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„Eine große Überlastung“

Die Arbeitssoziologin Ina Krause über Chancen und Gefahren von Homeoffice und den Rückfall in alte Rollenmuster.

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Ina Krause, Soziologie-Habilitantin an der TU Dresden.
Ina Krause, Soziologie-Habilitantin an der TU Dresden. © Michael Kretschmar

Frau Krause, wie verändert Corona unsere Arbeit?

Das Zuhause wird zur Arbeitsstätte – das trifft auf eine viel breitere Schicht von Erwerbstätigen zu als je zuvor: Vor Corona haben laut einer Studie von 2018 rund 22 Prozent ab und zu Homeoffice genutzt. Durch die Pandemie sind es nun wahrscheinlich rund 50 Prozent. Außerdem gibt es einen großen Schub in Richtung Digitalisierung. In der Kreativbranche wurde vieles, das wir jetzt sehen, schon lange praktiziert, das ortsunabhängige Arbeiten etwa. Es ist neu, dass sich das in Bereiche wie die Schule, die Verwaltung oder die Beratung verlagert.

Was ist mit denen, die kein Homeoffice machen können?

Die überwiegende Zahl der Menschen hat nicht die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten. Im Pflegebereich etwa gibt es eine große Überlastung. Manche gehen auch mit Angst vor Ansteckung zur Arbeit. Und dann gibt es diejenigen, die ins Homeoffice gehen könnten, es aber nicht wollen.

In der Pandemie merken viele: Freizeit ist auch ganz nett. Verliert Arbeit an Relevanz?

Ich glaube nicht. In unserer Gesellschaft ist Arbeit weiterhin das Wichtigste, worüber man Status generieren kann. Andere Tätigkeit außerhalb der Erwerbstätigkeit genießen eine geringe Wertschätzung – schauen Sie sich einmal die gesellschaftliche Anerkennung von Hausfrauen an. Doch es stimmt: In Bereichen, wo es gute Einkommensmöglichkeiten gibt, tendieren die Menschen dazu, weniger arbeiten zu wollen. Also genau dort, wo Menschen merken, dass die Arbeit sehr einnehmend ist. Gerade im kreativen Bereich ist Arbeit häufig sehr stark das sinnstiftende Element im Leben. Dann sind Menschen auch bereiter, ihr Privatleben für Arbeit herzugeben.

Abends schnell noch eine Mail beantworten zu können, ist zunächst ganz praktisch. Aber nach einem Jahr merken viele, dass es auch belastet.

Ja, denn viele Arbeitgeber verlangen in der Krise von ihren Angestellten, dass diese Arbeitszeit wie selbstverständlich in die Abendstunden oder auf das Wochenende legen. Manche Arbeitnehmer fordern das vielleicht auch ein, aber wenn ich jemandem zumute, dass er keine Erholungszeiten hat, führt das zu einer kompletten Verausgabung der Mitarbeiter.

Wie hat sich die Wertschätzung von Sorgearbeit durch Corona verändert?

Wir sehen einen starken Rückfall in klassische Rollenmuster. In vielen Familien verdient die Frau weniger, darum liegt die neue Verantwortung für die zu Hause betreuten Kinder dann auch auf den Schultern der ohnehin damit belasteten Mutter. Gleichzeitig haben Männer plötzlich die Möglichkeit, sich mehr in die Sorgearbeit einzubringen. In meinen Studien finden sich aber auch Beschreibungen, die spiegeln, dass Väter sich intensiv um Kinder und Homeschooling kümmern, solange die Frau auf Arbeit ist – sobald diese aber nach Hause kommt, wird die Verantwortung wieder übertragen.

Wird Corona also nicht zum Beschleuniger für eine moderne Arbeitswelt?

So, wie wir es derzeit erleben – als permanente Notsituation, nach deren Ablauf alles wieder so sein soll wie vorher –, sicher nicht. Denn es werden keine nachhaltigen Konzepte entwickelt, die langfristig tragen. Darum wird es nicht unbedingt ein Schub für die Arbeitswelt sein, sondern in Teilen auch ein Rückschritt.

Was wäre notwendig für einen Wandel?

Arbeitgeber müssen über Arbeitszeit und Arbeitsräume neu nachdenken, aber mit einem offenen Ohr für alle Beteiligten. Sie sollten nicht immer nur fragen, wie teuer etwas wird. Sonst erleben wir eine erneute Rationalisierung und Verschlankung von Betrieben, bei der Kosten eingespart werden sollen, ohne auf die einzelnen Mitarbeiter zu achten.

Interview: Johanna Lemke