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Das Buch, das Peter Stosiek nie schreiben wollte

Der pensionierte Görlitzer Pathologe erzählt schon immer gern Geschichten. Nun hat er 15 davon aufgeschrieben.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ines Eifler

Görlitz. So pointiert, wie Peter Stosiek Anekdoten aus seinem Leben erzählen kann, so stehen sie auch in seinem gerade erschienenen Buch. Kurz und knapp, originell und voller Leben. „Tollwut“ hat er den schmalen Erzählband genannt, nach einem Erlebnis, das er als junger Arzt mit einem Patienten hatte, der von einer Eule angegriffen worden war. So wie diese Episode sind auch alle anderen Erzählungen authentisch: Die Geschichte von der Ordensschwester, die im St.-Carolus-Krankenhaus einen Bandwurm besiegte. Die von der Frau, sie sich selbst erstach. Die von dem Mann, der im Schornstein steckenblieb und überlebte. „Nichts davon ist erfunden“, sagt Peter Stosiek, „es sind alles Episoden aus meinem Leben, davon 70 Jahren im Osten Deutschlands.“ Aber natürlich habe er manches bewusst mit dickem Pinsel gemalt.

So sind es nicht einfach Erinnerungen, die der frühere Pathologe, Theologe und Universitätsprofessor niedergeschrieben hat, um sie zu dokumentieren. Sondern literarische Geschichten, darunter echte Schätze. Stosiek wurde 1937 in Oberschlesien geboren, erlebte als Kind Krieg und Flucht, kam 1945 mit seinen Eltern und mehreren Geschwistern nach Jauernick und verbrachte dort seine Jugend. An diese Jahre auf dem Land, bevor die Familie in den 1950ern nach Görlitz zog, erinnert er sich am liebsten. „Als wir auf der Wiese lagen, mit Bauernjungen zwischen Hühnern und Schweinen spielten und lange, lange Sommerferien hatten.“ Stosiek war Ministrant. Er studierte bis 1961 Medizin in Halle, war dort in der katholischen Studentengemeinde gegen die Repressionen des SED-Staates aktiv und deshalb mehrfach in Haft. Als Pathologe verbrachte er die längste Zeit seit 1975 am heutigen Klinikum Görlitz. Zuvor hatte er noch an der Abendschule Theologie in Erfurt studiert. 1989 war er Mitbegründer des Neuen Forums und damit ein wichtiger Protagonist der Friedlichen Revolution in Görlitz.

Diese Lebensstationen erzählt Stosiek in seinen Geschichten mit, aber sie sind nie die Hauptsache. In der Hauptsache geht es um das, was das Leben ausmacht, so kurios, tragisch und riskant das manchmal auch sein mag. Die persönlichsten Erzählungen handeln von Beziehungen zwischen Menschen und wie diese sich verändern: Von der Liebe zwischen einer Mutter und ihren Kindern, die alle viel durchgemacht haben und deshalb nicht oft zeigen, was sie fühlen. Von der Trauer darüber, dass das irgendwann auch nicht mehr möglich ist. Es geht um die Annäherung zwischen einem Kritiker und einem Anhänger des Kommunismus. Oder um Menschen, die einander verzeihen, als sie erkennen, dass sie nach Vorurteilen leben, die ihnen die Erfahrungen ihrer Nationen mitgegeben haben.

Stosieks Gespür für die Komik, die oft noch den tragischsten Geschichten innewohnt, macht seine Geschichten leicht. Sein christlicher Glaube verleiht ihnen eine tiefere Dimension. Dass sie nun zu lesen sind, ist beinah Zufall. „Ich habe nie schreiben wollen“, sagt Peter Stosiek. „Aber ich wurde genötigt.“ Immer wieder habe er bei Vorträgen oder anderen Gelegenheiten Geschichten erzählt und gesagt bekommen: „Das musst du unbedingt aufschreiben.“ Das habe er dann auch getan. Vor zehn Jahren schrieb er die erste Geschichte auf, nach Lust und Laune alle weiteren. Ein befreundeter Theologe fand den Stuttgarter Radius-Verlag, der auch Werke von Walter Jens, Christa Wolf und Peter Härtling publiziert hat. Im April ist „Tollwut. Geschichte und Geschichten“ dort erschienen. Im Laufe dieses Jahres ist eine Lesung mit Peter Stosiek bei Thalia geplant.