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Jens Spahns Corona-Politik im Check

Er setzt auf jede Corona-Panne gleich die nächste Ankündigung. Kein Wunder, dass der Bundesgesundheitsminister für viele ein Sündenbock geworden ist.

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Jens Spahn muss sich Fragen gefallen lassen.
Jens Spahn muss sich Fragen gefallen lassen. © dpa/Bernd Von Jutrczenka

Von Robert Birnbaum

Man müsse, sagt Jens Spahn, doch auch mal auf das Erreichte schauen: „Wir haben mit umfangreichem Testen im ganzen Land auch diese dritte Welle gebrochen!“ Das, Herr Spahn, sagt die Moderatorin trocken, “das haben Sie schon gesagt.“ Sie hat den Bundesgesundheitsminister an diesem Montagfrüh schließlich nicht in den Deutschlandfunk eingeladen, um Erfolge zu feiern, sondern wegen dieser Geschichte mit dem Test-Betrug.

Der Herr Spahn lässt sich aber nicht so leicht stoppen. Er will erst noch die niedrigen Inzidenzen, die hohe Impfquote und gute Zuversicht für den Sommer loswerden: „Das hat auch mit dieser Test-Infrastruktur zu tun!“ Man versteht in solchen Momenten, weshalb Jens Spahn oft der Einzige ist, der den Bundesgesundheitsminister, also ihn, ungefragt verteidigt.

Sich selbst verzeihen ist eigentlich nicht üblich

In diesem Jahr der Pandemie ist einiges schief gelaufen; nichts Schwerwiegendes, aber in der Summe kommt was zusammen. Spahn hat das bekanntlich früh geahnt und früh vorhergesagt, man werde einander hinterher einiges zu verzeihen haben. Inzwischen kann man allerdings leicht den Eindruck bekommen, dass er dabei vor allem daran dachte, sich selbst zu verzeihen.

Diese permanent zur Schau gestellte Selbstgerechtigkeit trägt dazu bei, dass Solidaritätserklärungen aus den eigenen Reihen oft recht bemüht-pflichtgemäß klingen. „Er zieht die Pfeile ja regelrecht auf sich“, sagt ein an sich durchaus gewogener Parteifreund.

Gerade kommt wieder einiges angeschwirrt. Erst kassieren die Ministerpräsidenten Spahns Plan ein, für Kinder und Jugendliche extra Impfstoff zu reservieren. Dann stellt sich heraus, dass man mit Testzentren für Bürgertests sehr leicht sehr viel Geld ergaunern kann.

Wer hat’s verbockt? „Der Gesundheitsminister“, schallt es aus allen Ecken und besonders laut aus dem Willy-Brandt-Haus. „Unbegreiflich“, schimpft SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, wie der Minister solche „Lücken für Betrüger“ zulassen konnte.

Nun muss man wissen, dass der SPD-General im Verein mit den SPD-Ministerpräsidenten und -innen sich den Christdemokraten seit Monaten so nachhaltig zum Ziel nimmt, dass man glatt eine Strategie dahinter vermuten könnte. Ungefähr nach dem Motto: Wenn wir uns im Wahlkampf schon an Angela Merkel nicht rantrauen, machen wir wenigstens den CDU-Mann kaputt, der zeitweise die Beliebtheitswerte der Kanzlerin erreichte.

Was die Beliebtheit angeht, wäre das Ziel erreicht. Der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ist still ein paar Plätze nach oben gewandert auf den demoskopischen Beliebtheitsskalen. Spahn rangiert jetzt in etwa auf einer Ebene mit dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner. In der volkstümlichen Wahrnehmung ist er der Bundesminister für Durcheinander.

Allen, die für ein Corona-Durcheinander auch noch mitverantwortlich sein könnten, kommt das natürlich zupass. Seit bekannt ist, dass einige Testcenter in großem Stil Bürgertests abgerechnet haben, die nie stattfanden, wimmelt es von Unzuständigen.

Diesmal sollte es schnell und unbürokratisch gehen – doch das bescherte Gesundheitsminister Spahn ein neues Problem: die Betrugsfälle in Corona-Testzentren.
Diesmal sollte es schnell und unbürokratisch gehen – doch das bescherte Gesundheitsminister Spahn ein neues Problem: die Betrugsfälle in Corona-Testzentren. © Symbolfoto: Sebastian Kahnert/dpa

Die Kassenärzte-Vereinigung sagt, dass niemand ihr vorgeschrieben habe, Abrechnungen zu prüfen, was schon aus Datenschutz-Gründen auch gar nicht gehe. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber nennt das eine billige Ausrede. Städte und Gemeinden erklären sich für überlastet und ihre Ämter für völlig außerstande, jetzt auch noch Betrügern nachzuspüren.

Aber er könne ja nun nicht aus Berlin die Lage vor Ort kontrollieren, verteidigt sich Spahn. Da müssten die Kommunen schon hinschauen, und wenn sie das nicht schafften, dann dürften sie Einrichtungen eben nicht unbesehen zulassen.

Doch ganz abgesehen von solchen Details gehe es hier um ein grundsätzliches Problem: Anfang März hätten alle nach Tests gerufen und mehr Pragmatismus und Eigenverantwortung gefordert – da könne man jetzt nicht klagen, wenn der Bund nicht alles bis aufs Kleinste regele. „Wir kommen da immer in eine Diskussion von einem Extrem zum anderen“, beschwert sich Spahn.

Da ist etwas dran. Genauso wie daran, dass eine Pandemie oft rasches und also fehlerträchtiges Handeln in unsicherer Lage erzwingt. Allerdings nutzt sich diese Entschuldigung langsam ab.

Zum Beispiel war es keine Überraschung, dass Impfstoff in absehbarer Zeit für Minderjährige zugelassen wird. Statt eines stringenten Plans, der auch die Probleme und Nebenwirkungen berücksichtigt hätte, ließ Spahn die Gesundheitsministerkonferenz vorher bloß beschließen, Impfdosen für diese Altersgruppe ab 12 Jahren „zusätzlich“ zu reservieren.

Akrobatik um das Wort „zusätzlich“

Als den Länderchefs beim Gipfel mit der Kanzlerin aufging, dass „zusätzlich“ nicht „mehr“ bedeutet, sondern die reservierte Menge zulasten der anderen Impfwilligen abgezweigt würde, legten sie ihr Veto ein. Spahn betreibt seither Wortakrobatik um das „zusätzlich“, wobei man der Ehrlichkeit halber auch hier sagen muss: Dass der Bund kein Geheimvorräte bunkert, hätten die Länderkollegen wissen müssen, als sie den Beschluss fassten. Aus ihren Reihen war denn auch keine lautstarke Kritik zu hören. In Sachen Testbetrug schaltete man sich am Montagfrüh zusammen und setzte ohne viel Umstände eine Arbeitsgruppe ein.

Das war sicher ganz in Spahns Sinne. Die Korrektur der Testverordnung wird jetzt zum Gemeinschaftswerk, in dem zur Abwechslung mal seine Zuständigkeit ein wenig verschwimmt. Ansonsten aber tat der Minister, was er seit Monaten tut: Auf jede Panne eine neue Ankündigung obendrauf. Bis Mitte Juli könnten 90 Prozent aller impfwilligen Erwachsenen geimpft sein, versprach er diesmal bei „Anne Will“.

Irgendwann, mag er sich denken, erfüllt sich die frohe Botschaft. Nur dass die Leute dann glauben, dass das am Überbringer lag – das könnte sich als allzu optimistische Annahme erweisen.