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„Das ist keine Lehrerausbildung light“

An der TU Dresden beginnt die berufsbegleitende Qualifizierung für Seiteneinsteiger. Ihnen wird einiges abverlangt. Ein Interview.

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© dpa (Symbolfoto)

Sachsen muss in den nächsten zehn Jahren laut jüngster Prognose jährlich 1 300 bis 1 750 Lehrer neu einstellen. Das Problem: es gibt nicht genügend Kandidaten. Jeweils 40 Prozent der neu eingestellten Lehrer an den Grund- und Oberschulen sind daher sogenannte Seiteneinsteiger. Auch künftig kann auf sie nicht verzichtet werden. Sie werden unterrichten und parallel dazu eine zweijährige berufsbegleitende wissenschaftliche Qualifizierung durchlaufen. Dafür hat das Kultusministerium Vereinbarungen mit den Universitäten geschlossen. Sachsen lässt sich das in diesem und im nächsten Jahr zehn Millionen Euro kosten. Die SZ sprach darüber mit Prof. Axel Gehrmann von der TU Dresden.

Prof. Axel Gehrmann ist Professor für allgemeine Didaktik und empirische Unterrichtsforschung an der TU Dresden .
Prof. Axel Gehrmann ist Professor für allgemeine Didaktik und empirische Unterrichtsforschung an der TU Dresden . © Robert Michael

Herr Professor, die TU Dresden will Seiteneinsteiger für den Lehrerberuf wissenschaftlich fit machen. Wie viele Akademiker starten damit am Montag?

Zunächst beginnen wir mit 30 Seiteneinsteigern aus dem Grundschulbereich. Im Herbst folgen zwei weitere Grundschul-Gruppen und fünf Gruppen von Seiteneinsteigern für die weiterführenden Schularten in den Fächern Deutsch, Mathematik, Informatik, Physik und Wirtschaft/Technik/Haushalt. Bis 2023, so sieht es die Vereinbarung vor, werden allein an der TU Dresden bis zu 900 Seiteneinsteiger wissenschaftlich qualifiziert.

Was heißt das praktisch: Lehrerausbildung light?

Nein. Auf keinen Fall. Die Module für die Ausbildung sind inhaltlich ohne Abstriche an die Lehramtsprüfungsordnung angelehnt. Nur zeitlich ein wenig variiert. Die Personen, die das Kultusministerium zu uns schickt, sind Akademiker. Sie verfügen bereits über einen Hochschulabschluss in einem Fach. Wir qualifizieren sie für ihre Arbeit in der Schule weiter fachwissenschaftlich und fachdidaktisch bzw. – leider nur im Grundschulbereich – auch in Pädagogik und Psychologie. Sie werden in zwei Jahren nicht mit Lehramtsstudierenden gleichgezogen haben. Aber es beginnt der systematische Einstieg. Die TU sieht sich in der Verpflichtung, in einer Situation, in der das Land einen großen Ersatzbedarf an Lehrern hat, die grundständige Struktur mit einem speziellen Programm zu öffnen. Wir haben dafür das Know-how, auch dank der Erfahrungen, die wir mit dem wissenschaftlich begleiteten Pilotprojekt Quer in den Jahren 2012 bis 2014 sammeln konnten. Dabei wurden 40 Akademiker in einem Vollzeitstudium für den Einstieg in den Lehrerberuf erfolgreich fit gemacht.

Das neue Seiteneinsteigerprogramm ist ein Teilzeitstudium. Man kann davon ausgehen, dass den Teilnehmern sehr viel abverlangt wird. Zu viel?

Es ist eine große Herausforderung für die Betreffenden. Jeweils am Montag und Dienstag kommen sie zu uns, von Mittwoch bis Freitag unterrichten sie an der Schule. Das ist anspruchsvoll. Andererseits haben sie den Lehramtsstudierenden die berufliche Praxis sehr schnell voraus. Ich sehe natürlich auch, dass der gesellschaftliche Druck, der auf ihnen aufgrund des Lehrermangels lastet, sehr hoch ist. Hinzu kommt, dass sie zum Großteil Fahrwege zur Uni auf sich nehmen müssen. Sie müssen sich Prüfungen stellen und gleichzeitig Klassenarbeiten korrigieren. Das muss man erst einmal bewältigen. Wir können aber keine Abstriche machen, weil sie eben keine Light-Lehrer sein sollen. Sie sollen sozial akzeptiert werden – von Schülern, Eltern, Kollegen, wissenschaftlich von Lehramtsabsolventen – und natürlich brauchen sie auch aus besoldungsrechtlicher Sicht diese Ausbildung. Ich bin davon überzeugt: Die, die das auf sich nehmen, werden von einer hohen Motivation getragen. Sie verfügen über einen Hochschulabschluss sowie über Lebens- und Berufserfahrung. Davon werden die Schüler profitieren.

Mit welcher Erwartung gehen Sie selbst an die neue Aufgabe heran? Und mit welchen Befürchtungen?

Dass der Bedarf da ist und etwas passieren musste, war seit Längerem klar. Ich bin froh, dass mit dem Rahmenvertrag nun finanziell und personell Planungssicherheit besteht. Was wir jetzt aufbauen, bezeichne ich als atmendes System, dem wir uns mit festen und temporär Beschäftigten stellen werden. Zehn Professuren der TU sind beteiligt. Wir haben Koordinatoren für die einzelnen Fächer, die Gesamtkoordination über das Zentrum für Lehrerbildung, Schul- und Berufsbildungsforschung. Und wir betreten für die Lehrerbildung mit diesem Programm auch neues Terrain, indem wir erstmals mit der Dresden International University kooperieren. Sie unterstützt uns unter anderem logistisch, in ihren Räumlichkeiten im Dresdner World Trade Center werden die Lehrveranstaltungen für die Seiteneinsteiger stattfinden. Und um auf Ihre zweite Frage zu antworten: Befürchtungen hab ich keine.

Lehrerbildung war lange ein Stiefkind in der deutschen Universitätslandschaft. Nun hat der Bund eine Qualitätsoffensive aufgelegt, bis 2019 fließen 500 Millionen Euro. Auch die TU Dresden konnte sich für die Förderung qualifizieren. Wie passt da die Seiteneinsteiger-Qualifizierung hinein?

So ein Programm zu organisieren, mit vielen Akteuren und dies unter öffentlichem und politischem Druck, ist eine Herausforderung. Aber es zeigt auch, man hat das Vertrauen, dass wir das können. Die Qualitätsoffensive gestattet uns, an der Lehrerausbildung innerhalb der TU weiter zu feilen. Von den Erfahrungen, von den Forschungsergebnissen, profitieren auch die Seiteneinsteiger. In der gesellschaftlichen Debatte aber sollten wir nicht versäumen, darüber zu reden, ob die Zahl von 2 000 Studienplätzen in Sachsen absehbar noch ausreichend ist. Ich meine: nein.

Das Gespräch führte Carola Lauterbach.