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Pirnaer Hausarzt: "Lasst euch alle impfen"

Dr. Lard Dwaronat erklärt, warum Corona-Impfstoffe so wichtig, die Lage so dramatisch und Verschwörungstheorien so gefährlich sind.

Von Thomas Möckel
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Dr. Lard Dwaronat: Die Haare wachsen lassen, bis es einen Impfstoff gegen Corona gibt.
Dr. Lard Dwaronat: Die Haare wachsen lassen, bis es einen Impfstoff gegen Corona gibt. © Daniel Schäfer

Als die erste Corona-Welle im Frühjahr 2020 über das Land hereinbrach, fasste Dr. Lard Dwaronat, Hausarzt in Pirna-Copitz, einen Entschluss. Er wollte sich so lange die Haare nicht schneiden lassen, bis ein Impfstoff gegen das Virus gefunden ist.

Seit einer Weile gibt es nun mehrere Impfstoffe auf dem Markt, die Haare mussten gleichwohl weiter sprießen, weil die Frisöre bislang geschlossen waren. Doch gleich am zweiten Tag nach der Frisör-Wiedereröffnung ließ sich Dwaronat die inzwischen schulterlange Mähne stutzen, er trägt jetzt wieder eine modische Kurzhaarfrisur.

Mit seinen selbst gewählten Bad-Hair-Monaten wollte der Mediziner vor allem zeigen, wie viel Hoffnung er in einen Impfstoff legt, wie wichtig die Seren sind, um das Virus zu bekämpfen. Er hält die Vakzine für einen der zentralen Auswege aus Lockdown und Pandemie.

Denn die Corona-Lage hat aus seiner Sicht längst dramatische Züge angenommen, vor allem in der zweiten Welle.

Harter Kampf an der Corona-Front

Diese Dramatik spürt der Allgemeinmediziner Tag für Tag, er ist als Hausarzt meist der erste Ansprechpartner für Patienten, die Fallzahlen haben die Praxis quasi überrollt.

Er und sein Team, dem er großen Dank zollt, arbeiten längst an der Grenze der Leistungsfähigkeit, der Kampf an der Corona-Front ist hart und kräftezehrend. Praxisabläufe mussten umgestellt werden, Patienten müssen isoliert per Telefon oder Hausbesuch betreut werden, der zusätzliche Aufwand ist immens. "Wir mussten moralisch-ethisch schwierige Entscheidungen treffen und standen von unseren Möglichkeiten her oft auf dünnem Eis", sagt der Mediziner.

Wie alarmierend die Situation mittlerweile ist, belegen seine eigenen Zahlen. Dwaronat ist weder Institut noch Behörde, die Statistiken von oben nach unten liefern - und an denen viele Menschen so oft zweifeln.

Er spricht als klassischer Hausarzt, als Mann an der Basis, er erzählt die Zahlen anhand seiner Fälle, die er erlebt. Und sie häufen sich.

Der Hausarzt nun wieder mit Kurzhaarfrisur: Bei anderen Impfungen haben sich die Menschen auch nicht so zimperlich.
Der Hausarzt nun wieder mit Kurzhaarfrisur: Bei anderen Impfungen haben sich die Menschen auch nicht so zimperlich. © Daniel Schäfer

17 Patienten sind verstorben

Dwaronat hat die Praxis im alten Copitzer Rathaus vor nunmehr 15 Jahren am 1. Februar 2006 übernommen. Zeitgleich mit seiner Vorgängerin verabschiedeten sich drei weitere Hausärzte in den Ruhestand, das Patientenaufkommen bei ihm stieg gewaltig. Anfangs umfasste die Patientenkartei 2.300 Patienten, inzwischen sind es 17.000. "Daher kann ich belastbare Zahlen liefern", sagt Dwaronat.

Wie sehr sich die Corona-Lage zugespitzt hat, zeigt vor allem ein Vergleich zwischen erster und zweiter Welle. In der ersten Pandemie-Welle im Frühjahr 2020 registrierte der Hausarzt zwei klinisch relevante Corona-Fälle in seiner Praxis.

In der zweiten Welle seit Herbst 2020 waren es bislang 176 klinisch relevante Fälle, 17 der Patienten starben innerhalb von drei Wochen, 62 von ihnen hatten einen schweren Krankheitsverlauf, 63 der Patienten leiden an Post-Corona-Syndromen und Funktionsausfällen.

Zwölf Notrufe und vier Leichenschauen

Dwaronat verschrieb 19 Sauerstoffgeräte, um aus der Klinik entlassene Patienten zuhause weiterversorgen zu können. Das entlastete auch die Krankenhäuser, die zeitweise nicht wussten, wohin mit den Patienten. Ein Patient von Dwaronat wurde beispielsweise auf eine Spezialstation nach Magdeburg verlegt, wo er kurz darauf verstarb. "Das zeigt, welche Dimensionen diese Pandemie zwischenzeitlich angenommen hat", sagt der Mediziner.

Dramatisch waren auch andere Einsätze. In der Hochzeit der zweiten Welle im Dezember ereilten Dwaronat während eines zwölfstündigen Bereitschaftsdienstes zwölf Notrufe, zudem wurde er zu vier Leichenschauen gerufen. "In einem solchen Ausmaß kannte ich das bislang nicht", sagt er.

Und die Tücke des Virus liegt ganz oft im Verborgenen. Mittlerweile, sagt Dwaronat, sei pathologisch gesichert, dass die Viren kleine Gefäße im Körper verschließen. Diese sogenannten Mikroembolien können nicht nur die Lunge, sondern auch andere Organe befallen. Die Folge: Die Organe bleiben zwar erhalten, verlieren aber ihre Funktion. Nach Aussage von Wissenschaftlern sind unter anderem diese Mikroembolien eine der Haupttodesursachen von Covid-19-Patienten.

Viele Gründe, sich impfen zu lassen

Angesichts dieser oft tödlichen Virus-Gefahr appelliert Dwaronat an die Menschen: "Lasst euch alle impfen, wenn ihr dran seid." Denn nur die Vakzine böten einen größtmöglichen Schutz.

Impfen lassen könne man sich ja aus verschiedenen Gründen. Beispielsweise aus sozialen Gründen, um Liebste und Angehörige zu schützen. Oder aus egoistischen Gründen, um sich selbst zu schützen. Oder aus demokratischen Gründen, weil sich mit erreichter Herden-Immunität auch die Andersdenkenden schützen lassen. Es sei schließlich ein Privileg der Demokratie, auch Andersdenkende zu schützen.

Oder aber man lässt sich heimlich beim Hausarzt impfen, wenn genügend Serum verfügbar ist. Das ist zwar noch etwas Zukunftsmusik. Aber wenn die Vakzine einmal bei den Hausärzten sind, rechnet Dwaronat mit einer steigenden Impfakzeptanz, weil Hausärzte Vertrauenspersonen sind und es in ihren Praxen intimer zugeht als in großen Impfzentren.

Gefährliche Verschwörungstheorien

Den Widerstand vieler gegen die Corona-Impfungen kann Dwaronat nicht nachvollziehen. Sonst, beispielsweise bei der Urlaubs-Impfberatung, hätten sich einige auch nicht so zimperlich. "Da nehmen manche schon mal zehn Tage Krankschreibung für eine Gelbfieber-Impfung in Kauf, weil es unbedingt in die Tropen gehen muss", sagt der Hausarzt. Oder andere lassen sich klaglos präventiv sieben Tollwut-Schutzimpfungen verpassen, weil das Urlaubsziel mitten im asiatischen Dschungel liegt. "Deshalb sollten sich die Menschen jetzt bei Corona nicht so anstellen und sich einfach den Pikser geben lassen", sagt Dwaronat.

Auch appelliert der Arzt an alle, sich von fragwürdigen Internetportalen fernzuhalten und nicht auf Verschwörungstheorien hereinzufallen. Vor allem in Letzterem sieht er eine große Gefahr. "Verschwörungstheorien sind bereits im Vorfeld tiefenpsychologisch von Anfang bis Ende durchkonstruiert", sagt er. Allerdings werde davon dann alles nur häppchenweise angeboten. Das suggeriere dem Nutzer, dass er etwas Geheimnisvollem, einer Verschwörung auf der Spur sei. "Die eigentliche Verschwörung liegt aber in der Verschwörungstheorie selbst", sagt Dwaronat. Letztendlich würden die Menschen damit nur vorgeführt.

Zudem seien solche Theorien gesellschaftszersetzend, die teilen und spalten die Gesellschaft, doch diese Spaltung dürfe man laut Dwaronat nicht zulassen. "Die Pandemie lässt sich nur im 'Wir' bewältigen", sagt er.

Das Virus wird aggressiver

Er rät stattdessen, der Wissenschaft zu vertrauen. "Die geballte Wissenschaftskompetenz dieser Welt hat uns mit den Impfstoffen Mittel gegeben, die uns aus dem Lockdown führen", sagt er. Nun liege es an jedem Einzelnen, diese Mittel anzuwenden, um sich gemeinsam aus dieser derzeit unerträglichen Situation zu befreien.

Sollte das nicht geschehen, befürchtet er Schlimmes. Wenn eine dritte oder gar vierte Welle so dramatisch ausfallen würde wie die zweite, sieht der Mediziner riesige Probleme auf die Menschen und das Gesundheitssystem zukommen. "Das Virus wird aggressiver", sagt Dwaronat, "aber mit einer Impfung ist die Lage beherrschbar."

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