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Gottleubaer Arzt erforscht Long-Covid

Dr. Christoph Altmann setzt dabei auf die Erfahrungen der Patienten. Für Betroffene und Kollegen hat er ein bundesweites Forum initiiert.

Von Heike Sabel
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Die regelmäßige Überprüfung der Lungenfunktion gehört zu den Untersuchungen von Long-Covid-Patienten.
Die regelmäßige Überprüfung der Lungenfunktion gehört zu den Untersuchungen von Long-Covid-Patienten. © Sina Schuldt/dpa

Man ist krank und man wird wieder gesund. Das geht mal schneller und dauert mal länger. Wie lange ist normal und ab wann wird man die Krankheit bzw. ihre Symptome gar nicht wieder los? Was bei bekannten Krankheiten bekannt ist, ist bei Covid noch ganz am Anfang der Erforschung und Behandlung. Wie kann den Patienten geholfen werden und wie können die Methoden zur Heilung vorangebracht werden?

Dr. Christoph Altmann, Chefarzt der Bad Gottleubaer Median-Klinik, hat jetzt eine bundesweite Selbsthilfegruppe initiiert. Sie soll Betroffenen und Medizinern helfen. Die Gruppe will sich als Forum verstehen und die Gründung weiterer Gruppen vor Ort anregen. Die Erfahrungen der Kranken stehen dabei im Mittelpunkt und erzählen viel über Covid.

Wie verändern sich die Covid-Patienten?

Am Anfang waren es auch in der Gottleubaer Klinik die schwerkranken älteren Patienten, die mit Rollstuhl und Beatmungsgeräten behandelt werden mussten. Jetzt nehmen die Jüngeren zu, die akut weniger schwer erkranken, aber verstärkt mit den Langzeitfolgen zu kämpfen haben.

Ab wann wird von Langzeitfolgen gesprochen?

Von der akuten Erkrankung spricht man die ersten vier Wochen. Es schließt sich eine dreimonatige Phase an, die als postakut gilt. Halten Symptome länger an, verstärken oder verändern sich, wird von Long-Covid gesprochen. Oft betrifft es Menschen, die zunächst einen eher milden Krankheitsverlauf hatten, die sich aber eben auch nach langer Zeit nicht erholen und den Alltagsherausforderungen auch nach sechs und neun Monaten nicht gewachsen sind. Die Zeiträume sind jedoch nicht so starr zu betrachten, die Grenzen sind fließend. Es gibt auch immer wieder Symptome, die neu auftreten.

Auf der von den Median-Kliniken erstellten Internetseite gibt es auch einen Symptom-Checker, der helfen soll, sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Entdeckt man an sich mehrere Anzeichen, soll unbedingt zunächst der Hausarzt konsultiert werden.

Dr. Christoph Altmann ist Chefarzt der Median-Klinik in Bad Gottleuba und Facharzt unter anderem für Innere Medizin und Kardiologie.
Dr. Christoph Altmann ist Chefarzt der Median-Klinik in Bad Gottleuba und Facharzt unter anderem für Innere Medizin und Kardiologie. © Median Klinik

Wie viel ist heute schon von den Langzeitfolgen verallgemeinerbar?

Es gibt viele Symptome, die es so bzw. in solchen Kombinationen vor Covid nicht gab. Das ist inzwischen klar. Aber wie sie mit der eigentlichen Krankheit zusammenhängen, da ist die Forschung noch am Anfang. "Wir tasten uns langsam vor", sagt Altmann. Die Behandlungen sind noch nicht lange genug erprobt, um genaue wissenschaftliche Erkenntnisse zu haben. "Es fehlt uns noch eine klare Vorstellung über die ursächlichen Schäden." Wenn die Ärzte und Forscher zum Beispiel wie beim Rheuma über die Blutwerte einen Faktor finden, der Covid zugeordnet wird, wird man einen Schritt weiter sein.

Aktuell gibt es eine Studie mit der Charité Berlin zur Rolle des Sauerstoffs und von Medikamenten. Dieses empirische Vorgehen hilft, wissenschaftliche Aussagen zu erhalten. Mitte Oktober initiiert Median zudem einen internationalen Covid-Kongress. "Wir müssen unser Wissen zusammentragen", sagt Altmann. Und dazu tragen auch die Patienten mit ihren Erfahrungen bei.

Wer sind die Ersten in der Selbsthilfegruppe?

Viele Betroffene aus dem Gesundheitswesen, aber auch Lehrer, eine Tierärztin, Verwaltungsmitarbeiter. Es sind Menschen, die entlassen worden, deren Chefs kein Verständnis haben, die sich anhören müssen, warum willst du nicht arbeiten.

Diese ersten Teilnehmer der Selbsthilfegruppe wurden meist von Ärzten persönlich angesprochen und angefragt. Es sind in der Regel Patienten aus den Kliniken. Die Not der Betroffenen ist so groß, sagt Altmann. Mobbing auf Arbeit kommt oft vor. Dazu die Schwierigkeiten, mit einfachsten Dingen im Alltag nicht klarzukommen. Das, was die Patienten berichten, sei sehr persönlich, sagt Altmann und habe ihn oft erschrocken.

Wie geht es den Betroffenen?

Aus den vielen persönlichen Berichten lernen wir viel, sagt Altmann. Es sind oft die allgemein bekannten Symptome, die durch die individuellen Geschichten vielfältiger und genauer werden. Zum Beispiel die Probleme mit dem Geruchssinn. Sie sind mehr als dessen Fehlen. Eine Frau, die immer den Duft aus der Bäckerei mochte, ekelt sich jetzt zum Beispiel davor. Eine andere mag keinen Kaffee mehr trinken, weil ihr der Geruch des Getränkes fehlt. Ein redegewandter Mann weint plötzlich, wenn er dem Postboten die Tür öffnet. Oft treten auch Wortfindungsstörungen auf. Die Betroffenen beginnen Sätze und können sie nicht beenden. Auch Schlafstörungen häufen sich. Der Haarausfall, der die Betroffenen sehr belastet, geht in der Regel nach drei Monaten zurück.

So äußern sich Betroffene

  • "Der Satz 'Ich lege Sie jetzt ins Koma' bleibt mir sehr Gedächtnis gespeichert. Im Krankenhaus konnte ich ganz schlecht einschlafen, wahrscheinlich aus Angst, dass mir das nochmal passiert; zu Hause konnte ich dann wieder besser schlafen."
  • "Ich hatte depressive Phasen wegen der strikten Isolation."
  • "Ich fühlte mich ausgeliefert, hilflos. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich keine äußerlichen Anzeichen von Covid hatte. Wo ist die Krankheit bei mir dann überhaupt?"
  • "Ich war zunehmend trauriger und hatte das Gefühl, mein gesundes Umfeld verstehe mich nicht. Ich fühle mich unter Druck gesetzt durch Arbeitskollegen und bin zunehmend nah am Wasser gebaut."
  • "Ich komme mir so nutzlos vor."
  • "Man muss akzeptieren, dass der körperliche Zustand desolat ist, man aber etwas dagegen tun kann, und die kleinen Fortschritte anerkennen."
  • "Ich halte stets die vorgegebenen Maßnahmen ein und bin auch zum Impfen bereit."
  • "Man muss über seine Ängste reden und sollte den Mut finden, eine Lücke erstmal zuzulassen."
  • "Die Chancen auf seelische Genesung hängen wesentlich von der körperlichen Heilung ab. Die seelische Belastung ist eher vorhanden in der Sorge um Angehörige, denen man selbst nicht helfen kann."
  • „Es gibt zwar keine Heilmittel, aber die Zeit bringt Mut, Kraft und Freude zurück, solange man nichts erzwingt."
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Wie persönlich ist eine Selbsthilfegruppe im Internet?

Durch die vielen Erfahrungen der Erkrankten ist die Gruppe, auch wenn sie sich online trifft, sehr persönlich, sagt Altmann. Man muss sich natürlich erst einmal trauen, sich zu öffnen, sich mitzuteilen, zu fragen. Das grenzt den Kreis zunächst ein. Da aber der Bedarf da ist, wird er wachsen. Die Gründung von Selbsthilfegruppen vor Ort ist ausdrücklich gewünscht. Die Landeskontaktstelle für Selbsthilfegruppen unterstützt deshalb die Median-Aktion. Die jetzt initiierte Gruppe im Internet versteht sich als Forum und will anregen.