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Das gebrannte Kind

Ein Foto aus dem Vietnamkrieg machte sie weltberühmt. Nun bekam Phan Thi Kim Phuc den Dresdner Friedenspreis.

Von Maximilian Helm
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Kim Phúc Phan Thi spricht am 12. Februar 2019 in der Dresden International School. Das Kriegsbild des weinenden schwer verletzten Mädchens aus dem Jahr 1972 hat sich bei vielen Menschen fest eingeprägt.
Kim Phúc Phan Thi spricht am 12. Februar 2019 in der Dresden International School. Das Kriegsbild des weinenden schwer verletzten Mädchens aus dem Jahr 1972 hat sich bei vielen Menschen fest eingeprägt. © Robert Michael

Der Asphalt ist brüchig, im Hintergrund werden Feuer und Rauch eines Bombardements sichtbar. Soldaten laufen, Kinder rennen vor dem Inferno davon. Ein Mädchen ist nackt, es streckt die Arme vom Körper weg und rennt blind geradeaus. Das geschah 1972, ein Foto des Fotografen Nick Ut hielt den Anblick fest und ging um die Welt. Es trug seinen Teil zum Ende des Vietnamkrieges bei, indem es der US-amerikanischen Bevölkerung die Schrecken des Krieges vor Augen führte.

Das Mädchen Phan Thi Kim Phuc ist heute 55 Jahre alt. Sie nutzt ihr erlebtes Leid, um weltweit eine Botschaft des Friedens zu verbreiten. An diesem Dienstag ist sie in der Dresden International School zu Gast. Ein kleiner, privater Rahmen, in dem sich die weltbekannte Phan Thi Kim Phuc ganz persönlich und nahbar zeigt. Sie spricht offen, an einigen Stellen sogar schonungslos über ihre Erlebnisse. Als sie in der dritten Klasse war, wurde ihr Dorf bombardiert. Es folgten 14 Monate im Krankenhaus und 17 Operationen. Die vierte Klasse hatte sie verpasst, wollte aber zu ihren alten Freunden in die fünfte. Mit Privatunterricht schaffte sie es. Phan Thi hat mehr zu erzählen als nur Kriegsgeschichten.

Tränen beim Gedanken an Vietnam

Am späten Vormittag versammeln sich schließlich alle Schüler in der Turnhalle. Ein Podium mit Ehrenplatz ist aufgebaut, Kinder und Jugendlichen sitzen auf Stühlen und Tribünen, Kameras klicken. Ein Beamer wirft das Foto an die Wand. Phan Thi Kim Phuc schaut häufig daran vorbei, während sie ihre Geschichte genau erzählt.

Am Tag vor den Bomben war sie mit dem Fahrrad gestürzt, ihre Knie schmerzten. Die Erwachsenen brachten die Kinder zur Sicherheit in einen Tempel, für die Jüngeren eher aufregend als angsteinflößend. Als das Dorf bombardiert wurde, irrtümlich, wie sich später herausstellte, wurden die Kinder aufgefordert, zu rennen. Die neunjährige Phan war nicht so schnell wie ihre Brüder. Sie wurde getroffen, ihre Kleidung verbrannte an ihrem Leib. Blind lief sie die Straße entlang. Dass sie fotografiert wurde, merkte sie nicht.

Während Phan Thi erzählt, ist es still. Doch die Frau kennt die Fragen, die jeder stellen will, es sich aber aus Scham oder Ehrfurcht nicht traut. Ja, es hätte eine Zeit gegeben, in der sie wütend war. Sie dachte, niemand würde sie heiraten wollen, dass sie einfach unnormal wäre und niemals kurzärmlige Hemden tragen könne. Sie ist froh, dass diese Ängste unbegründet waren. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus hätte die vietnamesische Regierung versucht, sie zu instrumentalisieren. Ihr Studium wurde unterbrochen, man zerrte sie vor Kameras. „Ich fühlte mich wie ein Vogel im Käfig“, sagt sie. Nach einem Aufenthalt in Kuba, wo sie auch ihren späteren Ehemann kennenlernte, beantragte sie Asyl in Kanada. Dort lebt sie bis heute. Da meldet sich doch noch eine junge Frau. Sie bittet, auf vietnamesisch sprechen zu dürfen, das sei persönlicher. Sie fragt nach der Verbindung zu Vietnam, ob Phan Thi sich nie gewünscht hat, zurückzukehren und ob ihr die Heimat fehlt.

Phan Thi Kim Phuc kommen die Tränen. An diesem Punkt offenbart die medienerfahrene Friedensbotschafterin: Auch sie hat noch nicht alles überwunden, selbst wenn sie gelassen und im Reinen mit ihrer Vergangenheit wirkt. „Ich würde gern häufiger zurück, aber wegen der Umstände geht das nicht.“, sagt sie. Was dahintersteckt, sagt sie nicht. Möglicherweise ist das Verhältnis zur vietnamesischen Regierung nicht gut. Dafür spricht auch, dass eine von ihr initiierte Bibliothek in ihrem Heimatdorf abgelehnt wurde. Es bestehe kein Bedarf. Nun wird das Projekt in Südindien umgesetzt.

Der eigentliche Grund für Phan Thi Kim Phucs Besuch in Dresden war die Verleihung des Dresden-Preises am Montagabend in der Semperoper. Sie bekam die Friedensauszeichnung für ihr gesellschaftliches Engagement: Phan Thi ist UN-Botschafterin und gründete 1997 eine eigene Stiftung, um Kinder aus Kriegsgebieten medizinisch und psychologisch versorgen zu können. Die Laudatio hielt der Dokumentarfotograf und ehemalige Preisträger James Nachtwey. Er betonte, die Geehrte habe es trotz ihrer Verletzungen geschafft, den Angreifern von einst zu verzeihen. Außerdem würdigte er die Bedeutung des Fotos für den Friedensprozess in Vietnam. Auf der Bühne der Semperoper erlebten die Zuschauer eine Frau, die das Rampenlicht gewohnt ist und vorbereitete Sätze sagt. Sie sprach über das Christentum und über Vergebung. Der Applaus im Stehen hielt lange an und war ehrlich.

Noch etwas offenbart sie den Schülern am Dienstag: Als Phan Thi gefragt wird, was sie ohne das Foto wäre, spricht sie von einem ganz normalen Leben. Mit normalem Job, mit glatter Haut, ohne Trauma. Dabei liegt Sehnsucht in ihrer Stimme. Sie steht auf den großen Bühnen der Welt und sagt immer wieder, dass sie einfach nur eine normale Frau sei.

Für die meisten aber wird sie das wohl niemals sein. Sondern „das Mädchen auf dem Foto“ bleiben. Und damit eine Inspiration für viele Menschen, die sich den Frieden ebenso sehr wünschen wie sie.