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Kommt jetzt der Ansturm auf Kinderärzte?

Grippeimpfung, Corona, Infekte - die Mehrbelastung der Ärzte wird zum Herbst hin noch größer. Manche sagen schon: Wir können nicht mehr.

Von Romy Altmann-Kuehr & Daniela Pfeiffer
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Kinderärztin Alice Möckel (rechts) und ihre Mitarbeiterinnen Schwester Nicole (links) und Schwester Conny betreuen kleine Patienten aus dem Oberland, Löbau und Umland.
Kinderärztin Alice Möckel (rechts) und ihre Mitarbeiterinnen Schwester Nicole (links) und Schwester Conny betreuen kleine Patienten aus dem Oberland, Löbau und Umland. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Alice Möckel zeigt auf den Zettel mit den roten und grünen Pfeilen und sagt: "Das macht es für uns sehr viel einfacher." Was die Oppacher Kinderärztin da auf dem Schreibtisch liegen hat, ist ein Merkblatt zum Umgang mit Krankheits- und Erkältungssymptomen bei Kindern. Das hat das Sächsische Kultusministerium herausgegeben. Und aus dem Merkblatt, das sich vor allem an Eltern richtet, geht klar hervor: Kinder mit leichten Krankheitssymptomen dürfen in die Kita oder Schulen gehen - auch ohne, dass sie beim Arzt untersucht wurden.

Seit wenigen Tagen gilt diese Regelung. Und das verschafft Alice Möckel und ihren Berufskollegen in Löbau-Zittau und dem Landkreis wieder Luft im Wartezimmer. Denn bisher war die Situation "schon extrem", wie die Oppacher Kinderärztin sagt. "Gerade am Anfang, als die Einrichtungen wieder geöffnet wurden, sollte bei jedem kleinsten Schnupfen ein Test gemacht werden." Jedes Kind, was mit Husten, Schnupfen, Heiserkeit in die Kindereinrichtungen kam, wurde auf Anordnung der Schul- und Kitaleitung zum Test geschickt. Die Kindereinrichtungen verlangten, dass ein negativer Corona-Test vorgelegt wird oder ein Arzt bescheinigt, dass das Kind bedenkenlos in die Einrichtungen gehen kann. "Das war katastrophal", schildert die Medizinerin. Ein volles Wartezimmer und lange Wartezeiten waren die Folge. "Dabei kommen wir Kinderärzte sonst schon kaum um die Runden - auch ohne Corona." Sie selbst betreut zu Spitzenzeiten um die 1.000 junge Patienten aus dem Oberland, Löbau und dem Umland. Aktuell sind es etwa 850.

Deshalb ist sie froh, dass es nun die neue Regelung gibt, die nicht mehr für jeden kleinen Schnupfen einen Test verlangt. Das hält die Ärztin auch nicht für sinnvoll. "Die Tests kosten ja auch Geld", argumentiert sie. Die Kosten tragen die Krankenkassen. "Wo soll das hinführen, wenn bei jedem kleinen Schnupfen ein Corona-Test gemacht wird?"

Immer noch kämen aber Eltern, berichtet Frau Möckel, weil sie unsicher sind. Doch selbst eine Bescheinigung vom Arzt ist bei leichten Symptomen nun nicht mehr nötig. Dazu zählen Schnupfen, Halskratzen und gelegentlicher Husten. Allerdings müssten das auch die Kindereinrichtungen noch mehr akzeptieren. 

"Wir schaffen es nicht mehr"

Vom "absoluten Chaos" spricht gar ihre Kollegin Dr. Ines Berger. Die Görlitzer Kinderärztin hat bereits Ende Juni einen Brandbrief an die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen (KVS) geschrieben, als die Corona-Ambulanz für den Landkreis auf dem Gelände des St. Carolus-Krankenhauses in Görlitz schloss. Vier ihrer niedergelassenen Kollegen unterschrieben auch. Die darin geäußerten Befürchtungen sind eingetreten: Ein Ansturm auf die Kinderärzte. "Wir schaffen es nicht mehr. Gestern mussten Patienten, die einen Vorsorgetermin hatten, zwei Stunden warten. Es ging einfach nicht eher", sagt die Ärztin.

Nun gab also der Freistaat neue Maßnahmen und Testkriterien bei Corona-Verdacht - "Flussschema" genannt - bekannt. Demnach müssen Kinder mit leichten Erkältungssymptomen nicht mehr zum Corona-Test. Sie müssen nicht mal zwingend zuhause bleiben. Denn, so heißt es im Schreiben des Freistaates: Ein Ausschluss von Kindern mit leichten Krankheitssymptomen sei nicht hilfreich. Kinder, die aber eindeutig krank sind, sollten mindestens zwei Tage daheim bleiben. Ob sie zum Arzt müssen, entscheiden die Eltern. Die KVS zog schließlich nach, schloss sich den neuen Empfehlungen an.

Der Görlitzer Kinderarzt Markus Rentsch hoffte ebenso wie Kollegin Ines Berger schon lange auf eine Erleichterung. "Von den Patientenzahlen ist das im Moment vergleichbar mit der Grippesaison noch nicht ganz am Höhepunkt. Wenn die wirkliche Krankheitssaison losgeht, wittere ich mit den aktuellen Testmodalitäten einen ungemütlichen Winter", sagte er noch am Donnerstag. Dann kamen die Neuerungen und mit ihnen die Hoffnung auf deutlich weniger Abstriche.

Immerhin hat Rentsch seit 1. Juli - solange ist die Görlitzer Corona-Ambulanz zu - in seiner Praxis 225 Abstriche, seit Beginn der Pandemie sogar 347 Abstriche durchgeführt. Positiv war kein einziger. Gleiches berichtet Ines Berger: Seit 1. Juli sind bei ihr sogar schon 288 Abstriche angefallen - auch hier waren alle negativ. Alice Möckel in Oppach hat unterdessen locker 200 Abstriche bei ihren Patienten genommen, schätzt sie. Auch bei ihr war kein einziger positiv. Allerdings habe sie in der Zeit viele Influenza-Fälle gehabt, auch mit sehr schweren Symptomen. 

Kinderärztin fordert Corona-Ambulanz zurück

In diesen Tagen will die Görlitzerin Dr. Berger noch mal einen Brief an die KVS schicken. "Wir brauchen dringend die Corona-Ambulanz zurück", sagt sie. Diese hatten Landkreis und KVS kurz nach Pandemie-Beginn gemeinsam eingerichtet - in einem separaten Gebäudeteil des Malteser Krankenhauses St. Carolus. Wegen geringer Infektionszahlen im Landkreis war sie wieder geschlossen worden - mit der Option auf Wiederöffnung, sollte sich die Lage wieder zuspitzen. Laut den aktuellen Infektionszahlen ist das bislang nicht der Fall. Doch für die Kinderärztin steht fest: Es muss was passieren.

Ob die jetzt angekündigten Erleichterungen für schon weniger volle Wartezimmer reichen, werden die nächsten Wochen zeigen. Denn neben den aktuell schon stark steigenden Infekten, kommen nun auch noch die regulären Grippeimpfungen dazu. Ob das einen neuen Ansturm bringt? Davon geht die Oppacher Kinderärztin Alice Möckel momentan nicht aus. Zwar werde die Grippeschutzimpfung auch jetzt wieder nachgefragt. "Aber es ist kein großer Unterschied zu anderen Jahren zu bemerken."

Die Krankenkasse Barmer empfiehlt derweil in einer aktuellen Pressemitteilung, vor allem Risikogruppen und Schwangeren, sich zeitnah gegen die Grippe impfen zu lassen. „In diesem Jahr ist die Grippeschutzimpfung besonders wichtig. Sie schützt zwar nicht vor einer Corona-Infektion, kann aber dazu beitragen, dass die Grippewelle gemäßigter verläuft und sich mit der Corona-Pandemie nicht zu stark überschneidet“, sagt Dr. Fabian Magerl, Landesgeschäftsführer der Barmer in Sachsen. Mit der Impfung könne man das Risiko für eine Doppelinfektion mit Grippe und Covid-19 verringern. 

Insbesondere ältere Menschen und chronisch Kranke mit Grundleiden wie Diabetes, Asthma oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollten sich daher immunisieren lassen, so Magerl. Aber auch für alle anderen, die etwa als medizinisches Personal und Pflegekräfte, Beschäftigte im Einzelhandel oder in öffentlichen Verkehrsmitteln häufig anderen Menschen begegnen, sei die Impfung sinnvoll.

Wann zum Arzt und wann nicht? Empfehlungen des Freistaates Sachsen gibt es hier.

Informationen zur Impfsprechstunde in Görlitz gibt es hier.

Mehr Informationen zum Impfplaner gibt es hier: www.barmer.de/a002640.

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