Der schwarze Textmarker liegt getrennt von den anderen Stiften fast mahnend auf dem Schreibtisch. Wenn Oberstabsgefreiter Paul Melde danach greift, ist ein Covid-19-Fall am traurigen Ende angekommen. Er sucht den entsprechenden Namen in den Listen an der Wand und macht einen schwarzen Balken in die Zeile. "Damit markieren wir die Todesfälle", erklärt Kai Ritter-Kittelmann. Seit Mitte April ist er der Leiter des Krisenstabs Covid 19 im Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge.
Die Zahl der Verstorbenen, die zuvor positiv auf das Coronavirus Sars-Cov-2 getestet wurden, ist inzwischen auf 394 (Stand vom 30.12.) gestiegen. Bei rund 245.000 Einwohnern im Landkreis ist das etwa jeder 620. Am Anfang steht immer der positive Test auf das Virus. Dann setzt sich im Landratsamt ein komplexer Prozess in Gang.
Auf welcher Grundlage wird entschieden?
Im Krisenstab ist von Entspannung der Pandemie-Lage noch keine Spur. Hier muss auch niemand mehr davon überzeugt werden, wie wichtig es ist, sich und andere vor Infektionen zu schützen. Die relative Ruhe über die Weihnachtsfeiertage war auch eher trügerisch.
Das Landratsamt meldete sowohl am 25. als auch am 26. Dezember null Neuinfektionen. Es wurde schlicht nicht getestet. Ebenso wurden keine Totenscheine weitergeleitet. Am Dienstag kamen die von den Feiertagen dann geballt. Gleich 42 weitere Todesfälle im Zusammenhang mit Covid 19 musste das Landratsamt vermelden.
Auch in den Kliniken des Landkreises hat sich die Zahl der Covid-19-Patienten noch nicht verringert. Die Weißeritztalkliniken Freital meldeten am Dienstag nach Weihnachten mit 81 Corona-Patienten einen neuen Höchstwert. In der Helios-Klinik in Pirna ist die Tendenz leicht rückläufig. Auf zwei Monitoren versucht ein Mitarbeiter im Krisenstab, die tägliche Entwicklung aller Zahlen zu verfolgen.
Manche Internetplattformen sind öffentlich für jeden einsehbar, andere nur für das Landratsamt. Spätestens 14 Uhr sind alle maßgebenden Zahlen an der großen Wand im Krisenstab angepinnt. Sie sind Grundlage für Entscheidungen. Zu einzelnen Schicksalen, die hinter jeder Ziffer stehen, ist kaum etwas bekannt.

Wie viele Mitarbeiter beschäftigt die Pandemie?
Im Landratsamt ist inzwischen ein Drittel der rund 1.000 Beschäftigten mit der Corona-Epidemie befasst. Alle Beratungsräume sind permanent von den verschiedenen Planungsgruppen des Krisenstabs besetzt. Um trotzdem noch sporadisch gesonderte Beratungsrunden abhalten zu können, wurden im Schlosshof in Pirna drei Bürocontainer aufgestellt. Werden Behördenfremde im Krisenstab erwartet, müssen sie vorab einen Schnelltest an einem Tor im Hof absolvieren. Das soll die Gefahr minimieren, dass wichtige Mitarbeiter ausfallen.
Mit den neuen Aufgaben verschiebt sich auch die Bedeutung von Fähigkeiten. "In den Rechercheteams sind zum Beispiel soziale Kompetenzen gefragt", erklärt Ritter-Kittelmann. Drei Teams arbeiten in Pirna und jeweils eines in Freital und Dippoldiswalde. Sie versuchen, die Kontakte von positiv Getesteten zu eruieren. Hier wird entschieden, wer beispielsweise Kontaktperson 1 ist und deshalb in Quarantäne muss.
Die Mitarbeiter in der Nachrichtenzentrale müssen unter Stress sehr strukturiert arbeiten und schnell entscheiden können. Wer muss welche Informationen bekommen und wie zügig? Und der Nachrichtendruck lässt einfach nicht nach.
Wie schwer ist die Kontaktrecherche?
Auch Georg Gogolok übernimmt jetzt Verantwortung in der Recherche-Gruppe. Bisher arbeitete er im Vermessungsamt. Dort ruht die normale Arbeit fast komplett. In anderen Abteilungen ist das nicht so leicht. Etwa bei Sozialleistungen oder der Jugendhilfe muss alles jetzt erst recht reibungslos laufen.
Gogolok und sein Team haben dort Quartier bezogen, wo sonst die Ausschusssitzungen des Kreistags stattfinden. Um die angeratenen Abstände einzuhalten, waren jene Räte in den größeren Kreistagssaal umgezogen, der komplette 86-köpfige ehrenamtliche Kreistag dann in eine Sporthalle.
Die Telefone des Krisenstabs in den umfunktionierten Großraumbüros sind im Dauereinsatz. Es bleibt nicht aus, dass am anderen Ende der Leitung auch mal Dampf abgelassen wird. "Zu 95 Prozent sind aber alle Bürgerinnen und Bürger kooperativ", erklärt Gogolok.
Würden positiv Getestete, Arbeitgeber oder gar Schulen Auskünfte zu Kontakten vorsätzlich verweigern, kann nach Infektionsschutzgesetz sogar ein Ordnungsgeld verhängt werden. Das sei in all den Monaten aber noch nicht nötig gewesen. "Bisher haben wir es immer irgendwie geschafft, dass es eine Kooperation gab", sagt Ritter-Kittelmann.
Was wird nach Ferienende erwartet?
Den Kontakt zu Schulen stellt unter anderem Anita Richter her. Auch die Referatsleiterin aus dem Sozial- und Ausländeramt ist im Krisenstab eingespannt. "Es ist eine Sisyphos-Arbeit herauszufinden, wer zu den Kontaktpersonen Positiver gehört", sagt sie. Ohne die Mithilfe der Schulen wäre das aussichtslos.
Wer fällt etwa als Kontaktperson aus, weil er krank gefehlt hatte? Anfangs wurden auch nur unmittelbare Sitznachbarn in den Klassen mit Quarantäne belegt. Die Auswirkungen sollten so gering wie möglich gehalten werden. Davon ist man wieder abgekommen. "Vom Robert-Koch-Institut kam die Empfehlung, besser Klassen insgesamt zu bewerten", sagt Ritter-Kittelmann.
Mit den Weihnachtsferien und dem harten Lockdown hat sich der Aufwand jetzt sowieso erst mal reduziert. Ob sich das mit der Öffnung der Schulen wieder schlagartig ändert, kann niemand sagen. Im Krisenstab bereitet sich die Planungsgruppe Personal aber schon mal darauf vor.
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