Wie wenig Sachsens Abgeordnete in die Bewältigung der Coronakrise
eingebunden sind, zeigt sich am Mittwoch besonders deutlich. Während die
Politiker im Plenarsaal des Landtages über den aktuellen Bericht der
Staatsregierung zur Pandemie debattieren, gibt Wirtschaftsminister
Martin Dulig (SPD) im Foyer ein Pressestatement. „Die Osterruheregelung
ist nicht durchdacht“, sagt er – und dass ihn die Bund-Länder-Beschlüsse
„ratlos“ zurücklassen.
Etwa zur gleichen Zeit erklärt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den
Chefinnen und Chefs der Landesregierungen in einer überraschend
anberaumten Schaltkonferenz die Rücknahme der Regel und räumt in
beachtlicher Offenheit einen Fehler ein. Schließlich tritt, ebenfalls
während laufender Landtagssitzung, Ministerpräsident Michael Kretschmer
(CDU) zusammen mit seinen Stellvertretern Dulig und Wolfram Günther
(Grüne) am Mittag vor die Presse und informiert die Öffentlichkeit, dass
der Osterlockdown ausfällt. „Wie ist das mit den Ostereiern, die
ausgeliefert werden müssen und dann nicht ankommen? Auch dafür gab es
keine Antwort“, erzählt Kretschmer über die Fragen aus der gerade
beendeten Schalte mit der Kanzlerin.
Im Anschluss eilt er ins Parlament,
um die Abgeordneten ebenfalls zu informieren.
Linkenfraktionschef Rico Gebhardt spricht von einem
„Kommunikationsdesaster“: „Dieses Chaos beschädigt das Vertrauen in die
Handlungsfähigkeit des Staates und der Regierenden.“ Freilich, für den
Zeitpunkt der Merkel-Erklärung ist Sachsens Keniakoaltion nicht
verantwortlich. Das Timing verdeutlicht aber in bemerkenswerter Schärfe,
wie wenig das Parlament in der Krise eigentlich zu sagen hat.
Dabei ist die Debatte, die kurz vor der spektakulären Entscheidung der
Bundeskanzlerin beginnt, durchaus spannend. Tourismusministerin Barbara
Klepsch (CDU) verweist darauf, dass für die notleidende Branche weitere
27 Millionen Euro im künftigen Landeshaushalt bereit gestellt werden
sollen – zuzüglich zu Bundeshilfen. Die Grünenabgeordnete Claudia
Maicher, deren Partei die Koalition mitträgt, appelliert an die
Staatregierung, den aktuellen Bewilligungsstopp für Zahlungen aus dem
Coronafonds für Kultur, Medien und Tourismus aufzuheben. Ähnlich äußert
sich aus den Reihen der Landeskoalition auch Frank Richter. Der
Kulturpolitiker der SPD-Fraktion richtet die Forderung direkt an
CDU-Finanzminister Hartmut Vorjohann.
"Horrorszenarien" und "Studien-Bingo"
Zu einer Art Ritual entwickelt sich mehr und mehr der Schlagabtausch,
den sich AfD und CDU liefern. AfD-Fraktionschef Jörg Urban kritisiert
die Landesregierung wegen der von ihr verhängten Einschränkungen des
öffentlichen Lebens: „Die Feinde von Freiheit und Demokratie sitzen in
Sachsen auf der Regierungsbank.“ Er wirft den Entscheidungsträgern in
Bund und Land „Irrtümer und Überheblichkeit“ vor. „Horrorszenarien“
seien nicht eingetreten, die Maßnahmen überzogen.
Wie meist in diesen Debatten entgegnet der CDU-Abgeordnete und
-Generalsekretär Alexander Dierks als direkt folgender Redner auf Urban.
„Ihr Redebeitrag war wie eine Mischung aus sowjetischem Staatsfernsehen
und Studien-Bingo“, sagt der Christdemokrat und weist dabei auf dessen
Zitate aus wissenschaftlichen Erhebungen hin. Dierks verteidigt den
harten Dezemberlockdown, der eine exponentiell wachsende Pandemiedynamik
verhindert habe: „Das ist doch augenfällig.“ Es sei „nicht populär“,
aber um so richtiger, der dritten Welle die Spitze zu nehmen, sagt
Dierks. „Es gibt keinen Königsweg.“
Sozialministerin Petra Köpping (SPD) weist zu Beginn der Aussprache
darauf hin, dass Sachsen im Vergleich der Bundesländer die zweithöchste
Inzidenz habe. Auch in den angrenzenden Regionen und Staaten sei das
Infektionsgeschehen stark ausgeprägt. Die Krankenhausauslastung steige
im Freistaat. Doch Köpping will auch Hoffnung vermitteln. Derzeit werden 13.000
Sachsen täglich geimpft, wie sie sagt. Seit Mittwoch werden nach ihrer
Darstellung auch 117 Arztpraxen im Vogtlandkreis einbezogen. Kommunen
hätten massiv Teststationen aufgebaut, die Zahl habe sich von 230 auf
640 erhöht.
Für die Grünen kritisiert Kathleen Kuhfuß die Entscheidungsgrundlage der
nächtlichen Bund-Länder-Runden als intransparent. Kurz darauf sagt
Merkel in Berlin den Osterlockdown ab. CDU-Mann Dierks verteidigt in der
Debatte das gemeinsame Vorgehen der EU bei der Impfstoffbeschaffung.
Und er ist sich sicher: „Wir werden uns, so schwer das ist, Stück für
Stück aus dieser Pandemie herausarbeiten.“