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In Pflegeheimen ist Corona noch nicht überwunden

Zu Pandemie-Beginn erkrankten vor allem die Bewohner. Dieses Jahr gibt es unter Pflegekräften mehr Corona-Fälle als je zuvor. Das zeigt ein Report der Barmer.

Von Kornelia Noack
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© dpa/Martin Schutt

Für viele hat Corona den Schrecken verloren. Maßnahmen wie Abstandhalten oder Maskenpflicht werden immer weiter zurückgefahren. Einige Bundesländer haben inzwischen sogar die Isolationspflicht für Infizierte aufgehoben.

Anders sieht es in Pflegeeinrichtungen aus. Bewohner müssen in Gemeinschaftsräumen weiter einen Mund-Nasen-Schutz tragen und Besucher sich testen. Nach wie vor sind Heime Corona-Hotspots. Das zeigt der am Dienstag vorgestellte Pflegereport der Barmer.

Mehr als die Hälfte der Corona-Toten waren Pflegebedürftige

Demnach fiel seit Beginn der Pandemie nicht annähernd so viel Pflegepersonal mit einer Covid-Infektion aus wie in diesem Jahr. Im März waren 158 von 10.000 Pflegekräfte wegen Corona krankgeschrieben – 14 Mal so viele wie im Vorjahresmonat.

Im Juli lag der Krankenstand mit 118 Ausfällen je 10.000 Fachkräften sogar 40 Mal höher als ein Jahr zuvor. Das zeigen Daten von Barmer-versicherten Pflegekräften.

Bereits im ersten Corona-Jahr hatte der Virus zu sehr hohen Ausfallzeiten geführt. Laut Report waren Pflegekräfte in den ersten Wellen im April 2020 und im Dezember 2020 etwa fünfmal so häufig krank wie Beschäftigte in anderen Branchen.

„Schutzausrüstungen standen zunächst nicht ausreichend zur Verfügung, und das Personal konnte durch körpernahe Arbeit nur eingeschränkt Abstand halten“, erklärt Heinz Rothgang. Er ist Autor des Pflegereports und Professor am Socium-Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Uni Bremen. In der dritten und vierten Welle hätten sich die Zahlen angeglichen.

Mehr als die Hälfte der Corona-Toten waren Pflegebedürftige

Außerdem zeigt der Report, wie vulnerabel die Menschen in den Einrichtungen sind. Stationär Pflegebedürftige erhielten demnach überproportional häufig eine Covid-19-Diagnose. Im Verlauf der Pandemie habe sich der Unterschied relativiert. Dies wird auch bei der Sterberate deutlich. In der zweiten Welle lebte jeder Zweite, der an Corona verstorben ist, in einem Pflegeheim. Zum Ende der vierten Welle im Dezember 2021 war es knapp jeder Dritte.

Dennoch: Die Todesfälle mit Corona haben zu einer Übersterblichkeit geführt. Insgesamt sind von Januar 2020 bis Dezember 2021 rund 155.000 Pflegebedürftige im Pflegeheim mehr verstorben, als nach den Sterbeziffern der Jahre 2017 bis 2019 zu erwarten gewesen wäre.

„Durch die Impfungen und das Einhalten der Abstands- und Hygieneregeln konnte das Corona-bedingte Sterberisiko deutlich gesenkt werden. Die Pflegeheime müssen allerdings für weitere Corona-Wellen und neue Virusvarianten gewappnet sein“, sagt Rothgang. Er warnt dabei vor erneuter Isolation. „Drastische Kontaktsperren für Besucher, Therapeuten und teilweise auch Ärzte hatten sich zu Beginn der Pandemie negativ auf die psychische Gesundheit der Bewohner ausgewirkt, nicht zuletzt durch Einsamkeitserleben“, sagt Rothgang.

Weniger Pflegebedürftige zogen in ein Pflegeheim

Laut Pflegereport hatten zudem viele Angehörige große Bedenken, ihre Mutter oder ihren Vater in eine Einrichtung zu geben – aus Angst um deren Gesundheit. Die Anzahl der Älteren, die von der häuslichen Pflege in die stationäre Pflege wechselten, sank deutlich. Im April 2018 und 2019 zogen jeweils über 25.000 Menschen in ein Heim. Im Mai 2020 waren es nur noch 17.000. Das entspricht einem Minus von rund einem Drittel.

„Dieser Rückgang wird nicht nur daran gelegen haben, dass Pflegeheime an ihre Kapazitätsgrenzen gekommen sind. Er wird auch Ausdruck der Sorge gewesen sein“, sagt Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer. Erst im Sommer 2021 sei wieder das Niveau vor der Pandemie erreicht worden.

Pflege-Rettungsschirme kosten mehr als neun Milliarden Euro

Der Report zeigt auch massive Auswirkungen auf die Finanzierung durch die soziale Pflegeversicherung. Neben den Ausgaben, die die Einrichtungen für Sachmittel und Personal stemmen mussten, führten nicht belegte Heimplätze zu Mindereinnahmen. Seit März 2020 stellten die Einrichtungen dafür bei den Pflegekassen Anträge auf Erstattung in Milliardenhöhe. Unter dem Strich standen am Ende des ersten Quartals 2022 mehr als neun Milliarden Euro. Trotz nachträglicher Steuerzuschüsse sind 6,4 Milliarden Euro zum Ende des ersten Quartals 2022 offengeblieben.

Barmer-Chef Straub: „Im Pflegeheim leben die schwächsten Menschen, die weiterhin Schutz benötigen. Wir brauchen auch weiterhin ein Corona-Konzept mit Augenmaß, vor allem für diese Schutzbedürftigen.“