Dieser Oktober hat mich ziemlich mitgenommen. Eigentlich bin ich es gewöhnt, mit Leid konfrontiert zu sein. Als Techniker bei der Hilfsorganisation Arche Nova führt mich mein Weg dorthin, wo es gerade besonders schlimm ist. Wie dieses Jahr auf die Insel Sulawesi in Indonesien, die nach einem Erdbeben und Tsunami in Trümmern lag. Mir hilft es, mich vor Ort auf das Wichtigste zu konzentrieren. Unsere Aufgabe ist es, die betroffenen Menschen wieder mit Trinkwasser zu versorgen, aber auch hygienisch zumutbare Bedingungen herzustellen. In den Aufbau beziehen wir die lokale Bevölkerung ein, schließlich müssen sie die Technik später auch nutzen und reparieren können.
Als ich nach mehreren Einsatzwochen gerade zurück war in Dresden, kam die Nachricht, dass mein Großvater nach einer Wandertour im Urlaub vermisst wird. Gemeinsam mit meinem Onkel bin ich nach Rhodos geflogen, um ihn zu suchen. Dass mein Großvater tot ist, verändert vieles. Er war ein engagierter Mann, stets in Aktion, mit immer neuen Ideen für Projekte. In unserer Familie hat er vieles angeschoben. Er ist vorangegangen und versuchte, den Weg für andere zu ebnen, war aber auch streitbar. So bleibt er mir in Erinnerung. Viele kennen ihn noch aus seiner Zeit als Altstädter Ortsamtsleiter, andere als den Initiator des Elbeschwimmens oder als Marathonläufer. Mit Flüchtlingen ist er am Elberadweg gelaufen, hat sie für den Sport begeistert. Oft haben wir über politische Fragen gestritten. Von ihm und meiner Mutter habe ich gelernt, mich für Themen einzusetzen, die ich für sinnvoll halte. Bei ihm war es die Lokalpolitik, bei meiner Mutter ist es die Kunst. Ich bin weltweit unterwegs und merke, je lokaler wir denken, desto ignoranter werden wir für die Probleme anderer Regionen.
Meine Einsätze führen mich in Gebiete, die am meisten vom Klimawandel betroffen sind. Manchmal erwische ich mich dabei, mit dem Finger auf andere zu zeigen, um ihnen zu sagen, wie nichtig ihre Probleme im Vergleich zu denen der Menschen in Katastrophengebieten sind. Aber es nervt, wenn sich Freunde aufregen, dass sie das T-Shirt nicht in der Farbe bekommen, die sie gern hätten. Dann erzähle ich von Zuständen in Ländern nach einer Naturkatastrophe und davon, wie viel ich dort oft mit wenigen Mitteln erreichen kann.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie unterschiedlich Menschen mit ihrem Leid umgehen. Erdbeben gibt es in Indonesien häufig aufgrund der Lage in einer außerordentlich instabilen tektonische Zone. Dort hat sich fast schon eine gewisse Routine im Umgang damit eingestellt. Es ist nicht so, dass sich die Menschen an die Verwüstungen und das Unglück gewöhnt haben. Keineswegs. Aber sie akzeptieren, dass es solche Erscheinungen gibt. Weil sie so damit beschäftigt sind, ihr Leben neu zu organisieren, nachdem sie vielleicht sogar nächste Angehörige verloren haben, bleibt manchmal keine Zeit für ein Dankeschön.
Oft sind die Leute vor Ort sogar misstrauisch, wenn wir kommen. Wir benötigen Dolmetscher, um uns verständigen zu können und den Leuten zu erklären, was wir machen. Sie haben ihr ganzes Leben aus den Quellen getrunken und jetzt soll das nicht mehr gut sein. Doch die Einheimischen sind Teil der Lösung, die müssen mit den Wasserfiltern später gut umgehen können. Um Integre und Zuverlässige auszuwählen, ist viel Menschenkenntnis nötig. Dafür habe ich Jahre gebraucht. Vor allem Sven Seifert hat mir dabei geholfen, der Gründer und Geschäftsführer unseres Vereins, der in diesem Jahr gestorben ist. Sein Credo war es, freundlich und offen auf jedermann zuzugehen. Mit Arroganz kommt man in Notsituationen nicht weit.
Schlimm ist für mich, wenn ich in bestimmten Situationen nicht helfen kann, weil unsere Aufgabe auf die Wasser- und Hygieneversorgung beschränkt ist. Da ist mir Ecuador in Erinnerung, dessen Küstenregion stark betroffen war. Die Hilfe hat sich weitgehend darauf konzentriert, dabei lebten nur wenige Kilometer weiter im Landesinneren Menschen in Hütten, die mindestens genauso stark gelitten haben. In solchen Fällen gibt es die Möglichkeit, eine Entwicklungszusammenarbeit anzuregen, um Dinge langfristig zu verändern. Das klingt romantisch, ist aber mit großem Aufwand verbunden und braucht viel Vorbereitung. Doch es lohnt sich. Mit einigen wie einem Mann aus Nepal bin ich noch heute in Kontakt. Vor allem können wir viel darüber berichten, was sich entwickelt und verändert. Das ist wichtig für die Menschen, die uns unterstützen. Der Hauptteil unserer Spenden kommt aus Dresden und Sachsen. Es ist schön zu wissen, dass wir für unsere Arbeit hier so große Unterstützung trotz der politischen Diskrepanzen in Sachsen haben.
Aufgeschrieben von Kay Haufe