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Wie Corona die Erzgebirgskunst bedroht

Die zweite Corona-Weihnachtssaison trifft die Hersteller und Händler von erzgebirgischer Volkskunst. Aber nur schwarzmalen wollen sie nicht.

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"Mei Hammit is in Arzgebirg" steht auf einem Schwibbogen im Zentrum von Seiffen. Die zweite Corona-Weihnachtssaison trifft den Ort, seine Kunsthandwerker und Händler.
"Mei Hammit is in Arzgebirg" steht auf einem Schwibbogen im Zentrum von Seiffen. Die zweite Corona-Weihnachtssaison trifft den Ort, seine Kunsthandwerker und Händler. © Hendrik Schmidt/dpa

Seiffen. In der Schauwerkstatt der Seiffener Volkskunst ist es derzeit viel leerer, als allen Beteiligten lieb ist. Zwar bemalen ein paar Mitarbeiterinnen in den hellen Räumen unverdrossen Räuchermännchen, auch die Regale im Geschäft sind voll mit Nussknackern, Wichteln und Schwibbögen. Doch die Besucher fehlen.

"Am ersten Advent war eine halbe Stunde lang nicht ein Mensch da", sagt Sven Reichl, Vorstand der Hersteller-Genossenschaft. Das wäre bis zur Corona-Krise undenkbar gewesen in der Hochburg des traditionellen Handwerks. Jetzt sind die Weihnachtsmärkte wieder gestrichen, die Bergparaden abgesagt, im Laden gilt 2G - Zutritt nur für Geimpfte und Genesene. "Das bremst unheimlich", sagt Reichl.

"Früher habe ich immer gesagt: Kommt bloß nicht am dritten Advent nach Seiffen", erzählt der 48-jährige Handwerksmeister. Dann war Bergparade und der Erzgebirgsort voll mit Touristen - die auch fleißig Nussknacker und Pyramiden kauften. Dazu zog auch der Weihnachtsmarkt in dem schmucken Spielzeugdorf immer Besucher an.

Kritik an der Landesregierung

Doch wegen der explodierenden Corona-Zahlen hat Sachsens Landesregierung - wie schon im Vorjahr - alle Märkte verboten. Auch touristische Hotelübernachtungen sind nicht erlaubt. "Es kommen nur die, die es schaffen an einem Tag nach Seiffen und zurück", sagt Reichl. Seiffen liegt kurz vor der tschechischen Grenze - es sind also nicht viele.

Der Holzspielzeugmacher und Drechsler will sich zu Sinn oder Unsinn der Corona-Maßnahmen nicht äußern. Er wisse aber, dass vor allem die kurzfristige Absage der Weihnachtsmärkte viele Händler bitter enttäuscht habe. "Ich kann jeden verstehen, der sauer ist auf die handelnden Personen", sagt Reichl.

Kritik an der Landesregierung äußert auch Frederic Günther, Geschäftsführer des Verbandes Erzgebirgischer Kunsthandwerker und Spielzeughersteller. "Die Situation mit den Weihnachtsmärkten ist schlimmer als letztes Jahr, weil die Absage viel zu spät kam", sagt er. Durch Auf- und Abbau der Buden seien hohe Kosten entstanden.

"Ein Stück weit neu erfinden"

Der Verband habe schon seit dem Sommer auf Klarheit gedrängt. Die Weihnachtsmärkte vor allem in Sachsen seien für die Kunsthandwerker ein wichtiger Absatzort. Allein in Dresden gebe es jedes Jahr rund 50 Stände, an denen Räuchermännchen und Co. angeboten werden.

Günther schätzt, dass seine Branche in ganz Sachsen normalerweise bis zu drei Millionen Euro Umsatz auf den Weihnachtsmärkten macht. "Das fällt jetzt für die Händler weg, da gilt es zu helfen." Der Verband fordert eine Ausfall-Pauschale, die sich an den Umsätzen im Vorkrisen-Jahr 2019 bemisst. Die Überbrückungshilfe sei ungeeignet.

Noch unfertige Räuchermännchen stehen in der Endfertigung der Seiffener Volkskunst eG. Der Handwerksbetrieb hat jetzt in der Vorweihnachtszeit alle Hände voll zu tun.
Noch unfertige Räuchermännchen stehen in der Endfertigung der Seiffener Volkskunst eG. Der Handwerksbetrieb hat jetzt in der Vorweihnachtszeit alle Hände voll zu tun. © Hendrik Schmidt/dpa

Der Verbandschef sagt, es sei nicht seine Aufgabe, über die Corona-Maßnahmen zu richten. "Mir ist schon klar, dass man jetzt keine Weihnachtsmärkte machen kann", fügt er hinzu. Doch die Politik müsse langfristiger handeln "und nicht alle paar Tage eine neue Verordnung rausbringen". Virologen hätten schließlich schon seit Monaten vor der vierten Welle gewarnt.

Trotz aller Unzufriedenheit fällt der Blick in die Zukunft aber nicht nur düster aus, weder bei Verbandschef Günther noch bei Holzspielzeugmacher Reichl. Die Volkskunst Seiffen habe schon 2020 ihr Online-Geschäft kräftig ausgebaut, sagt Reichl. "Wir müssen uns mit Corona ein Stück weit neu erfinden."

Die Volkskunst bleibt gefragt

Die Pandemie beschleunige den Umbruch in der Branche, die Veränderung in den Vertriebswegen. "Es ist einfach ein gewaltiger Einbruch von dem, was wir hier im Erzgebirge an Tradition haben." Es ist Reichl anzumerken, dass er das bedauert. Zugleich sagt er aber auch: "Man muss sich verändern. Unsere Produkte sind ja auch nicht mehr die gleichen wie 1958." So lange existiert das Unternehmen schon.

Auch die Seiffener Drechslergenossenschaft Dregeno, die für rund 130 erzgebirgische Kunsthandwerker den Vertrieb ihrer Produkte organisiert, setzt auf das Internet. Sie hat einen "virtuellen Weihnachtsmarkt" entwickelt, über den Besucher in 360-Grad-Optik schlendern und an verschiedenen Verkaufsbuden Produkte anklicken können.

Verbandschef Günther ist es um die Hersteller eher nicht bange. Die Volkskunst bleibe gefragt. Schwierig sei die Lage für die Fachhändler. Sie hätten schon voriges Jahr im Schnitt 25 Prozent Umsatz eingebüßt. "Das Weihnachtsland Sachsen als solches ist bedroht, weil es weniger Händler geben wird", prophezeit er. Und noch eine Voraussage machte er nach zwei Corona-Weihnachtssaisons für 2022: "Wir gehen davon aus, dass nächstes Jahr die Produkte um mindestens zehn Prozent im Preis steigen werden." (dpa)