Dresden. Angst vor ansteckenden Kunden: Angestellte in sächsischen Ladengeschäften kritisieren, dass es „kaum vorbeugenden Gesundheitsschutz“ in ihren Betrieben gebe. Der Grünen-Landtagsabgeordnete Gerhard Liebscher hat nach eigenen Angaben darüber mit Betriebsräten von Netto, Aldi, Kaufland und H&M gesprochen. Sie bemängeln, dass kaum noch Sicherheitspersonal zur Kontrolle der Besucherströme an den Eingängen stehe. Inzwischen werde es den Kunden überlassen, die Einkaufswagen und Körbe zu desinfizieren.
Laut Liebscher werden Arbeitsschutzmaßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus häufig untergraben. „Arbeitsschutzkontrollen werden telefonisch angekündigt“, bemängelt er. Vom Wirtschaftsministerium habe er erfahren, dass seit Inkrafttreten der Corona-Arbeitsschutzregelungen im April 140 Mitarbeiter lediglich 890 Kontrollen gemacht hätten. „Noch alarmierender“ findet der Grünen-Abgeordnete, dass bei fast 300 festgestellten Mängeln lediglich zehn behördliche Anordnungen zum Beheben erlassen wurden.
Die ersten 25 Beschwerden zur Homeoffice-Vorschrift
Das Wirtschaftsministerium in Dresden sieht darin allerdings „keinesfalls ein Indiz für mangelhafte Aufsicht“. Vielmehr sei die Behörde verpflichtet, „angemessen“ mit den Unternehmern umzugehen. Für alle Beteiligten seien die Corona-Anforderungen neu und ungewohnt. In aller Regel seien die Arbeitgeber selbst daran interessiert, die Pandemie einzudämmen und den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Wenn ein Arbeitgeber also auf Mängel hingewiesen werde und daraufhin rasch Abhilfe schaffe, sei eine gebührenpflichtige Anordnung nicht erforderlich und nicht angemessen.
Nicht zuständig seien die Arbeitsschutzbehörden dafür, ob Sicherheitspersonal vor den Geschäften stehe und ob Einkaufswagen desinfiziert würden. Ein desinfizierter Einkaufswagen schütze nicht den Beschäftigten. Mängel müssten dem kommunalen Gesundheitsamt mitgeteilt werden, nicht der Arbeitsschutzbehörde in der Landesdirektion Sachsen.
Die Arbeitsschutzbehörde überprüft aber nach eigenen Angaben die neuen Vorschriften, nach denen Arbeitgeber für Büroarbeiten möglichst Homeoffice ermöglichen müssen. Allein zum Thema Homeoffice wurden bereits 25 Beschwerden bearbeitet, 58 Unternehmen um Berichte zu ihren Maßnahmen gebeten, in 82 Fällen beraten und 28 Kontrollen in Büros gemacht. Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) teilte dazu mit, die Vollzugsbehörde sei wirksam und gehe „risikoorientiert“ vor. Das bedeute nicht, jedes Unternehmen in Sachsen zu kontrollieren, sondern Schwerpunkte zu setzen.
Verkäufer fühlen sich von Chefs allein gelassen
Die Verdi-Gewerkschaftssekretäre Andrea Busch und Thomas Schneider bemängeln laut Liebschers Pressemitteilung, dass die Beschäftigten im Lebensmittel-Einzelhandel täglich mit Hunderten Menschen Kontakt hätten und sich dabei von ihren Arbeitgebern allein gelassen fühlten.
Auch die Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) ist mit dem Arbeitsschutz unzufrieden, sieht die Ursache aber in mangelnder Ausstattung der Behörden. In der Landesdirektion gebe es nur 107 Aufsichtsbeamte für Arbeitsschutzvorschriften. Zu wenig kontrolliert würden Bau, Land- und Forstwirtschaft.
Schon vor der Pandemie seien die staatlichen Arbeitsschutzbehörden "personell am Limit" gewesen, sagt Robert Feiger, der Bundesvorsitzende der IG BAU. Die Zahl der staatlichen Arbeitsschutzkontrollen sei bundesweit von 2017 bis 2019 um 17 Prozent zurückgegangen. Je seltener ein Unternehmen kontrolliert werde, desto größer sei die Versuchung, es mit den Vorschriften beim Arbeitsschutz nicht so genau zu nehmen. Feiger fordert: "Hier muss der Staat mehr Präsenz zeigen."