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Politik in Sachsen – Die Morgenlage

Umfrage zu Corona-Protest +++ "Freie Sachsen" mobilisieren gegen Kretschmer +++ Stufenplan +++ Ostbeauftragter: Kohle-Gelder vorziehen

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Ist das die Mehrheit? Eine repräsentative Umfrage zeigt, wie groß die Unterstützung für die Corona-Demos in Sachsen wirklich ist.
Ist das die Mehrheit? Eine repräsentative Umfrage zeigt, wie groß die Unterstützung für die Corona-Demos in Sachsen wirklich ist. © dpa-Zentralbild

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Guten Morgen,

selten habe ich einen Politiker erlebt, der sich mit soviel Mut und Verve auch in schwierigste Situationen wagt. Der sich selbst derart hart-unerbittlich zwingt, auch dorthin zu gehen, wo manche sich mit dem größten Abstand absichern gegen jede mögliche Konfrontation, jedes schlechte Bild und jeden Misston.

Auch gestern hat sich Sachsens Ministerpräsident wieder in eine solche Situation gestürzt. Die Szenen wurden gefilmt, wie Michael Kretschmer ankommt in Frankenberg. Kretschmer, umringt von drei Personenschützern, steigt aus dem Wagen, zieht sich den grünen Anorak an mit der Rücken-Aufschrift "So geht sächsisch". Dann geht er direkt zu der hinter Plakaten der sogenannten "Freien Sachsen" versammelten Menge, die ihn lauthals-schrill anbrüllt: "Hau ab, hau ab". Ein NPD-Mann ist darunter, ein bekannter Neonazi der Region macht sich den Spaß eines gemeinsamen Fotos. Kretschmer geht freundlich an den Menschen vorüber, die ihn mit schrillem Trillerpfeifen-Ton und immer lauter werdenden Rufen quasi "niederbrüllen". Er berührt zwei von ihnen am Arm, signalisiert mit ihnen sprechen zu wollen.

Doch das Gebrülle wird nur lauter, die Pfeifen noch schriller. Ein Mann schwenkt Kretschmer respektlos mit seinem Fähnchen ins Gesicht, das er geduldig abwehrt, bevor ein Personenschützer es energischer tut. Niemand spricht hier mit dem Ministerpräsidenten. Das Gespräch sucht hier keiner. Niemand will hier mit dem Mann sprechen, dessen großes Talent, die Fähigkeit zum Dialog, die ausgestreckte Hand, das bedingungslose Gespräch ist.

Und so bricht dieses Bild im Spiegel der genaueren Betrachtung. Wieder einmal. Denn für die pöbelnde Menge in Frankenberg ist es ein medial mehrfach transportierter Erfolg – ein Bild der Demütigung entsteht. Und genau dabei wird nicht nur eine Person, sondern auch das Amt des Regierungschefs beschädigt. Und so endet wieder ein Tag, an dem Michael Kretschmer mit einem gut gemeinten, aber unbedachten Gesprächsangebot so viel mehr Menschen enttäuscht, die in den vergangenen zwei Jahren auch die härtesten Phasen der Corona-Pandemie mit Geduld, Solidarität und Engagement durchgetragen haben – und damit auch Michael Kretschmer.

Herzlichst,

Ihre Annette Binninger, Leiterin Politikredaktion sächsische.de

Die wichtigsten News am Morgen

+++ Mehrheit der Sachsen lehnt Corona-Demos ab +++

Die Mehrheit der Sachsen lehnen die Corona-Demos ab. Das ist das Ergebnis von zwei repräsentativen Umfragen, die saechsische.de gemeinsam mit den Meinungsforschern von Civey gestartet hat. Demnach sagen fast zwei Drittel (61 Prozent) der Sachsen, sie könnten es sich nicht vorstellen, demnächst an einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen teilzunehmen. Etwas mehr als ein Drittel (35 Prozent) gibt hingegen an, das tun zu wollen. Gefragt danach, ob sie die Anliegen der Demonstranten grundsätzlich für unterstützenswert hielten, sagt zwar die Hälfte der Sachsen "nein". Jedoch ist der Anteil derer, die das anders sehen, fast genauso groß: 43 Prozent finden den Protest unterstützenswert, die übrigen 8 Prozent sind unentschieden. Bundesweit sehen die Zahlen deutlich anders aus.

Derweil rufen mehrere Initiativen zum Dialog auf. Das Bündnis "Zittau gemeinsam" lädt heute Nachmittag auf den Marktplatz ein. Dabei sind auch explizit jene eingeladen, gegen die sich das Bündnis gegründet hat - die Kritiker der Corona-Maßnahmen. Geplant sind unter anderem Theater, Musik und Lesungen - unter Beachtung der Hygieneregeln. Die Stadt Herrnhut plant indes selbst eine Veranstaltung, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Bei der Veranstaltung, die noch nicht terminiert ist, soll es die Möglichkeit geben, mit Stadträten und dem Bürgermeister zu sprechen. Die Dresdner Initiative "Haltung zeigen" will derweil künftig unter anderem kleinere Gegendemos unterstützen.

Unterdessen kritisiert Sachsens ehemaliger Innenminister Heinz Eggert (CDU) die Gleichsetzung der am Montag stattfindenden Corona-Protesten mit den Montagsdemonstrationen zur Wendezeit 1989. "Der Irrtum vieler ist: Sie denken, Demokratie und Freiheiten wären an nichts gebunden. Natürlich kann ich eigene Entscheidungen treffen, aber dann muss ich die Konsequenzen tragen", sagt Eggert. Wer das als Staatsterror bezeichne, wisse nicht, wovon er spreche.

+++ Ministerium veröffentlicht Corona-Stufenplan +++

Das Gesundheitsministerium hat einen Stufenplan zu Corona-Regeln abhängig vom Infektionsgeschehen veröffentlicht. Er basiert auf der aktuell geltenden Corona-Schutzverordnung und Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI), wie das Gesundheitsministerium am Dienstag mitteilte. Eine tabellarische Übersicht zeigt, welche Maßnahmen ab welcher Inzidenzstufe ergriffen werden könnten. Die Übersicht solle Orientierung und Perspektive bieten, sei aber juristisch nicht bindend, betonte das Ministerium. Die dargestellten Maßnahmen seien Grundlage für weitere Diskussionen mit dem Landtag und in der Landesregierung.

Bei einer Inzidenz unter 100 könnten demnach Kontaktregeln fallen, die FFP2-Maskenpflicht könnte auf Pflegedienste und Besucher in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser beschränkt werden. Großveranstaltungen mit mehreren Tausenden Menschen könnten für Geimpfte, Genesene und Getestete (3G) möglich werden.

+++ 200 neue Windräder für Sachsen +++

In Sachsen sollen in den nächsten Monaten etwa 200 neue Windräder gebaut werden. Das hat Energieminister Wolfram Günther am Dienstag angekündigt, nachdem sich die Landesregierung nach langem Ringen auf einen Kompromiss der Bauordnung geeinigt hat. Demnach müssen künftig neue Windkraftanlagen in Sachsen in der Regel mindestens 1.000 Meter von Siedlungen entfernt sein. Fünf Wohngebäude gelten als Minimum für eine Siedlung. Laut Umweltministerium lässt sich mit den neuen Vorschriften das "Zwischenziel" aus dem Koalitionsvertrag erreichen, bis zum Jahr 2024 Anlagen mit mehr als zwei Terawattstunden Windkraft-Leistung zusätzlich in Sachsen zu bauen.

Im Landtag fand die Regelung ein unterschiedliches Echo. Nach Ansicht der Linken sind die 1.000 Meter Mindestabstand keine Lockerung der bisherigen Regeln, sondern eine Ausbau-Hürde. Laut Umweltbundesamt reduziere ein solcher Mindestabstand die verfügbare Fläche für diese Anlagen um 20 bis 50 Prozent, argumentierte der Abgeordnete Marco Böhme. CDU-Fraktionschef Christian Hartmann erinnerte laut Mitteilung daran, dass der Ausbau Erneuerbarer Energien Akzeptanz vor Ort brauche: "Das geht nicht mit der Brechstange."

+++ Ostbeauftragter will Kohle-Fördergelder vorziehen +++

Die Bundesregierung muss nach Ansicht ihres Ostbeauftragten Carsten Schneider (SPD) die Mittel für den Strukturwandel in den Kohleregionen vorziehen. Schneider begründete das am Dienstag bei seinem Antrittsbesuch in Dresden mit dem geplanten vorzeitigen Ausstieg aus dem Kohleabbau. Die Mittel müssten eher fließen. Das sei einer der ersten Punkte, denen er sich widmen werde. Schneider will nach eigenem Bekunden moderierend mit den Ministerien das Gespräch suchen und die Bundestagsabgeordneten aus den betroffenen Regionen einbeziehen. Schneider sieht einen neuen Technologie- und Innovationsschub durch die Energie- und Klimapolitik. "Wir müssen den Vorsprung, den wir in der Transformation in Ostdeutschland haben, nutzen, um bei neuen Technologien ganz vorn mit dabei zu sein."


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