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Das blühende Leben

50 000 Rosen gehören zum Reich des Görlitzer Gärtnermeisters Lothar Franke. Bis nach Dresden liefert er seine Blumen.

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Von Frank Seibel

Marie-Claire, Blanchette und Babette hätten einen Schlosspark verdient. So anmutig, edel und schön stehen sie da. Und ihr Reich ist größer als alle anderen in Sachsen und vielleicht sogar in Deutschland. Doch repräsentativ ist der Hof nicht, an dem Marie-Claire, Diana und Babette aufwachsen. Ein riesiges Glasdach schützt sie vor Wind und Wetter, mehr Rost als Stuck ziert den Rahmen. Ein karges Heim für die Schönheiten. Doch sie bekommen ihre Bühne, werden verehrt und bewundert, Tag für Tag. Auf dem Markt in Görlitz werden sie morgens in Szene gesetzt, nach Farben und Größe sortiert. Und ihre Verehrer stehen Schlange ...

Der Meister beim Rosenschneiden.
Der Meister beim Rosenschneiden.
Zigtausend Rosen auf 7 500 Quadratmetern. Görlitz hat, gemeinsam mit dem Stammbetrieb in Kreischa, die größte Rosenzucht Sachsens.
Zigtausend Rosen auf 7 500 Quadratmetern. Görlitz hat, gemeinsam mit dem Stammbetrieb in Kreischa, die größte Rosenzucht Sachsens.

Die meisten kommen und gehen, erfreuen sich ein paar Tage an ihnen, doch der größte all ihrer Verehrer weicht nicht von ihrer Seite. Lothar Franke hat sein Leben Marie-Claire, Blanchette und Babette gewidmet, und Diana und Frisco und Dutzenden weiterer Rosen. Lothar Franke ist ein Mann von 58 Jahren, er hat ein überaus freundliches Gesicht, und sein Lächeln kommt von Herzen. Lothar Franke ist Gärtnermeister und seit vier Jahren in der größten Rosenzucht Sachsens Zuhause.

Ja, zu Hause ist in diesem Fall das richtige Wort. Denn nur zum Schlafen zieht er sich in seine Wohnung am anderen Ende von Görlitz zurück. Und den Sonntagvormittag hält er sich fern von den Gewächshäusern, die er seit seiner Kindheit kennt. Von April bis in den Advent hinein ist er nur für seine Rosen da. „Es geht ja nicht anders“, sagt Lothar Franke. „Ich arbeite ja mit lebenden Produkten.“ Krankenschwestern müssten ja auch an Wochenenden arbeiten, schiebt er hinterher, und der Vergleich hinkt nur scheinbar. Denn mindestens so sehr wie um die Blumen geht es Lothar Franke um die Menschen. „Ich will den Görlitzern eine Freude machen.“ Und wer ihn auf dem Görlitzer Markt an vier Tagen in der Woche beobachtet, weiß, dass er das wirklich so meint. Allein die Preise! Für 1,50 Euro bekommt man beim Görlitzer „Rosenmann“ ein kleines Sträußchen mit fünf gelben Frisco-Rosen. Jede Einzelne ist durch Lothar Frankes Hände gegangen. In der Gärtnerei am Stadtrand hat er jeden Stil einzeln von Dornen befreit, hat die Blumen zu Sträußen gebunden. 1 500 Frisco-Rosen waren es allein in der vorigen Woche. Und das ist nur ein kleiner Teil des Ganzen.

Lothar Franke hat die Liebe zu den Blumen im Blut. Sein Urgroßvater war Schlossgärtner in Gersdorf vor den Toren der Stadt Görlitz. Seine Großeltern hatten dann ab 1929 eine große Landwirtschaft. Er selbst ist mit seinen Eltern in der Stadt aufgewachsen. Aber als Schüler hat er während der Ferien oft in den Gewächshäusern der Gärtnerischen Produktionsgenossenschaft (GPG) Neißestadt gearbeitet. Mitte der 1970er Jahre hat er seine Gärtner-Lehre in Dresden gemacht; Pillnitz. Zu seinen Lehrern zählte in dieser Zeit Dieter Möschner, „der“ Rosenexperte der DDR, betont Lothar Franke mit einer Mischung aus Stolz und Bescheidenheit. „Sein Buch ‚Rosen unter Glas’ habe ich heute noch.“

Seit 1981 ist Lothar Franke Gärtnermeister. Aber bei aller Leidenschaft für Blumen ist er auch ein praktisch denkender Mensch. Schon 1988 hat er begonnen, in einem zweiten Beruf als Revisor bei einer staatlichen Versicherung zu arbeiten. Nach dem Umbruch machte er ein Fernstudium als Bank- und Versicherungskaufmann und kann sich noch gut an die Prüfung in München erinnern, mit 85 Fragen zum Rentenrecht. 1994 war das. Gut fünf Jahre hat er danach noch als Generalvertreter einer großen Versicherung in Görlitz gearbeitet.

Aber seinen Traum hat er nicht aus dem Blick verloren: einmal ein eigenes kleines Geschäft mit Gemüse und Blumen. Im Jahr 2000 hat er diesen Schritt gewagt, an einem der schönsten Plätze in Görlitz, dem Brautwiesenplatz, den jeder Autofahrer passiert, der von der Autobahn oder von der B 6 in die Stadt hineinfährt. Aber da hatte dieses Quartier der Stadt seine besten Zeiten schon hinter sich. Die Straßen am Rand der Innenstadt leerten sich, Geschäfte schlossen, und die meisten Autofahrer fuhren zu schnell durch den Kreisverkehr, um bei Lothar Franke einzukaufen. 2012 musste er seinen Laden schließen. In der Zwischenzeit war auch die einstige GPG eingegangen, die zwar noch die Umwandlung zur „Zierpflanzen Neißestadt e. G.“ geschafft hatte, aber von den Betriebskosten der riesigen Gewächshäuser am südlichen Stadtrand erdrückt wurde. Die Insolvenz der Görlitzer Großgärtnerei im Jahr 2004 eröffnete auch eine neue Perspektive für Lothar Franke. Mit der Gärtnerei Görsch aus Kreischa bei Dresden übernahm ein Betrieb die 10 000 Quadratmeter große Gewächshaus-Landschaft am südlichen Stadtrand von Görlitz, und in der Folge entstand die größte Rosenzucht in ganz Sachsen. Allein in Görlitz wachsen Rosen auf 7 500 Quadratmetern, in Kreischa kommt eine ähnlich große Fläche hinzu. 50 000 bis 60 000 Rosen wachsen an beiden Orten, sagt Lothar Franke. Schon, als er noch sein Geschäft hatte, fing er nebenbei mit dem Rosenverkauf an. Seit 2010 ist er regelmäßig auf dem Görlitzer Markt. Aber er beliefert auch den Großmarkt und mehrere kleinere Märkte in Dresden wöchentlich mit frischen Rosen.

Manche Kunden kennt Lothar Franke seit seiner Kindheit. Die kommen gern, wenn der Markt längst geschlossen ist. Jeden Nachmittag ab 16 Uhr ist die Gärtnerei in Görlitz-Weinhübel geöffnet. Dann steht Lothar Franke im Gewächshaus, sortiert im kleinen Kühlraum die Rosen, zieht jedem Stil die Dornen ab, bindet die Blumen und macht sie fertig für den nächsten Auftritt.

Dann kommen die Stammkunden vorbei, die wissen, dass hier noch ein paar Minuten für ein Schwätzchen bleiben, anders als auf dem Markt. Etliche kommen jede Woche, holen Blumen für die Gattin, für ein Geburtstagskind oder auch für die Nachbarn, die grad keine Zeit haben, selbst zu kommen. Als einer fragt, ob er auch am Sonntagvormittag kurz vorbeikommen könne, zögert Lothar Franke kurz. Eigentlich will er gerne mal in die alte Stadthalle hineinschauen, jetzt, am Denkmaltag. Der nette Herr winkt ab: „Machense, machense – ni immer so viel arbeiten!“