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Steinmeier: "Die Ungeduld wächst im Lande"

Bundespräsident Steinmeier spricht per Videokonferenz mit Mitarbeitern im sächsischen Gesundheitswesen – und hört viele Sorgen.

Von Thilo Alexe
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l) fragte vier im sächsischen Gesundheitswesen Beschäftigte und einen Bestatter am Donnerstag in einer Videoschaltkonferenz nach ihren Erfahrungen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l) fragte vier im sächsischen Gesundheitswesen Beschäftigte und einen Bestatter am Donnerstag in einer Videoschaltkonferenz nach ihren Erfahrungen. © Wolfgang Kumm/dpa

Das ist eine gute Nachricht in der Pandemie: Solidarität funktioniert. „Als wir keine FFP2-Masken mehr hatten, haben die Patienten uns welche gespendet“, sagt Jana Scholz. Die Pirnaer Hausärztin wirkt sichtlich gerührt angesichts dieser Hilfe. Ihre Patienten allerdings seien häufig „am Limit“. Und derzeit meist nicht wegen Covid-19-Symptomen, sondern wegen mittelbarer Auswirkungen der Pandemie-Beschränkungen. Scholz berichtet von Schlafstörungen, Trauer, Aggressionen: „Da gibt es ganz viel, was man lindern muss.“ Sie macht ihren Patienten Hoffnung. Darauf, dass das Virus durch Impfen zurückgedrängt und dadurch der Alltag wieder normal wird.

Scholz hat, als sie das erzählt, einen prominenten Zuhörer. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will sich im Rahmen eines Gesprächsforums, das er in Sachsen startet, über Corona und die Folgen informieren. Vier im sächsischen Gesundheitswesen Beschäftigte und einen Bestatter fragte er am Donnerstag in einer Videoschaltkonferenz nach ihren Erfahrungen. Die Antworten sind vielschichtig.

Ina Eger ist Pflegedienstleiterin in der Pleißental-Klinik in Werdau. Auch sie berichtet vom inzwischen überwundenen Mangel an Masken. „In der ersten Welle war das Hauptproblem die Schutzausrüstung.“ Mitarbeiter hätten selbst genäht. Im Zuge der zweiten Welle mussten etliche Pfleger und Schwestern anders eingesetzt werden als sonst. So kam medizinisches Personal aus dem OP-Saal auf die Intensivstation, um dort Patienten zu versorgen. „Es ist immer eine Teamarbeit“, sagt Eger, die zudem anregt, mehr schützende Ausrüstung in Deutschland zu produzieren. In der Klinik sei die Zahl der Covid-19-Patienten mittlerweile rückläufig.

Pannen beim Impfen

Patrick Hahmann ist Geschäftsführer eines Pflegeunternehmens mit rund 120 Beschäftigten in Radeberg. Er wünscht sich Anerkennung für die Branche und keinen schnell verhallenden Applaus. Hahmann hat beim Thema Impfen eine Erfahrung gemacht, die Steinmeier aufhorchen lässt. Für Anfang Januar habe er für das Personal einen Impftermin erhalten. „Aber der Arzt fehlte.“ Der muss aber bei Impfungen dabei sein. Also wurden die Mitarbeiter zunächst nicht geimpft.

Auch der Mediziner Radovan Novák lässt Steinmeier aufhorchen. Der Chefarzt für Anästhesie und Intensivmedizin am Zittauer Klinikum Oberlausitzer Bergland vertritt die Auffassung, dass die kleineren Häuser mit 200 bis 300 Betten das Land durch die Pandemie brachten. Der Bundespräsident hat diese Einschätzung unlängst auch von einem brandenburgischen Arzt gehört. Novák spricht von einer „richtigen Welle“, die ab November in der Klinik spürbar gewesen sei – bis jetzt: „Meine Station ist immer noch unter richtiger Belastung.“ Dank immenser Anstrengungen sei niemand „liegengelassen“ worden – alle Patienten konnten versorgt werden. Manche wurden jedoch verlegt. Novák ist Tscheche und pendelt aus dem Nachbarland nach täglichen Tests zur Arbeit. Er warnt davor, das Gesundheitswesen „in die Hand von Ökonomen“ zu legen. Ein Beatmungsgerät nütze nichts, wenn das Personal fehle.

Mit dem Regionalgespräch will das Staatsoberhaupt an seinen Austausch mit in der Corona-Pandemie besonders Engagierten anknüpfen.
Mit dem Regionalgespräch will das Staatsoberhaupt an seinen Austausch mit in der Corona-Pandemie besonders Engagierten anknüpfen. © Wolfgang Kumm/dpa

Der Innungsobermeister der sächsischen Bestatter, Tobias Wenzel, erzählt von den Schwierigkeiten, bis die Branche als systemrelevant eingestuft worden sei. Und vom Leid der Angehörigen Verstorbener. Wenzel, der ein Bestattungsunternehmen in Marienberg führt, hat eine Frau begleitet, die ihren an Alzheimer erkrankten Mann 18 Jahre gepflegt hat. In seinen letzten beiden Lebenswochen durfte sie nicht mehr bei ihm sein.

Der Bundespräsident, der repräsentative Aufgaben hat und kaum ins Regierungsgeschäft eingreift, dürfte einiges mitgenommen haben aus dem mehr als einstündigen Gespräch. Es geht um Behördenhickhack, aufgeschobene Operationen, die Frage, warum vor den Gesundheitsämtern nicht Hausärzte früher und damit effizienter Quarantäne aussprechen dürfen, Hilfsbereitschaft, aber auch Belastung und Erschöpfung. Steinmeier fragt mehrfach nach, warum die Proteste gegen die Corona-Einschränkungen in Sachsen, wie er es empfindet, heftiger als anderswo ausgefallen seien. Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Mehrere Gesprächspartner weisen auf die problematische wirtschaftliche Lage etwa in der Gastronomie hin. Der Freistaat, sagt Steinmeier, habe schwere Zeiten hinter sich. „Sachsen war hart getroffen, insbesondere in der zweiten Welle.“ Doch der Bundespräsident ermutigt: „Es hat viele gemeinsame Anstrengungen gegeben, sodass auch dort die Zahlen in den letzten Wochen zurückgegangen sind.“