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Vertrauter von Attila Hildmann packt aus

Einer der engsten Vertrauten Attila Hildmanns packt über den Verschwörungsideologen aus und offenbart Überraschendes.

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Der Vegan-Koch Attila Hildmann spricht bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin.
Der Vegan-Koch Attila Hildmann spricht bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin. © dpa/Fabian Sommer

Von Alexander Fröhlich und Julius Geiler

Er hat dem Hackerkollektiv „Anonymous Germany” zu dem veganen Kochbuchautor und Neonazi Attila Hildmann umfangreiches Datenmaterial, Zugangsdaten zu Accounts und E-Mails geliefert. Am Mittwochabend hat „Anonymous“ es erstmals möglich gemacht, bei einer Pressekonferenz dem einstigen engsten Weggefährten Fragen zu stellen.

Vor wenigen Tagen war “Anonymus” ein aufsehenerregender Coup gelungen, indem die Hacker dutzende Websites und Social-Media-Kanäle des Verschwörungsideologen Attila Hildmann übernahmen und mit eigenen Botschaften versahen. Nun sprach der Mann, der maßgeblich die Daten für die „Hildmann Chroniken“ geliefert hat.

Der Mann nennt sich „Kai“. Mit Hilfe des IT-Spezialisten war den Hackern die Übernahme der Websites gelungen. „Kai“ hatte Attila Hildmann monatelang während der Proteste von Coronaleugnern und dann auf der Flucht vor den deutschen Behörden in die Türkei begleitet. Er war für die Social-Media-Plattformen des früheren Kochbuchautors Hildmann und dessen IT-Sicherheit verantwortlich.

Insider offenbart tiefe Einblicke

Eben dieser “Kai”, der sich vor wenigen Wochen dazu entschloss, den Hackern von „Anonymous“ private Daten und Passwörter zu Hildmanns Accounts zu übermitteln, stellte sich am frühen Mittwochabend den Fragen von Medienvertreter in einer Online-Pressekonferenz. Dabei offenbarte er teils tiefe Einblicke in die Psyche des 40 Jahren alten Hildmann – und über dessen Leben in der Türkei.

Demnach soll Hildmann schon lange vor Beginn der Corona-Pandemie ein „Nazi“ gewesen sein, wie der Insider berichtet. „Er liebt Krieg, er liebt den Kampf“, sagte „Kai“ über Hildmann und bezeichnete ihn weiter als „Antisemiten, Rassisten und Faschisten“. Außerdem sei der Verschörungsideologe innerlich ein „weinerliches Kind“ und „psychisch krank“. Ein Großteil von Hildmanns Gefolgschaft auf seinen Social-Kanälen sei von ihm selbst gekauft worden, erzählte “Kai”.

Einzelne Telegram-Kanäle des in Berlin geborenen Hildmann hatten zwischenzeitlich über hunderttausend Follower, die meisten davon waren nach Angaben des ehemaligen Weggefährten „Fake“. Allerdings warnte der IT-Spezialist vor einer “überschaubaren Anzahl” an Hildmann-Followern, die zu allem bereit wären und von ihm als “brandgefährlich” eingestuft werden.

Attila Hildmann soll im Dezember aus Deutschland geflohen sein, um sich der Strafverfolgung zu entziehen.
Attila Hildmann soll im Dezember aus Deutschland geflohen sein, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. © dpa

Der Whistleblower berichtet auch über den Ablauf von Hildmanns Flucht. Demnach soll Hildmann bereits am 15. Dezember, also etwa zwei Monate vor Bekanntgabe des Haftbefehls der Berliner Staatsanwaltschaft im Februar, Deutschland in Richtung Polen verlassen haben. Er sei dann über die Slowakei und Bulgarien mit dem Auto in die Türkei gereist. Bis vor wenigen Wochen soll sich der 40-jährige Holocaustleugner in mehreren Villen in der Ortschaft Kayaköy in der Nähe von Bodrum aufgehalten haben.

Hildmanns aktueller Aufenthaltsort ist „Kai“ nach seiner Abreise aus der Türkei und seinem Ausstieg jedoch unbekannt. Nach Angaben der Berliner Staatsanwaltschaft ist eine Vollstreckung des Haftbefehls gegen Hildmann wegen des dringenden Verdachts der Volksverhetzung, der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nicht auf absehbare Zeit möglich, da der 40-Jährige in Besitz einer doppelten Staatsbürgerschaft sein soll – der deutschen und der türksichen. Dem widerspricht „Kai“ nun. Ihm zufolge sei Hildmann lediglich im Besitz des deutschen, nicht aber des türkischen Passes.

Eine Haftrichterin hatte am Nachmittag des 19. Februars, einem Freitag, einen Haftbefehl wegen des Verdachts der Volksverhetzung, öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gegen Hildmann ausgestellt. Während die Staatsanwaltschaft darüber erst am Montag informiert worden sei, schrieb Hildmann in der Nacht zu Sonntag seinen Anhängern auf Telegram, dass er dringend untertauchen müsse. Nur wenige Menschen sollen zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von dem Haftbefehl gehabt haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen „Unbekannt“ wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen. Zu den Vorwürfen von „Anonymous“, dass die Sicherheitsbehörden über Hinweise zu dem mutmaßlichen Leck in der Justiz und Straftaten informiert, sogar mit Datenmaterial beliefert worden sein sollen, wollte sich die Staatsanwaltschaft bislang nicht äußern.

Aussteiger wollte mit „Nazi-Kram“ nichts zu tun haben

In den nächsten Wochen will das Hacker-Kollektiv „Anonymous Germany“ mit weiteren Informationen über den Verschwörungsideologen Hildmann nachlegen, Aussteiger „Kai“ kündigte an, „noch einiges im Petto zu haben“. Es geht auch um Hildmanns Motivation: Der Mann sei schon vor der Coronakrise tief verschuldet gewesen – und versuche an Geld zu kommen, sagte „Kai“.

Zu seiner Motivation sagte der Whistleblower, er sei zwar selbst Verschwörungstheoretiker, er glaube auch nicht an die Pandemie. Aber er wolle nichts mit dem „Nazi-Kram“ von Hildmann zu tun haben und sich davon loslösen. Den Ausstieg und den Datenklau habe er über eine längere Zeit geplant und alles dafür vorbereitet.

Für die Thesen von „Kai“ über Hildmanns Psyche sprechen auch Ausfälle des Kochbuchautors in der Vergangenheit. Er hatte sich bereits in der sogenannten Flüchtlingskrise auffällig geäußert. Im Januar 2016 schrieb er bei Facebook: „Integration ist in Deutschland ein heikles Thema aufgrund der deutschen Vergangenheit, was zu einer aktuellen Selbstverstümmelung deutscher Werte und Kultur führt.“

Hildmann hatte als veganer Kochbuchautor Karriere gemacht, war im Fernsehen und fiel auch negativ auf – als Choleriker. 2017 beschimpfte er bei Facebook nach einer negativen Kritik über seinen Vegan-Imbiss eine Tagesspiegel-Autorin. 2018 bepöbelte er Polizisten, weil die an einem auf dem Gehweg falsch geparkten Auto einen Strafzettel hinterließen. Mehrere Einsatzkräfte mussten anrücken, er leistete Widerstand und wurde in Handschellen abgeführt.

Attila Hildmann wird bei einer Demonstration vor dem Reichstagsgebäude von Polizisten abgeführt.
Attila Hildmann wird bei einer Demonstration vor dem Reichstagsgebäude von Polizisten abgeführt. © dpa/Christophe Gateau

Schon damals schrieb Hildmann: „Niemand wird mich brechen. Irgendwann regiere ich dieses Land, einschließlich der Exekutive.“ Im April 2020 begann Hildmann, Verschwörungstheorien über die Corona-Pandemie, aber auch antisemitische und nationalistische Propaganda zu verbreiten. Er rief seine Anhänger regelmäßig zu Kundgebungen auf. In der „Anonymous“-Aktion vermutet er nun eine Aktion des israelischen Geheimdienstes, also der Juden, des BND und der Antifa.

Wie krude sein Weltbild ist, offenbarte Hildemann im August 2020. Er behauptete, dass das Pergamonmuseum den „Thron Satans“ beherberge und das Zentrum der „globalen Satanisten-Szene und Corona-Verbrecher“ sei. In dem Museum würden nachts Menschen geopfert und Kinder geschändet. Und mittendrin stehe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – die „Stasi-Satanistin“ und „oberste Chefin des zionistischen Besatzerkonstrukts der BRD“.

Unterdessen wurde der offizielle Twitter-Account von „Anonymous Germany“, einer der wichtigsten Sprachrohre der Internet-Spezialisten, vom amerikanischen Netzwerk-Giganten wegen der neuesten Entwicklungen um Hildmann dauerhaft gesperrt.

Mehrere Juristen wie der Anwalt Chan-jo Jun sind der Ansicht, dass die Sperrung nicht gerechtfertigt ist. Das Kollektiv sprach davon, dass eine Twittersperre „Anonymous“ nicht aufhalten werde, aber „einmal mehr der Handlungsbedarf der Politik, journalistische Arbeit und Whistleblower zu schützen und Hetze im Netz wirkungsvoll zu bekämpfen“, deutlich wird.