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Das Geschäft mit dem Tod

Die Dresdner Forscherin Dagmar Ellerbrock untersucht seit vielen Jahren den weltweiten Kleinwaffenhandel. Ihr Fazit: Es wird immer gefährlicher.

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© Imago/Jochen Tack

Von Jana Mundus

Für viele junge Menschen muss es heute das neueste Handy sein, mit den meisten Funktionen und dem schnellsten Netz. Ende des 19. Jahrhunderts träumte die Jugend von schicken Waffen. „Damals gab es Versandhauskataloge, in denen neben Töpfen oder Bettwäsche auch Kleinwaffen angeboten wurden“, erzählt Historikerin Dagmar Ellerbrock. Da konkurrierte die Beamten-Waffe mit dem Radfahrer-Revolver um die Gunst der Käufer. Pistolen mit schicken Elfenbeinverzierungen mit Modellen samt glänzender Metallnieten am Knauf. „Das war damals wie die Handykultur heute“, sagt die Wissenschaftlerin, die schon seit mehreren Jahren zur Waffenkultur forscht. Sie beschäftigt sich allerdings nicht nur mit ihrer Geschichte, sondern auch mit dem aktuellen Handel von Kleinwaffen weltweit. Der birgt Gefahren.

Dass die Waffen zu Dagmar Ellerbrocks Forschungsleidenschaft wurden, dafür hat ihr Mann gesorgt. Als sie nach einem Thema für ihre Doktorarbeit zur deutsch-amerikanischen Geschichte suchte, schlug er ihr die Waffenkultur in beiden Gesellschaften vor. „Ich war anfangs gar nicht begeistert“, gesteht sie. Doch auch ihre damalige Professorin, die ihre Arbeit betreute, war vom Thema angetan. Zur Waffenkultur und den Gesetzen in den USA war die Quellenlage gut. Doch zur deutschen? Also machte sich Dagmar Ellerbrock auf in die Bibliotheken und fand – erst einmal gar nichts. Mit dem Thema hatte sich bis dato noch keiner beschäftigt. Irgendwann stieß sie in einem Archiv auf Friedrich I. von Württemberg. Von Napoleon als König eingesetzt, wollte er im 19. Jahrhundert seine Untertanen entwaffnen. Das war ein Ansatzpunkt.

Die Waffenliebe junger Männer

„Ausgehend von diesem Erlass fand ich viele historische Dokumente, in denen die Württemberger erklärten, warum sie auf ihre Waffen nicht verzichten könnten.“ Die Wissenschaftlerin bekam so einen Einblick in die private deutsche Waffenkultur im 19. Jahrhundert. Damals wurden Waffen oft getragen: auf Reisen, auf Hochzeiten, bei Volksfesten. Als ab den 1870er-Jahren Waffen industriell hergestellt werden konnten, wuchs ihre Bedeutung weiter. Es entwickelte sich eine Konsumgesellschaft. Vor allem für junge Männer gehörte die Waffe als Statussymbol dazu. Inklusive Duellen, bei denen viele verletzt wurden oder gar ums Leben kamen. Obwohl schon damals erste kritische Stimmen zum Waffenbesitz laut wurden, sahen die Behörden keinen Grund, ihn zu reglementieren.

Das änderte sich Anfang des 20. Jahrhunderts. „Mit Blick auf die Kriminalitätsstatistik wurden private Waffen immer mehr zum Problem.“ Viele Leute hatten Angst und begannen zu protestieren. Erste politische Bestrebungen wurden jedoch mit Beginn des Ersten Weltkriegs ausgebremst. Es galt Kriegsrecht. Erst zehn Jahre nach Kriegsende kam es endlich zum Gesetz. Im Jahr 1928 trat das Reichsgesetz über Schusswaffen und Munition in Kraft. „In seinen Grundzügen gilt es bis heute“, sagt Dagmar Ellerbrock. „Europaweit war das eine sehr frühe Premiere.“

Waffenrecht und gesellschaftliche Entwicklung: Wie beeinflussen sie einander? Wie funktionieren gesellschaftliche Ordnungen und Konfliktlösungen unter verschiedenen waffenrechtlichen Bedingungen? Das interessiert die Historikerin nun schon seit vielen Jahren. Das Thema ist aktuell. Weltweit sterben jährlich viele Menschen durch Kleinwaffen. „Schätzungen gehen davon aus, dass mehr als 875 Millionen weltweit in Umlauf sind“, nennt sie eine Zahl. Doch genau weiß das niemand. „Der Handel mit Waffen ist schwer zu beobachten und schwer zu kontrollieren.“ International hätte sich ein hochgradig tödliches Handelssystem entwickelt. Die Politik interessiert das jedoch kaum.

In Deutschland gäbe es zwar die Regelung, dass Waffen nicht in Krisengebiete geliefert werden dürfen. Realistisch wäre das in den Augen der Professorin allerdings nicht. „Die Umschlagfrequenz dieser Handelsgüter ist sehr hoch. Niemand kann garantieren, dass sie am Ende nicht doch in Krisengebieten landen.“ Auf dem amerikanischen Markt wäre derzeit eine andere gefährliche Entwicklung sichtbar. Dort bieten Privatleute gebrauchte Waffen über soziale Netzwerke wie Facebook an. „Dadurch werden neue Konsumenten akquiriert. Das alles ist unkontrollierbar.“

Mehr Waffen, mehr Gewalt

Das Thema Kleinwaffen-Handel müsse endlich als relevant wahrgenommen werden. „Momentan ist die Strategie des gewollten Nichtwissens aktuell. Das ist gefährlich“, ist Dagmar Ellerbrock überzeugt. Nur weil laut Kriminalitätsstatistik Kleinwaffen in Deutschland kein Problem sind, dürfte die internationale Situation nicht aus dem Blick geraten.

Die Wissenschaftlerin fordert die Politik auf, sich dem Thema endlich zu widmen und beispielsweise Forschungsarbeit auf diesem Gebiet zu finanzieren. Auch wenn das schwierig wird. „Es gibt viel Lobbyismus pro Waffen.“ So hat die US-amerikanische Vereinigung „National Rifle Association“ (NRA) seit einiger Zeit auch einen Ableger in Deutschland. Die NRA befürwortet den privaten Waffenbesitz. „Statistisch steht aber fest: Je mehr Waffen in Privatbesitz sind, desto mehr Opfer von Waffengewalt gibt es“, hält die Forscherin dagegen. Deutschland und die Welt brauchten dringend eine Debatte zum Kleinwaffenhandeln. Ehe es zu spät ist.