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Abschied von einer höheren Impfquote

Der Görlitzer Impfarzt Hans-Christian Gottschalk begrüßt die neue Empfehlung zum Boostern. Doch er ist auch traurig über das Verhalten vieler.

Von Susanne Sodan
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Ob die Impfzentren doch noch mal aufgehen? Denn wer soll die Booster-Impfungen vornehmen?
Ob die Impfzentren doch noch mal aufgehen? Denn wer soll die Booster-Impfungen vornehmen? © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

In Sachsen können sich voraussichtlich ab Montag alle vollständig geimpften Personen, deren zweiter Impftermin sechs Monate zurückliegt, eine Boosterimpfung geben lassen. Es ist eine Kann-Empfehlung, erklärt Hans-Christian Gottschalk, Görlitzer Kinderarzt und Mitglied der Sächsischen Impfkommission. Diese gibt am Montag ihre neue Impfempfehlung heraus. Drei Gruppen sieht er als besonders wichtig.

Bisher wenig Booster-Impfungen

Erstens Personen ab 60 Jahren, zweitens Personen, die doppelt mit Astra-Zeneca oder einmalig mit dem Wirkstoff von Johnson & Johnson geimpft wurden und drittens Personen mit bestimmten Vorerkrankungen. Diese aber können bereits seit einigen Wochen eine Booster-Impfung in Anspruch nehmen, ebenso Personen ab 70 Jahren.

Hans-Christian Gottschalk ist Mitglied der Siko und derzeit als Impfarzt bei lokalen Impfaktionen unterwegs. Viele Jahre leitete er die Görlitzer Kinderklinik.
Hans-Christian Gottschalk ist Mitglied der Siko und derzeit als Impfarzt bei lokalen Impfaktionen unterwegs. Viele Jahre leitete er die Görlitzer Kinderklinik. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Viel genutzt werde das bislang aber noch nicht, sagt Hans-Christian Gottschalk. "Es gibt zwar seit einiger Zeit schon die Empfehlung zum Boostern, aber keinen konkreten strategischen Plan", kritisiert er. "Alles lastet auf den Schultern der Hausärzte". Bis Jahresende sind auch noch die Impfteams in Sachsen zu mobilen Impfaktionen unterwegs. Auch dort kann man sich eine Drittimpfung geben lassen, bislang liege der Fokus bei den mobilen Impfaktionen aber bei Erst- und Zweitimpfungen.

"Aber wir müssen uns davon verabschieden, die Impfquote noch wesentlich zu erhöhen", so Gottschalk. "Die Impfangebote sind seit Langem so niedrigschwellig und vielfältig, aber leider mit einem enttäuschenden Ergebnis." Gottschalk ist selbst regelmäßig mit den mobilen Impfteams im Landkreis unterwegs. Zu dem Ergebnis kam auch eine Umfrage vor wenigen Tagen, laut der von den ungeimpften Befragten 88 Prozent angaben, sich in Zukunft auf keinen Fall oder eher nicht impfen lassen zu wollen.

Der Fokus müsse deshalb jetzt auf den Booster-Impfungen liegen, plädiert Gottschalk. Ihre Empfehlung begründet die Siko mit der aktuellen Infektionslage in Sachsen sowie mit Daten aus Israel. Im Landkreis Görlitz lag die Sieben-Tage-Inzidenz am Freitag bei 280 laut RKI, der Kreis selbst hat sie am Freitag mit 351 berechnet. Ein weiteres Todesopfer ist zu beklagen: Ein 80-jähriger Mann aus Niesky starb in Zusammenhang mit dem Coronavirus. "Ohne Panik machen zu wollen, die Lage hat sich dramatisch zugespitzt", sagt Gottschalk.

Fokus auf Menschen ab 60 - aber auch Jüngere

Wie die Siko darlegt, gebe es in Sachsen einen deutlichen Anstieg an Durchbruchsinfektionen in allen Altersgruppen zwischen 20 und 90 Jahren. Auch wenn die Schwere des Verlaufs bei Menschen ab 60 am höchsten sei - deshalb auch die vordringliche Empfehlung zur Boosterung für sie - würden auch Infektionen in jüngeren Altersgruppen - mit mehr Kontakten - als Trigger für die Verbreitung wirken. Heißt: EAuch eine erhöhte Impfrate schützt nicht vollständig vor milden oder sogar asymptomatischen Infektionen, dadurch ergibt sich ein begrenzter Einfluss auf die Pandemie an sich.

"Lage hat sich dramatisch zugespitzt"

Aktuelle Daten aus Israel belegen eine hohe Risikoreduktion durch Auffrischungsimpfungen für alle Altersgruppen, schildert die Siko. Die Daten würden auch eine gute Verträglichkeit der Booster-Dosis zeigen.

Dass mehr Menschen eine Auffrischungsimpfung nutzen können, hatte auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kürzlich angekündigt. Er selber hatte sich eine Auffrischung geben lassen. Es sei genug Impfstoff da, sodass alle, die wollten, eine Booster-Impfung bekommen könnten, sagte er. "Mit dem Boostern lässt sich auch eine Welle brechen", sagte er gegenüber dem rbb. Unklar ist aber, wer die Auffrischungen im großen Stil vornehmen soll. Zum Beispiel der Impfstoffforscher Leif Sander von der Charité Berlin sprach sich dafür aus, für sechs bis acht Wochen nochmal wie im Frühjahr vorzugehen, mit Impfzentren und mobilen Teams.

Die Kritik teilt auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck. "Wir gehen leider erneut sehr unvorbereitet in Herbst und Winter", so Streeck gegenüber der dpa. Beispielsweise kritisiert er das Ende der kostenlosen Bürgertests. In der aktuellen Lage könne man den Rat zur Impfung nicht oft genug geben, betonte auch Streeck. Dass es zu Impfdurchbrüchen kommt, spreche nicht dagegen. "Das Ziel bei der Impfstoffentwicklung war nicht in erster Linie, eine Immunantwort auszulösen, die vor jeglicher Infektion schützt".

Wer welchen Impfstoff bekommt

Zur Booster-Impfung wird ausschließlich mRNA-Impfstoff genutzt, also Biontech oder Moderna. Bei Moderna gilt eine halbe Dosis als ausreichend - allerdings soll Moderna aktuell nur bei Menschen ab 30 Jahren eingesetzt werden. Hintergrund sind Untersuchungen in den USA zu einem möglicherweise erhöhten Risiko von Herzmuskelentzündungen bei Jugendlichen. In Deutschland gab es keine Auffälligkeiten bei Moderna, die Siko will aber auf Nummer sicher gehen, erklärt Gottschalk.

Eigentlich hatten Pharma-Unternehmen Varianten-angepasste Impfstoffe zur Boosterung in Aussicht gestellt. Gottschalk nimmt aber nicht an, dass diese so schnell kommen werden. "Es ist schon paradox. Dieses mehr an Vorbeugung durch Boosterimpfungen schützt dann auch hartnäckige Impfgegner und entlastet effektiv das Gesundheitssystem. Gleichzeitig ist es eine Kapitulation vor dem Solidaritätsgedanken."