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In der Pandemie werden die Wohnmobile knapp

Jetzt verleihen sogar Privatleute ihre Fahrzeuge – Motto: Alles an Bord, was trotzdem fehlt, bringen Sie bitte selber mit! Ein Campingexperte hat es ausprobiert.

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Über Land in Brandenburg: Reporter Andreas Austilat und seine Frau unterwegs im gemieteten Wohnmobil.
Über Land in Brandenburg: Reporter Andreas Austilat und seine Frau unterwegs im gemieteten Wohnmobil. © Tobias Kruse/Ostkreuz

Von Andreas Austilat

Mehr Kinokomfort geht nicht: Der Weg zum Kühlschrank ist kurz, der zum Klo auch, und wenn wir wollten, könnten wir den Film aus dem Bett verfolgen. Die Leinwand, sie steht vor unserem Schlafzimmerfenster. Wir wollen aber nicht drinbleiben in dieser warmen Sommernacht, zumal Wilhelm Schäkel, Chef der Zempower Bioranch, beim Tresen ein paar Reihen weiter vorn gerade Rindswürstchen aus eigener Herstellung grillt.

Wir sind mit dem Wohnmobil gekommen – ins älteste Autokino des Ostens im kleinen Dorf Zempow ganz im Norden Brandenburgs, der Ort gehört zu Wittstock/Dosse. Nun stehen wir in der letzten Reihe, oben auf der höchsten Terrasse direkt am Waldrand. Damit wir niemandem die Sicht rauben, unser Gefährt ist ein bisschen höher als die anderen.

Im Vergleich zu einem herkömmlichen Campingplatz mit Strom- und Wasseranschlüssen bietet das Areal zwar weniger Service – was uns egal ist, denn wir haben einschließlich Dusche alles dabei –, dafür haben wir neben dem Kulturerlebnis erheblich mehr Ruhe, vor allem wenn nach Filmende nur noch die zirpenden Grillen zu hören sind.

Dieser Sommer, das kann man jetzt schon prophezeien, wird wie schon der Pandemiesommer 2020 eine große Campingsaison. Weil diese Form des Urlaubs zweierlei verheißt. Zum einen ein gewisses Maß an Freiheit. Niemand zwingt uns, an einem Ort zu verweilen. Zum anderen ist man viel an der frischen Luft, und der Abstand zum Nachbarn ist garantiert. Das eigene Equipment erlaubt es, einander aus dem Weg zu gehen.

Doch der Urlaubserfolg ist damit noch lange nicht garantiert. Da ist zunächst die Fahrzeugbeschaffung. Wohnmobile – erste Wahl für Camper, die auch naturnah ein wenig Komfort schätzen – sind teuer und trotzdem extrem begehrt. Bescherte das vergangene Jahr mit 32 Prozent mehr Neuzulassungen der ohnehin erfolgsverwöhnten Branche schon enormen Verkaufserfolg, hält der Boom in diesem Jahr an. Manche Händler haben jetzt schon ihr Kontingent für 2022 verkauft, wie das Branchenmagazin Promobil meldet. Gebrauchtfahrzeuge erzielen unter diesen Bedingungen beinahe Neuwagenpreise.

Und so dürfte der Camper, den wir unterwegs auf unserer Reise trafen, kein Einzelfall sein. 93.000 Euro hat er für ein Fahrzeug bezahlt, das er nie zuvor zu sehen bekam, der Wagen existierte bis zur Übergabe nur im Katalog. Eine Blindbuchung, die er für alternativlos hielt. „Entweder Sie nehmen den jetzt – oder Sie lassen es“, habe ihm der Händler erklärt.

Dabei ist es gerade für Anfänger empfehlenswert, ein Fahrzeug erst einmal nur zu mieten. Was auch nicht einfach ist, gerade in der Hauptsaison, doch zumindest ist das Angebot breit gefächert. Da gibt es, um nur einige zu nennen, Vermieter mit eigener Flotte wie McRent, den ADAC mit seinen Mobilen oder die Roadsurfer, die sich auf kleinere Vans spezialisiert haben. Und zum anderen Portale, die die Miete von privat an privat organisieren, wie Paul.Camper, Yescapa oder Wobi.

"Nachhaltigkeit“ als Zauberwörtchen

Das Prinzip erklärt auf Nachfrage Levin Klocker, Chef für den deutschsprachigen Raum des ursprünglich französischen Unternehmens Yescapa. „Nachhaltigkeit“ lautet sein Zauberwörtchen, denn die meisten Mobile in privater Hand stehen die längste Zeit im Jahr ungenutzt rum. Was für eine Verschwendung angesichts der mindestens 50.000 Euro, die ein neues Fahrzeug kostet.

Wer sein rollendes Ferienhaus bei Yescapa einstellt, kann einen Teil seiner Kosten wieder reinholen, abzüglich einer Provision, die die Plattform für ihre Vermittlung einbehält, und der obligatorischen Versicherungsgebühren. Das Prinzip unterscheidet sich dabei nicht groß von ähnlichen Plattformen, außer, dass Yescapa in vielen europäischen Ländern vertreten ist.

Über die Plattform lernen wir Daniel und Juliette kennen. Das Paar wohnt in Berlin-Pankow und besitzt zwei Wohnmobile, ein kleines und ein großes. Wir entscheiden uns für das kompaktere, immerhin auch 5,90 Meter lang, aber fast so wendig wie ein Pkw. Außerdem besitzt der Wagen zwei Aufbaubatterien, dazu produzieren die Solarzellen auf dem Dach eigenen Strom. Darauf sollte achten, wer wie wir plant, unabhängig zu bleiben, ohne erleben zu müssen, dass es sehr schnell sehr dunkel werden kann im eigenen Gefährt.

Viel billiger als der Wagen bei einem herkömmlichen Flottenvermieter ist der Wagen mit rund 520 Euro für vier Tage einschließlich aller Versicherungen auch nicht. Dafür gibt es keine Zusatzkosten für irgendwelche Ausstattungspakete, etwa Stühle, Tische oder Töpfe. Was genau enthalten ist, klärt man telefonisch vorab, in unserem Fall ist es sehr viel, vom Teelöffel über den Salzstreuer bis zur Klopapierrolle.

Der Wagen von Daniel und Juliette ist zwar schon vier Jahre alt – bei Flottenvermietern wäre er damit längst an Endverbraucher weiterverkauft worden –, befindet sich aber in Topzustand. Schleifspuren an der oberen Seitenwand, verursacht durch herabhängende Zweige, sind kein Mangel, werden aber wie die wenigen Dellen im Übergabeprotokoll festgehalten. Drinnen ist der Wagen makellos. Auch das Bad mit Plumpsklo, in solchen Wagen üblich, sieht aus wie nie benutzt.

Warum überlassen die beiden ihre Perle wildfremden Mietern? Weil es sich für sie lohnt, wie sie versichern. Anders würden sie sich zwei Wagen nicht leisten wollen, den kleineren eher fürs Wochenende, den größeren für die Familie oder eine längere Reise. Ob er schon mal schlechte Erfahrungen gemacht habe? Nein, versichert Daniel, obwohl es sich bei seinen Mietern in aller Regel nicht um erfahrene Camper wie uns, sondern um Neulinge handelt. Erspart blieb ihm bislang, was man unter Vermietern häufig als Anekdote hört: Dass jemand Diesel in den Frischwassertank füllte. Sein bislang schlimmster Schaden: Einer seiner Kunden versäumte es, die Markise mit Haltebändern zu sichern. Prompt riss eine Windbö das Ding übers Dach, machte 1.400 Euro. Wir registrieren, dass das von uns gemietete Gefährt gar keine Markise hat, der Wassertank mit etwas über 100 Litern wurde bereits von Daniel gefüllt – was soll also schiefgehen?

Restrisiko Platzsuche

Eine weitere Hürde gibt es freilich noch: Die Enttäuschung, wenn man keinen freien Platz findet. Die steigenden Absatzzahlen und der Wunsch vieler Camper, in Zeiten der Pandemie im Land zu bleiben, haben schon vergangenes Jahr vor allem in den Sommermonaten zu Engpässen geführt. Statt großer Freiheit fanden sich viele eingepfercht auf schmalen Parzellen wieder und mussten feststellen, dass ihr Urlaubsdomizil einem Großparkplatz sehr ähnlich ist. Enttäuscht schrieb ein Kollege vom Urlaub im „Reihenhaus auf Rädern“.

Die einsamen Plätze in unberührter Natur, die die Hersteller in ihren Werbespots vorführen, sind schwer zu finden, oft ist der Zugang illegal. Und doch gibt es Alternativen, wir haben sie für unseren verlängerten Wochenendtrip bewusst gesucht.

Deshalb also die erste Station Zempow. Das Autokino dort hat eine lange Tradition, entstand 1974. Frank Mögelin, dessen Vater das Kino gegründet hat, erinnert sich an Schlangen, die manchmal durch den ganzen Ort reichten. Einmal, es wurde „Otto – der Film“ gezeigt, kamen in drei Tagen 10.000 Besucher ins 130-Einwohner-Dorf. Doch irgendwann, vor drei Jahren etwa, ist das Kino sanft entschlafen. Bis im vergangenen Jahr der neu gegründete Dorfkulturverein die Leinwand wieder öffnete.

Heute läuft „Space Dogs“, eine melancholische Doku über Moskauer Straßenhunde, kombiniert mit der ungewollten Karriere ihrer Vorgänger, die in den 60er-Jahren ins All geschossen wurden. Ein halbes Dutzend Autos verliert sich auf den Terrassen, vor uns ist ein Kombi mit drei Jungs aus dem benachbarten Flecken Zechlin eingetroffen. Der Film ist ihnen egal. Ihnen geht es ums Event in der Nachbarschaft, um Kino unter freiem Himmel.

Die ruhige Nacht und der Morgen erfüllen alle Erwartungen an ein kleines Abenteuer mitten in der Natur. So schön kann Camping sein, vor allem, wenn man daran gedacht hat, vorher Brötchen im Dorfladen zu bestellen. Der Weg lohnt sich, nicht nur wegen der Dinkelbrötchen. Die Frau im Laden weiß alles über die Gegend, und ihr Sortiment ist großartig, etwa wenn man das Gewürz Ras el Hanout vergessen hat.

Wegweiser: Scheinbar führen alle Wege zum Autokino nach Zempow.
Wegweiser: Scheinbar führen alle Wege zum Autokino nach Zempow. © A. Austilat/Tagesspiegel

Am nächsten Tag fahren wir durchs hübsche Flecken Zechlin mit seinen Kopfsteinpflasterstraßen und dem malerischen Seeufer weiter nach Rheinsberg, halten bequem auf dem Parkplatz gleich an der Parkallee zum Schloss. Hier darf man nur bis 18 Uhr stehen, Übernachten ist verboten. Aber wir wollen sowieso weiter, unser Ziel ist der Hof von Rudi Mixdorf in Schönberg bei Lindow am Gudelacksee. Gefunden haben wir ihn im Stellplatzführer „Landvergnügen“. Der listet Bauernhöfe in ganz Deutschland, auf denen Camper die Nacht über stehen dürfen. Das kostet nichts, aber der Einkauf im Hofladen wird gern gesehen. Strom oder Wasser sind natürlich zu bezahlen.

Wir haben drei Tage vorher angerufen. Das war klug, denn er vergibt immer nur einen Stellplatz, hat nach seinem Bekunden inzwischen einige Absagen erteilen müssen. Dabei fehlt es ihm nicht an Platz, doch Mixdorf will, dass seine Gäste ihre Ruhe haben. Jetzt steht er vor uns, ein schlaksiger Typ, 28 Jahre alt, „Ährenmann“ steht auf seinem T-Shirt. Im Hauptberuf ist er Tierarzt, bewirtschaftet den mageren Boden nur nebenbei.

Wir kaufen ihm zehn frische Eier ab und einen Salat, außerdem zahlen wir ein paar Euro für den Strom. Die bordeigene Versorgung reicht zwar für Licht und das Aufladen des Handys, sogar für den Fernseher, wenn wir wollten, aber nicht für die Kaffeemaschine. Brauchen würden wir sie eigentlich nicht, wir haben einen Espressokocher für den Gasherd mitgebracht. Und einen Korkenzieher, der fehlte in der Besteckschublade. An ein paar Dinge sollte man also auch in komplett ausgestatteten Privatwagen denken.

Dass wir alles richtig gemacht haben, beweist die Aussicht. Wir stehen mit dem Rücken zum Waldrand, vor uns liegt ein weites Feld. An diesem heißen Tag könnte es auch die afrikanische Savanne sein, nur dass im Panorama keine Giraffen äsen, sondern drei Ziegen. Mit ihnen sind wir allein, seit Rudi Mixdorf wieder zwischen den Bäumen verschwunden ist, hinter denen irgendwo sein Hof liegen muss. Zu sehen kriegen wir den nicht.

Am nächsten Morgen geht es zurück in die Zivilisation, spätestens nach drei Tagen will das Klo entleert werden, auch das Abwasser müssen wir vor der Rückgabe aus dem Tank kriegen. Wir entscheiden uns für die Marina im Ziegeleipark Mildenberg an der Havel. Dort hinter der Hafenmeisterei dürfen Wohnmobile auf einer großen Wiese stehen. Es sind ziemlich viele, die da in Reih und Glied übernachten. Derartigen Trubel sind wir gar nicht mehr gewohnt. Auch die Entsorgung klappt nicht reibungslos, ohne Eimer wäre es uns nicht gelungen, das Abwasser loszuwerden. Auf anderen Anlagen kann man einfach über einen entsprechenden Gulli fahren, was das schmutzige Geschäft erheblich erleichtert.

Dafür gibt es in Mildenberg auf der anderen Seite des Hafenbeckens ein ansprechendes Restaurant mit Blick auf die Havel. Auch nicht schlecht, wenn man am letzten Abend die Küche nicht mehr benutzen will. Das erleichtert die obligatorische Endreinigung, von der man sich auch freikaufen kann – oder man investiert die Gebühr in ein Abendessen. Dabei kann man hier mehr oder weniger versierten Skippern bei ihren Anlegemanövern zuschauen. Gerade bei Anfängern mitunter recht unterhaltsam. Beinahe wie Kino.