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Merkel zieht die Corona-Notbremse

Die Länder haben die Corona-Regeln bisher nicht konsequent umgesetzt, nun will die Kanzlerin das Infektionsschutzgesetz verschärfen. Was das bedeutet.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will einheitliche Regeln in der Pandemie-Bekämpfung.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will einheitliche Regeln in der Pandemie-Bekämpfung. © AP Pool

Berlin. Sollte Frank-Walter Steinmeier Gehör gefunden haben? "Raufen wir uns alle zusammen, liebe Landsleute", hatte der Bundespräsident in seiner Corona-Fernsehansprache am Karsamstag gesagt. "Zeigen wir doch nicht ständig, was nicht geht, sondern dass es geht, wenn alle ihren Teil tun." Der Appell an die "lieben Landsleute" war so formuliert, dass sich neben den Bürgern die Politik durchaus angesprochen fühlen durfte.

Und tatsächlich, nach tagelangen Debatten über Brücken-Lockdown, Ausgangsbeschränkungen, Modellprojekte für Öffnungen oder ein Durchgreifen des Bundes gerät am Freitag plötzlich Bewegung in die Corona-Fronten: Das oft verlangte, aber bislang nicht erreichte einheitliche Vorgehen soll kommen. Und zwar in der zentralen Frage: Was passiert, wenn in Landkreisen die Sieben-Tage-Inzidenz auf mehr als 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner steigt?

Bundeseinheitliche Regeln als Ziel

"Ziel ist es hier, bundeseinheitlich Regeln zu schaffen", sagt die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer in der Bundespressekonferenz. Das Infektionsschutzgesetz soll mit verbindlichen Vorgaben nachgeschärft werden. Bedeutet: Länder und Landkreise könnten künftig keine Ausflüchte mehr finden, warum die Notbremse ausgerechnet in ihrem Fall nicht greift, wenn die Inzidenzmarke von 100 gerissen wird.

Dazu gab es zwar schon in der Bund-Länder-Runde vom 3. März eine Festlegung. Doch während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) darin einen Automatismus sah, wurde er von manchem Länderregierungschef und manchem Landrat eher als Kann-Bestimmung ausgelegt. Damit wäre künftig Schluss.

Konsequentes Umsetzen der "Notbremse"

Im Beschluss vom 3. März wurde für Regionen, die Corona-Maßnahmen gelockert haben und dann steigende Infektionszahlen verzeichnen, festgelegt: "Steigt die 7-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner an drei aufeinander folgenden Tagen in dem Land oder der Region auf über 100, treten ab dem zweiten darauffolgenden Werktag die Regeln, die bis zum 7. März gegolten haben, wieder in Kraft (Notbremse)." Also: Einzelhandel, Museen und Zoos wieder zu, persönliche Kontakte wieder auf einen Hausstand und eine Person reduziert, Sportmöglichkeiten wieder stark beschränkt.

Im Pandemie-Instrumentenkasten, den Ministerpräsidenten und Kanzlerin schon beschlossen haben, finden sich aber noch weitere Werkzeuge. Der Beschluss aus der unrühmlichen Nachtsitzung vor Ostern nennt ausdrücklich auch Ausgangsbeschränkungen und verschärfte Kontaktbeschränkungen. Zudem hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags gerade in einem Gutachten festgestellt, dass der Bund den Ländern auch das Schließen von Schulen vorschreiben kann. Das würde nicht in ihre Kultushoheit eingreifen, wenn es zum Zweck des Infektionsschutzes erfolgt.

Welche Regelungen werden tatsächlich umgesetzt?

Noch steht nicht fest, welche dieser Werkzeuge tatsächlich ins Infektionsschutzgesetz aufgenommen werden. Darüber dürfte es zwischen Bund und Ländern über das Wochenende und am Montag noch ein zähes Ringen geben. Fest steht aber, dass es schnell gehen soll. Die vor Ostern für diesen Montag vereinbarte Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin wurde am Freitag abgesagt, dafür die nächste Sitzung des Bundeskabinetts von Mittwoch auf Dienstag vorgezogen. Dort soll die Änderung des Infektionsschutzgesetzes bereits beschlossen werden.

Dann kommt es auf den Bundestag an. "Es kann schnell gehen, wenn die Beteiligten alle wollen", sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble am Donnerstagabend im ZDF-"Heute Journal". Zur Not könne dies sogar in einer einzigen Sitzungswoche passieren. Allerdings: Einer deutlichen Beschleunigung der Beratungen müsste in Teilen auch die Opposition zustimmen.

Zurückhaltende Reaktionen aus der Opposition

Etwa die FDP, von der zurückhaltende bis ablehnende Reaktionen kommen. "Ich warne dringend davor, ein solches Gesetzesvorhaben, das im Zweifel massive Grundrechtseingriffe zur Folge hat, im Schnellverfahren übers Knie zu brechen", sagt der stellvertretende Parteichef und Vizepräsident des Bundestags, Wolfgang Kubicki. Partei- und Fraktionschef Christian Lindner gibt sich etwas konzilianter, nennt aber Bedingungen: Die FDP verschließe sich einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes in einem schnellen Verfahren nicht, "aber die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben".

Auch der Bundesrat müsste sich mit der Gesetzesänderung im Anschluss noch befassen, wobei noch nicht ganz klar ist, ob seine Zustimmung erforderlich wäre oder ob er nur Einspruch einlegen könnte. Soll alles schnell über die Bühne gehen, wäre in jedem Fall eine Sondersitzung nötig, weil sich die Länderkammer regulär erst wieder am 7. Mai trifft.

Abgesehen davon, dass endlich klare Regeln bestünden, hätte die Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes einen weiteren Vorteil: Kanzlerin und Länderchefs müssten künftig nicht mehr alle zwei Wochen tagen - was mancher der Beteiligten nach der jüngsten Nachtrunde mit der Osterruhen-Pleite begrüßen dürfte. Allerdings nicht jeder. Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) wettert am Freitag wegen der Absage der MPK am Montag: "Damit zerstört man das Ansehen der Ministerpräsidentenkonferenz in der Öffentlichkeit. So kann man mit diesem Entscheidungsgremium nicht umgehen." (dpa)