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Das Ende der Verschwörungstheorien

Neues Jahr, neues Leben – wohl kaum. Silvester ist nichts anderes als ein Weitermachen. Ein Rückblick, der trotzdem auf Veränderungen hofft.

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© Alexander Schröter

Von Kevin Schwarzbach

Riesa. Der Sprung ist geschafft, die Partynacht überstanden, jetzt wird alles besser, liebe Leserinnen und Leser. Willkommen im Jahr 2017. Ich begrüße Sie zu 365 Tagen, die schöner, freudiger, entspannter und traumhafter werden sollen als die vergangenen 366. Mit den nervtötenden Raketen und Böllern verbindet die Menschheit die Hoffnung, das alte Jahr zu verjagen und das neue feierlich zu empfangen. Auf der Straße wünscht man sich nur das Beste, in den sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook hofft man auf ein wunderbares Zeitalter und Handys glühen vor Glücksbekundungen. Der Traum vom Neuanfang ist omnipräsent.

Doch ich muss Sie enttäuschen, liebe Leserinnen und Leser. Silvester ist kein Neuanfang, Silvester ist ein Weitermachen. Unser Dasein orientiert sich an Jahreszahlen, unterteilt sich aber nicht nach ihnen. Das neue Jahr ist bestenfalls die nächste Runde im Boxkampf gegen das Leben. 2017 sind Sie kein anderer Mensch als 2016. Und 2017 verhalten sich die Menschen nicht anders als 2016. Glaube ich.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel, an dem Sie meine These sicherlich schon bald verifizieren können. Im Altkreis Riesa ließen einige Bürgerinnen und Bürger das Jahr 2016 mit Verschwörungstheorien ausklingen. Die Sächsische Zeitung veröffentlichte ein Interview mit Herbert Zapf, dem Vorsitzenden des Riesaer Amtsgerichts. Zapf kam in dem Gespräch über die mehr als 2 000 Verfahren, die seine Richter im abgelaufenen Jahr verhandelten, nicht darum herum, sich zur Straffälligkeit von Asylsuchenden zu äußern. Was Zapf dann sagte, entsprach aber nicht dem, was so mancher hören wollte: „Wider Erwarten spielen im Bereich der Strafsachen die Flüchtlinge keine bedeutende Rolle.“

Riecht nach Lügenpresse. Aber Moment mal. Die SZ könnte Herbert Zapf diesen Satz wohl kaum ohne sein Wissen in den Mund legen, würde er es doch sofort bemerken und sich beschweren. Also muss der Vorsitzende des Riesaer Amtsgerichts eingeweiht sein, nein, viel besser: Er ist Teil der Verschwörung. Das haben die Schlausten unter den Schlauen natürlich sofort erkannt. „Alles Propaganda“, tönen sie auf der Facebook-Seite der SZ Riesa. „Die Staatsmedien und ihre Helfer versuchen mal wieder, die Leute für dumm zu verkaufen.“

Schön wär’s, liebe Leserinnen und Leser. Wäre die SZ ein Staatsmedium, wäre ich womöglich verbeamtet und würde idealerweise besser verdienen. Stattdessen muss ich mit meinem Arbeitgeber um seinen Status als Tageszeitung fürchten. Denn ein Nutzer bringt in der Debatte um das Zapf-Interview folgende einleuchtende Theorie vor: „Jede Zeitung muss einen gewissen Anteil an Wahrheit entsprechen. Tut sie es nicht, verliert sie ihren Status als Zeitung. Also welcher Teil an einer Zeitung ist noch der wahre Teil!?! Man kann auch alles glauben, was geschrieben wird!!! Ist natürlich einfacher, als die Augen zu öffnen!!!“

Jetzt wird es spannend: Was ist der wahre Teil der Sächsischen Zeitung? Man hofft ja immer, dass die eigenen Aussagen und Theorien wahr sind, einfach, weil man gern recht hat. Deswegen träume ich, dass die Kolumne der wahre Teil dieser Zeitung ist oder zumindest zu diesem Teil gehört. Aber welchen Wert hat schon die Wahrheit im postfaktischen Zeitalter? Was bringt es mir, wenn in wenigen Tagen die nächste Verschwörungstheorie ihre Runde macht, die nächste Behörde der Propaganda bezichtigt wird, und ich beweisen kann, dass 2017 nicht anders als 2016 ist?

Viel lieber hätte ich Verständnis. Verständnis dafür, dass wir hier nur unsere Arbeit machen, dass meine Kollegen ihren Arbeitstag nicht mit einer Telefonkonferenz mit Angela Merkel (CDU) und Herbert Zapf beginnen, in der uns die Bundeskanzlerin vorgibt, welche Fragen wir im Interview mit Zapf stellen werden und welche Antworten er uns geben wird. Die Zuwanderung bringt Probleme, keine Frage, und diese Probleme müssen wir angehen. Auch die Justiz wird ihren Teil dazu beitragen. Aber das Riesaer Amtsgericht wurde nicht erst wegen der Flüchtlinge erbaut.

Diese Woche kann wohl kaum hoffnungsvoller werden.