Feuilleton
Merken

So verändert Corona das Filmemachen

Der Dresdner Johannes Praus ist für den Deutschen Kamerapreis nominiert. Doch Abstand und Atemschutz erschweren ihm seinen Beruf erheblich.

Von Oliver Reinhard
 7 Min.
Teilen
Folgen
Thüringen statt Thailand: Mit dem Weltenbummeln muss auch der Fotograf und Filmer Johannes Praus pausieren.
Thüringen statt Thailand: Mit dem Weltenbummeln muss auch der Fotograf und Filmer Johannes Praus pausieren. © privat

Normalerweise reist Johannes Praus um die Welt. Normalerweise kommt er Menschen dabei sehr nahe, körperlich, aber auch emotional. Das geht mit Abstand und Maske aber nur noch sehr bedingt. Die Pandemie, sagt der 36-jährige Dresdner, bedeutet auch für die Arbeit von Künstlern wie ihn große Einschränkungen – und verändert den Film. Seinen Kandidaten-Beitrag „Hüter der Erde“ könnte er jetzt so nicht mehr drehen.

Herr Praus, hat Sie die Corona-Krise mitten in der Arbeit erwischt?

Fast. Mit einem Projekt hatten wir vergleichsweise Glück: Bei der dokumentarischen Serie „Hüter der Erde“ waren wir insgesamt drei Kameraleute. Anfang März letzten Jahres hat ein Kollege den letzten Teil gedreht, da bahnte sich das mit Corona schon an, war aber noch kein wirkliches Thema. In der Serie geht es um Hirten in verschiedenen Ländern der Erde, für jede Folge waren wir in einem anderen Land. Ich habe vor allem die Folgen im Gebirge von Kirgistan und in Peru auf 4.800 Höhenmetern gedreht, das war im Frühling und Sommer 2019. Ein Jahr später wäre das undenkbar gewesen. Und jetzt ist die Situation in der Filmbranche natürlich seit Langem erheblich eingeschränkt. Das betrifft auch mein aktuelles Projekt „Die Ecke“.

Worum geht es darin?

Um ein Ereignis aus dem zweiten Weltkrieg in einem thüringischen Dorf, wo am 4. April 1945 ein amerikanischer Soldat von einem Deutschen erschossen wurde. Von dieser Szenerie ist vor Ort ein Foto entstanden, das weltweit durch die Presse ging. Viele Menschen kennen das Bild heute noch. Wir wollen die Geschichte dieses Fotos und dieses Dorfs erzählen. Dabei geht es um Erinnerung, Heimat, Krieg, Vergangenheit und Heute. Vor Kurzem haben wir dort gedreht, Zeitzeugen gesucht und gefunden, zum Beispiel Mariechen, die damals als Kind von dem Tod des Soldaten mitbekommen hat und heute 80 Jahre alt ist. Im Dorf existieren verschiedene Schilderungen darüber, was damals wirklich passiert ist. Es gibt auch Uneinigkeit darüber, auf welche Art daran erinnert werden sollte. Es ist ein sehr sensibles Thema. Regisseurin Christa Pfafferott und ich arbeiten da eng zusammen. Wichtig ist, viel Vertrauen aufzubauen zu den Menschen, von denen wir erzählen. Wir möchten sie kennenlernen, Nähe herstellen.

Porträts von Menschen, aus dem Leben gegriffene Momente sind die große Leidenschaft von Johannes Praus.
Porträts von Menschen, aus dem Leben gegriffene Momente sind die große Leidenschaft von Johannes Praus. © Johannes Praus

Viele Menschen denken, ein Dokumentarfilm sei immer ein journalistisches Produkt und müsse daher vor allem die nüchterne Wahrheit abbilden ...

Das sehe ich anders. Künstlerische Dokumentarfilme sind kein Journalismus. Sie wollen nicht erklären, sondern zum Nachdenken anregen. Sie verpflichten sich einer Wahrhaftigkeit, aber wählen dabei im Gegensatz zum Journalismus häufig eine suchende Haltung und einen subjektiven Blick. Genau dieser Fokus auf das Menschlich-Persönliche ist für mich das besondere am Dokumentarfilm. Filmschaffende nehmen ihre Themen immer auch persönlich wahr, sie haben ihre eigenen, sehr individuellen Blicke auf die Welt, vor allem auf die Menschen. Wer bin ich denn auch, dass ich sagen könnte, ich würde die Wahrheit kennen und sehen? Noch bevor ich die Kamera auslöse, schon während ich eine Perspektive wähle und genau hinschaue, dann ist das immer eine sehr persönliche und natürlich auch sehr subjektive Sehweise. Das hat mit intensiver Auseinandersetzung zu tun, und genau dadurch bekommt es eine Wahrhaftigkeit. Meine Herangehensweise in der Bildgestaltung ist figuren- und menschenorientiert, ich nenne das eine empathische Bildgestaltung und arbeite mit Nähe, auf Augenhöhe.

Wie sehr werden Sie durch Corona eingeschränkt in Ihrer Arbeit?

Es ist eine starke Veränderung. Die Arbeitsabläufe werden viel komplizierter, alles dauert länger. Mit zwei fiktionalen Serienformaten sind wir gerade in der Vorbereitung, und ich drücke die Daumen, dass trotz der andauernden Pandemie alles gut klappt und dabei etwas Schönes herauskommt. Beim Dokumentarfilm sind die Teams zwar kleiner, das macht es etwas leichter. Aber die Abstandsregeln wirken sich extrem auf das Verhältnis zu den Protagonisten aus. Um Nähe herzustellen, körperliche und auch psychische, arbeite ich viel mit Handkamera. Das ist ein elementares Gestaltungsmittel für mich, wegen der Unmittelbarkeit. Ich bewege mich mit den Menschen, weil ich auch ihre Körpersprache verstehen und einfangen will, ihre Gesten, ihre Mimik. Das ist enorm wichtig, gerade wenn ich im Ausland drehe. Ich verstehe ja dann kein Wort von dem, was die Menschen sagen. Als Kinematograf bin ich also ganz darauf angewiesen, sie nonverbal zu verstehen. Aber auch beim Drehen mit deutschsprachigen Protagonistinnen finde ich die Körpersprache total wichtig. Darüber kann ich ihre Reaktionen auf bestimmte Dinge wahrnehmen und einfangen, wie Freude, Traurigkeit, Abwehr, Zugewandtheit oder Stolz.

Für seinen Bildband „Mitgebrachte Augenblicke einer Wirklichkeit“ war Johannes Praus unter anderem unterwegs in Israel, Palästina, Rumänien, Kaschmir, Bergkarabach und im Baltikum.
Für seinen Bildband „Mitgebrachte Augenblicke einer Wirklichkeit“ war Johannes Praus unter anderem unterwegs in Israel, Palästina, Rumänien, Kaschmir, Bergkarabach und im Baltikum. © Johannes Praus

Physische Nähe ist oft Voraussetzung für psychische Nähe. Kann man Letzteres überhaupt ohne Ersteres herstellen?

Das ist extrem schwierig. Bei „Die Ecke“ haben wir unsere 80-jährige Protagonistin, sie ist Hochrisikogruppe. Wir machen als Filmteam natürlich regelmäßig Tests und tragen Masken, aber das ist ja keine 100-prozentige Sicherheit. Natürlich will ich sie nicht gefährden und gehe mehr auf Abstand zu ihr, als ich es normalerweise tun würde. Wenn ich dann aber merke, dass plötzlich bei ihr etwas aufbricht, ein Gedanke, eine Erinnerung an früher, dann möchte ich das natürlich einfangen, auf sie zugehen, muss mich aber immer wieder zusammenreißen und mir sagen: Mach das nicht, das könnte gefährlich für sie sein!

Was für Sicherheitsmaßnahmen außer Abstand müssen Sie einhalten?

Der zusätzliche Aufwand für die Organisation von Drehs ist enorm, das kostet viel Zeit und Geld. Es muss ja jetzt etwa auch geklärt werden: Wie kommen wir wann wohin, was haben die da gerade für Inzidenzwerte, welche Regelungen und Einschränkungen gelten da, wie kann man Tests organisieren? Beim letzten Drehblock haben wir alle am Anfang einen PCR-Test gemacht und dann alle zwei Tage Schnelltests. Natürlich ist auch das Arbeiten mit FFP2-Maske eine große Einschränkung, vor allem wenn ich durch den Kamera-Sucher schaue, der ständig beschlägt. Auf der anderen Seite bin ich auch sehr dankbar.

Wofür?

Dafür, dass wir überhaupt noch drehen und arbeiten können. Zwar finden aktuell viel weniger Drehs statt als normalerweise und eben immer unter eingeschränkten Bedingungen. Aber so viele Künstlerinnen und Künstler können seit über einem Jahr gar nicht arbeiten, da sind wir Filmschaffenden ja im Vergleich noch regelrecht privilegiert!

Dokumentarfilmer sind ja immer auch Weltenbummler. Vermissen Sie das Reisen?

Natürlich sind die Drehs im Ausland immer total bereichernd, und an den verschiedenen Orten habe ich viel gelernt. Ich denke oft an bestimmte Erlebnisse mit Protagonisten zurück, beispielsweise an die vielen inspirierenden Begegnungen mit den Transgender-Menschen beim Dreh meines Films "Transit Havanna" in Kuba. Zugleich begegne ich auch bei dem aktuellen Projekt in Thüringen ganz besonderen Menschen. Letztlich geht es immer um den gegenseitigen Austausch – egal ob man die gleiche Sprache spricht oder nicht. In meiner Arbeit als Fotograf kommt übrigens noch mal ein anderer Aspekt hinzu.

Dass Sie, anders als beim Film, wo Sie mit einer Regie zusammenarbeiten, Orte und Themen selbst wählen können?

Genau. Vor drei Jahren kam mein Bildband „Mitgebrachte Augenblicke einer Wirklichkeit“ heraus. Ich bewege mich damit in der Tradition der Sozialdokumentarischen Straßenfotografie. Die Fotos entstanden unter anderem in Israel, Palästina, Rumänien, Kaschmir, Bergkarabach und im Baltikum. Zurzeit arbeite ich aber an einem ganz anderen Fotoprojekt, einer Porträtreihe. Auch darin geht es um das menschliche Dasein im Hier und Jetzt, aber diesmal fotografiere ich eben alles hierzulande und in einem intimen Kontext. Das finde ich erstens spannend und zweitens angesichts der Pandemie und der Weltlage auch angemessen. Ich bin mir sicher, dass sich etwas verändern muss. Es geht nicht, dass wir alle ständig durch die Welt fliegen. Wir müssen echt auf unseren Planeten aufpassen. Und inzwischen gefällt es mir auch, mich auf die nähere Umgebung zu fokussieren.

Thüringen statt Thailand?

Ja, warum nicht? Auch hier gibt es viel zu entdecken, vielleicht zurzeit auch neu und anders, denn das Miteinander hat sich ja schon sehr verändert und verändert sich ständig weiter: Wie gehen wir mit der Krise um? Wie reagieren wir als Gesellschaft und als Individuen darauf? Solidarisch oder egoistisch? Das sind ja ganz zentrale Fragen für unser Zusammenleben und dafür, wie wir die Zukunft gestalten. Und ich habe das Gefühl, dass wir uns gerade in einer riesigen Umbruchphase befinden.