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Eltern können Schule nicht kompensieren

Schüler kämpfen wegen der Corona-Pandemie mit Lernrückständen. Ein Bildungsexperte erklärt, was Familien tun können und wo die Grenzen sind.

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Die Pandemie hinterlässt bei vielen Kinder Wissenslücken: Nachhilfe in der Schule oder privat können hier helfen.
Die Pandemie hinterlässt bei vielen Kinder Wissenslücken: Nachhilfe in der Schule oder privat können hier helfen. © Kirsten Neumann/dpa-tmn

Mannheim. Viele Schüler haben die vergangenen 14 Monate wegen der Pandemie im Wechsel- und Distanzunterricht verbracht, eine herausfordernde Zeit für alle Beteiligten. Neben sozialer Einschränkung und Belastung für die Psyche haben Kinder und Jugendliche mit Lernrückständen zu kämpfen, die manche alleine nicht aufholen können.

Viele Familien überlegen daher, Unterstützung in Form von privater Nachhilfe zu holen. Oliver Dickhäuser, Professor für Pädagogische Psychologie an der Universität Mannheim, sieht die Verantwortung aber nicht ausschließlich bei den Familien. "Eltern sollen sich bei aller Sorge vor Augen führen, dass sie zwar unterstützend wirken, wegfallende Bildungsangebote durch Schulen aber nicht alleine kompensieren können."

Dies sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Seine Empfehlung an die Eltern: Zuerst die eigenen Grenzen anerkennen und deutlich machen, wo man auf die Hilfe von anderen angewiesen ist.

An Schulen nach Angeboten fragen

Die erste Anlaufstelle für Schüler und auch Eltern seien die Schulen selbst, welche über zusätzlichen Förderunterricht und Angebote im Rahmen von Sommerschulen in den Bundesländern am besten informiert sind. Er empfiehlt Eltern, hier aktiv nachzufragen und nicht zu zögern, die Dinge in Anspruch zu nehmen.

Aber auch bürgerschaftliche Engagements, wie die Corona School, eine digitale Plattform, in der etwa Lehramtsstudierende Coachingangebote für Schüler machen, helfen weiter. "Zusätzlich empfehle ich auch, aktiv im privaten Umfeld und in der Nachbarschaft zu suchen. Dort wird man schnell auf offene Ohren stoßen." Viele ältere Menschen, die schon geimpft sind, würden aus Solidarität gern mit Kindern Aufgaben durcharbeiten oder ihnen ein wenig Struktur geben.

Besonders Grundschüler sind betroffen

Die Lerndefizite aufzuholen sei wichtig, da nicht ausreichend entwickelte Kompetenzen sich nicht einfach auswachsen, so Dickhäuser. "Wir wissen aus vielen Studien, dass eingeschränkte schulische Bildung negative Folgen nach sich zieht. Wer zum Beispiel in der BRD in den Sechzigerjahren ein Kurzschuljahr hatte, bei dem ergaben sich später ein Leben lang Minderungen im Erwerbseinkommen."

Bereiche, in denen Aufholbedarf herrscht, sind Lesen, Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer. Sozioökonomische Faktoren, wie wohnliche Situation und technische Ausstattung, hätten die Lernrückstände beeinflusst: "Kinder und Jugendliche, die gute familiäre Unterstützung haben, kommen weniger angeschlagen durch die Krise. So vergrößert Corona auch im Bildungsbereich die gesellschaftliche Spreizung."

Betroffen seien zudem häufig auch Grundschüler, denn diese brauchen stärker ein strukturiertes Angebot im Rahmen von Präsenzunterricht, da sie noch nicht über die selbstregulatorischen Fähigkeiten älterer Kinder verfügen.

Förderunterricht ermöglicht Interaktion

Lädt man den Kindern mit den Zusatzangeboten aber nicht noch mehr auf? Ganz im Gegenteil, findet Dickhäuser. Sommerunterricht, Corona School oder auch gut gemachte nachbarschaftliche Unterstützungsangebote können jungen Menschen etwas bieten, was ihnen gerade massiv fehle: eine gute Struktur, ein echtes Gegenüber und natürlich auch soziale Interaktion. "Das sind Dinge, die wir ihnen in den letzten 14 Monaten genommen haben. Wir haben drei Millionen Kinder im Kita-Alter und zehn Millionen schulpflichtige Kinder und Jugendliche. Ich kenne keine andere so große Gruppe, die so massiv eingeschränkt wurde."

Motivierend kann es für die Schüler sein, wenn es möglich wird, zusammen mit Freunden der gleichen Klasse oder Jahrgangsstufe diese Angebote in Anspruch zu nehmen. "So werden nicht nur Wissenslücken ausgeglichen, sondern es entsteht zumindest in Ansätzen bei den Kindern und Jugendlichen wieder ein Gefühl von sozialer Eingebundenheit", sagt Dickhäuser. (dpa)