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Das Geschäft mit dem Mythos

Der legendäre Ironman Hawaii ist Teil einer Vermarktungsmaschinerie, hinter der ein chinesischer Mischkonzern steht.

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© dpa

Von Frank Hellmann

Seit Tagen scheint Thomas Tzschentke auf Wolke sieben durch sein Leben zu schweben. Der IT-Fachmann ist ein besonderer unter 2 000 Startern beim Ironman Hawaii, weil er mitten im Rennen nach deutscher Zeit seinen 53. Geburtstag feiert. „Was kann es Schöneres geben“, fragt er.

Seit Tagen postet der in Frankfurt beheimatete Altersklassenathlet aus dem Triathlon-Mekka Bilder und Kommentare, die sein spezielles Glücksgefühl selbst aus der Ferne erlebbar machen. Ehefrau und zwei seiner drei Töchter sind mitgekommen und hoffen, dass er unter 10:55 Stunden bleibt – und damit noch bei Tageslicht das Ziel auf dem Ali’i Drive erreicht. Tzschentke schwärmt von einem Sport, „der mir Freude, Zufriedenheit und ein gutes Fitness-Gefühl gibt, wo ich meine Form mit der richtigen Planung, Struktur und Strategie stetig verbessern kann und bei dem ich an keine festen Trainingszeiten und -orte gebunden bin“.

Hawaii ist bei seiner mittlerweile vierten Teilnahme auch zu seinem inneren Antrieb geworden. Nur hier entfaltet sich für Triathleten die Magie und Sehnsucht, weil an einem Tag Hölle und Paradies, Traum und Trauma verschmelzen. Weltmeister Jan Frodeno spricht von „einem Ritterschlag“, wer den Satz „You are an ironman!“ hört. Ihn fasziniert, wie die Kombination aus Luftfeuchtigkeit, Hitze und Wind ein „einziges Auf und Ab“ mit tausend Tiefpunkten erzeugt.

Dabei rümpfte der 36-Jährige früher die Nase. Ein Ironman sei ihm nicht dynamisch genug und nur etwas für gescheiterte Kurzstreckler, meinte der Olympiasieger von 2008 einst. Was für ein Trugschluss! „Frodo“ änderte seine Meinung, als er den Spirit selbst vor Ort erlebte. Die Zuschauer feiern gerade auf Big Island den letzten Ankömmling vor Schließung der Ziellinie lautstärker als den Sieger.

Von der bisweilen herrlich anachronistisch anmutenden Abenteuer-Atmosphäre der Anfangsjahre ist natürlich nicht mehr viel geblieben. Alles begann ja mit einer Wette zwischen drei Marine-Offizieren: Die Herren stritten, ob denn der Waikiki Rough Water Swim, das Radrennen rund um die Insel Oahu oder der Honolulu Marathon härter sei. Am besten, man macht alle drei hintereinander – das war die zündende Idee. „Wer auch immer zuerst ins Ziel kommt, wir werden ihn Ironman nennen“, meinte Commander John Collins.

Bei der ersten Auflage am 18. Februar 1978 benötigte der US-Amerikaner Gordon Haller elf Stunden, 46 Minuten und 56 Sekunden. Heute würden sich damit nicht mal mehr die meisten Altersathleten qualifizieren. Wer bis nach Kona kommen will, muss über ein kompliziertes System bei diversen Ironman-Veranstaltungen genügend Punkte sammeln.

Enormer Aufwand, auch finanziell

Das gelingt nur, wer in die Parallelwelt des Extremsports in professioneller Form abgleitet. Wie Tzschentke, der die Vorbereitung seit einem Jahrzehnt als „große Welle“ angeht. Was sieben Monate vorher mit rund sechs Stunden die Woche beginnt, steigert sich kurz vor dem Wettkampf auf weit über 20 Stunden pro Woche. Das Training bestreitet er mit Gleichgesinnten, die akribisch ihre Leistungsdaten abgleichen – und sich über die sozialen Netzwerke gegenseitig antreiben.

Allein der enorme Aufwand eint diese Gemeinde, die fürs Ausreizen der eigenen Leistungs- und Leidensfähigkeit zu fast jedem Investment bereit zu sein scheint. Auch die Medien drehen mittlerweile mit am großen Rad: Die ARD hat vor einer Woche eine Dokumentation über den Hawaii-Mythos gesendet, das ZDF überträgt nun die entscheidende Rennphase ab 0.25 Uhr in der Nacht auf Sonntag live.

Triathlon mit seiner stärksten Marke Ironman auf dem Weg zur geschäftsträchtigen Massenbewegung? Rund 2,5 Millionen sollen es weltweit sein, die fast drei Milliarden Euro in den Markt pumpen. In der Deutschen Triathlon Union sind rund 60 000 Sportler organisiert, bei den verschiedenen Rennen auf deutschem Boden nimmt mehr als eine Viertelmillion teil. Triathlon ist bei Sponsoren hierzulande die sechstwichtigste Sportart.

Denn die Quälerei kostet nicht wenig: Material und Verpflegung, Reisen und Trainingslager. Allein die Rennmaschinen verschlingen kleine Vermögen, dazu die happigen Gebühren. Der Ironman Frankfurt kostet mittlerweile 640 Euro plus acht Prozent Bearbeitungsgebühr – und ist für 2018 wieder ausverkauft. Dasselbe galt für die Premiere des Ironman Hamburg in diesem Jahr. Hawaii kassiert mehr als 1 000 Dollar Startgeld – zahlbar am Tag nach der Qualifikation. Auch das ist also die Wahrheit: Nicht jeder kann sich das Erlebnis leisten.

„Alles in allem kein preiswertes Hobby“, sagt Tzschentke, der einen fünfstelligen Jahresbetrag veranschlagt. Hinter der Vermarktungsmaschinerie steckt der chinesische Mischkonzern Wanda, der sich vor zwei Jahren für sagenhafte 650 Millionen Dollar die World Triathlon Corporation (WTC) einverleibte und damit die Rechte an der Dachmarke Ironman. Die aufsehenerregende Akquisition war Teil einer ausgeklügelten Strategie, ins globale Sportgeschäft einzusteigen. „Wenn man nicht gerade im Fußballgeschäft mitmischt oder in den amerikanischen Profisportarten, ist das der einzige Weg nach vorne“, sagt WTC-Chef Andrew Messick.

Wanda hat unter anderem auch den Sportvermarkter Infront erworben und ist zudem als Topsponsor beim Fußball-Weltverband Fifa eingestiegen, was irgendwo nahelag. Denn für die Sport- und Lifestyle-Sparte zieht eine gewisser Philippe Blatter die Fäden, der Neffe des skandalumtosten früheren Fifa-Präsidenten Sepp Blatter.

Die Wachstumspläne sind gigantisch. Es gibt bereits mehr als 250 Qualifikationsrennen für Hawaii – und eine Liebeserklärung von Tzschentke. „Wir alle hier können demütig und dankbar sein, dass wir gesund sind, dass wir uns qualifizieren konnten, dass wir uns dies alles finanziell leisten können. Und auf Hawaii wird uns irgendwann klar, dass wir hier das Leben feiern.“