"Die Schulschließung ist eine Katastrophe"

Bautzen. Sie wirken vertraut und sind dennoch ein Novum - die Regelungen, die mit der Bundesnotbremse in Kraft treten. Neu daran ist, dass es erstmals seit Pandemiebeginn bundesweit einheitliche Regelung zum Schulbetrieb gibt. Die bemessen sich am jeweiligen Inzidenzwert des Kreises: Demnach müssen Schulen geschlossen werden, wenn die Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen über 165 liegt. Präsenzunterricht ist nur möglich, solange dieser Schwellenwert sich unter 100 einpegelt.
Diese Zahlen liegen im Landkreis Bautzen in weiter Ferne. Am Freitag meldete das Robert-Koch-Institut für die Region einen Inzidenzwert von 238,5. Das bedeutet: Ab Montag bleiben die Schulen zu. Ausnahmen gelten für Abschlussklassen, Berufs- und Förderschulen. Neu ist, dass auch die 4. Klassen weiter in den Schulen unterrichtet werden.
Eine Umfrage unter Vertretern aller Schulformen im Landkreis zeichnet ein recht homogenes Stimmungsbild im Hinblick auf die Notbremse: Eine Überraschung seien die Regeln nicht, man habe sich bereits die ganze Woche darauf vorbereitet, teilt etwa Doreen Rindock, Leiterin der Großpostwitzer Lessinggrundschule, mit.

Einhalten wollen - und müssen -die neue Regeln ab kommenden Montag alle angefragten Bildungseinrichtungen. Und auch Vincent Richter, Pressesprecher des Bautzener Standortes des Landesamtes für Schule und Bildung (Lasub), teilt mit: "Wir sind nicht die Behörde, die Maßnahmen erlässt, sondern wir setzen um." Insofern wolle man sich nicht mit einer Meinungsäußerung positionieren.
Ungeachtet der Bereitschaft zur Umsetzung der Verordnung und der grundsätzlichen Erleichterung darüber, dass es endlich bundeseinheitliche Regelung zum Schulbetrieb gibt, äußern Rektoren, Elternvertreter und Schulsozialarbeiter im gesamten Kreis aber auch Bedauern über die neuerlichen Schließungen - und Bedenken. Besonders häufig genannt werden hier der zunehmende Mangel an Bildungsgerechtigkeit und die steigende Zahl von Schülerinnen und Schülern, die unter psychischen Problemen leiden.

So sagt etwa Karsten Vogt,
Schulleiter des Philipp-Melanchthon-Gymnasiums in Bautzen: „Es war vertretbar, die
Schulen so zu öffnen, wie wir es zuletzt getan haben.“ Er meint: regelmäßige Schnelltestes, Masken, geteilte Klassen. Die Gruppenbeschulung sei wichtig gewesen, um alle wieder auf einen Stand zu bringen. Diese Ansicht teilt auch Sabine Marz, die Elternratsvorsitzende am Ferdinand-Sauerbruch-Gymnasium in Großröhrsdorf: Homeschooling könne den Präsenzunterricht in keiner Weise ersetzen, sodass sich die Bildungslücken massiv vergrößern werden.
Ähnliche Sorgen plagen die Oberschulen: "Als freie Schule können wir besser kontrollieren, ob wirklich alle Schüler aktiv am Lehrstoff arbeiten", sagt Tina Koppatsch, die Direktorin der freien Schule in Großdubrau. An den großen staatlichen Schulen sei das mitunter schwieriger. Für Gymnasien bestätigt Karsten Vogt, dass es immer wieder Schüler gebe, die sich auf der unterrichtsfreien Zeit ausruhen und im Lehrstoff zurückblieben.

Besonders prekär wird das im Bereich der Grundschulen: "Nach der langen häuslichen Lernzeit haben sich die Klassen gerade wieder zusammengefunden, die Lerndefizite konnten abgebaut werden", hat die Schulleiterin der Grundschule Großharthau, Anja Blankenstein, beobachtet. Und auch Gabriele
Keltsch, die Leiterin der Grundschule am Forst in Kamenz, hat beobachtet, wie glücklich die Kinder gewesen seien, wieder in die Schule zu dürfen. Denn die bräuchten vor allem eines: "Regelmäßigkeiten,
einen Tagesrhythmus."

Drei bis vier Wochen dauere es etwa, bis alle Kinder nach einer längeren Schulschließung wieder im Lernsystem angekommen seien, sich an längere Lernphasen und das frühe Aufstehen gewöhnt hätten, bestätigt Doreen Rindock aus Großpostwitz. Insbesondere bei den Kleinen würden die Grundfertigkeiten - Rechtschreibung, Lesen, Rechnen - unter dem dauerhaften Unterrichtsausfall leiden. Und der Lehrplan sei ohnehin nicht mehr zu schaffen. "Eine Katastrophe - wo bleibt da die Bildungsgerechtigkeit", fragt Rindock.
Ulrike Pohl, Schulsozialarbeiterin am Kamenzer Lessing-Gymnasium, sorgt sich darüber hinaus auch um die Psyche ihrer Schützlinge. Chats oder Videotelefonate ersetzen nicht das persönliche Gespräch - gerade, wenn es um schwierige Situationen oder persönliche Problemlagen gehe, sagt sie. Die neuerlichen Schulschließungen würden diese Probleme weiter verschärfen - in der Warteschleife würden dringende Konflikte nicht besser.
Was unabhängig von diesen Bedenken alle Vertreter des Bildungssystems fürchten, ist ein drohendes Auf und Zu der Schulen infolge sich ändernder Inzidenzwerte. "Ich bin schockiert, welches Maß an Flexibilität von uns Familien erwartet wird“, warnt in diesem Zusammenhang Franziska Breuer vom Bautzener Stadtfamilienrat.
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