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Das Barackenlager am Rande der Stadt

224 Kriegsgefangene mussten bis 1945 in der Stadt leiden. Ihr Schicksal wird in Schulen behandelt – aber besucht werden eher große Konzentrationslager.

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© SZ-Archiv/Klaus-Dieter Brühl

Von Kathrin Krüger-Mlaouhia und Gudrun Kracht

Großenhain. Die Stadt Großenhain ist in Vergessenheit geraten, hieß es vorigen Herbst, als Jugendweihlinge über 200 Namensfähnchen für sowjetische Kriegsgefangene im Ehrenhain an der Öhringer Straße in eine Wiese steckten. Die Fähnchen sind nun namentlich erforscht sowjetischen und polnischen Soldaten gewidmet, die an den katastrophalen Lebensbedingungen in Großenhain gestorben sind. Sie wurden in Massengräbern in Mülbitz und nach Kriegsende zentral auf dem sowjetischen Ehrenfriedhof bestattet.

Tatsächlich fast in Vergessenheit geraten ist, dass diese Gefangenen im sogenannten Barackenland an der Straße An der Turnhalle untergebracht waren. Das Lager befand sich zwischen der Bahnlinie und den Häusern von Naundorf, hat die IG Mahnmal herausgefunden. Später stand auf diesem Gelände die NVA-Panzerwerkstatt. Heute befindet sich hier die Firma Bothur. Der verstorbenen Brigitte Krause, geborene Fiedler aus Naundorf, war das Lager 2005 noch gut in Erinnerung. Fast täglich sah ihre Familie zwischen 1941 und 1945 einen Karren mit einem Sarg beladen an ihrem Küchenfenster vorbeifahren.

Wenn Familie Fiedler auf ihr angrenzendes Feld ging, konnte sie genau miterleben, wie die Soldaten behandelt wurden. In langen Reihen mit einem Blechnapf ging es zum Essenholen. Die Rationen waren sehr karg. Die ersten Russen, die in das Lager kamen, behielten ihre Kleidung an und wurden zur Erntezeit auch an die Bauern des Dorfes ausgeliehen. Dort gab es dann endlich einmal etwas mehr zu essen. Ein anderer Teil war auf dem Flugplatz mit dessen Erweiterung beschäftigt. Die Kriegsgefangenen bauten an der Kanalisation mit und schachteten Gräben aus. Ein Teil war auch in der Papierfabrik und im dortigen Lager. Später trugen die Soldaten schwarz-gelb gestreifte Häftlingskleidung. Dann durften sie auch nicht mehr aus dem Lager heraus.

Umgeben war es mit gewölbten Betonteilen, die mit Stacheldraht umwickelt waren. Diese Umfriedung besteht zum Teil heute noch. Rudolph Ilschner kann sich erinnern, dass es fünf oder sechs Großbaracken waren, die mit der Giebelseite zur damaligen Ortrander Straße standen. Durch das schlechte Essen, die Misshandlungen durch die Bewacher mit Gewehrkolben und das Zusammengeferchtsein brachen in diesem Lager Krankheiten wie Ruhr, Diphterie und Typhus aus, die für diese Zeit typisch waren. In der „Krone“ befand sich ein Krankenrevier für die sowjetischen Kriegsgefangenen, möglicherweise auch für Gefangene anderer Nationalitäten.

Es gab allerdings Hilfsversuche der einheimischen Bevölkerung. So wurden Brot oder Kartoffeln über die Absperrung geworfen. Es gab Bewacher, die bewusst wegsahen. Wie die verstorbene Naundorferin Frieda Behla berichtete, kochte ihr Mann im Dämpfer Kartoffeln für die Tiere. Im Nachbargrundstück arbeiteten einige dieser von Hunger entkräfteten Menschen. Otto Behla baute eine Rutsche, und die Kartoffeln fanden so ihren Weg ins Nachbarhaus.

Dem Gedenkstättenleiter des Ehrenhains Zeithain – ebenfalls ein früheres Kriegsgefangenenlager – zufolge war der massenhafte Tod sowjetischer Kriegsgefangener gewollt. „Es war die Folge bewusst herbeigeführter unmenschlicher Lebensbedingungen“, so Jens Nagel. Vor allem die schlechte Ernährung war schuld am Sterben.

In der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain sind Schüler gern gesehene Gäste, um sich mit dieser Vergangenheit auseinanderzusetzen. Sächsische Klassenfahrten nach Zeithain werden zu 100 Prozent gefördert. Auch Lehrerfortbildung wird angeboten. Zudem könnte auch der Ehrenfriedhof Großenhain für den Unterricht genutzt werden. Doch die Schulen greifen in der 9. Klasse, wenn das Thema auf dem Lehrplan steht, lieber auf die großen Konzentrationslager Buchenwald oder Sachsenhausen zurück. Den Schulen geht es eher um diese Opfergruppe, und sie bekommen in den großen Gedenkstätten Wissen anschaulich und umfassend vermittelt.

Dennoch ist Geschichtslehrer Wolfgang Maaß vom Gymnasium nicht abgeneigt, auch die Regionalgeschichte zu beachten. Sie werde im Unterricht mit behandelt und könnte Thema in einzelnen Schülervorträgen sein. Immerhin hatte der sowjetische Großenhainer Ehrenhain schon mal Besuch von Angehörigen der Toten.

Die Gedenkstätte wird seit dem Vorjahr durch die Stadt besser gepflegt. 7300 Euro Pflegepauschale erhält das Rathaus dafür. Am 8. Mai wird es wieder eine Gedenkstunde der Partei Die Linke geben. Immerhin.

Gedenkstätte Zeithain: www.ehrenhain-zeithain.de