.“
Auch der Schnee hat sich rar gemacht, weshalb die Schneekönigin nicht mehr so oft in unsere Gegend kommt. Schade, dass sie nun im Landschloss Zuschendorf hinter verschlossenen Türen ausharren muss.