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Das muss sich Steimle gefallen lassen

Der Kabarettist Uwe Steimle darf unter Umständen als völkisch-antisemitischer Jammer-Ossi bezeichnet werden. Das hat ein Gericht entschieden.

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© Archiv/Sven Ellger

Von Peter Anderson

Wie weit geht Meinungsfreiheit und erlaubt sie in bestimmten Fällen beleidigende Aussagen? Über diese Frage ist am Donnerstagvormittag vor dem Amtsgericht in Meißen verhandelt worden.

Der Anlass liegt mehr als ein Jahr zurück. CDU-Stadtrat Jörg Schlechte verbreitete am 11. September über seine Facebookseite ein Foto, welches ihn zusammen mit Uwe Steimle zeigt. Der Dresdner Kabarettist weilte 2016 mehrmals in Meißen – anfangs zu Dreharbeiten, später privat.

Entdeckt wurde der Schnappschuss von Andreas Vorrath aus Klipphausen, der sich selbst als freier Journalist bezeichnet. Der Umwelt-Aktivist und frühere Mitarbeiter des bündnisgrünen Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi durchsucht akribisch das Netz nach in seinen Augen rechtsextremen Ansichten. Regelmäßig liefert er sich bei Facebook heftige Wortgefechte mit AfD- und Pegida-Anhängern. Christdemokrat Jörg Schlechte zählt zu seinen Intimfeinden. In der Folge teilte Vorrath dessen Foto und ergänzte es mit einem Kommentar: „Völkisch-antisemitischer Jammer-Ossi ... trifft CDU-Rassist in Meißen“.

„Da ist mir dann doch die Hutschnur geplatzt“, sagt Jörg Schlechte am Donnerstag nach der Verhandlung. Er habe in den letzten Jahren sehr viele ehrverletzende Anwürfe ertragen müssen. Als Rassist wolle er sich nicht bezeichnen lassen. Der Meißner verweist auf intensive Freundschaften mit Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und Herkunft. Aus diesem Grund sei es zur Anzeige gekommen. Ähnlich bei Uwe Steimle. Auch er ging mit einer Anzeige gegen Vorrath vor.

Das Recht auf einen Gegenschlag

Im Sitzungssaal 2 des Amtsgerichts am Meißner Neumarkt treffen die beiden Kontrahenten Schlechte und Vorrath an diesem Vormittag ausnahmsweise einmal im richtigen Leben aufeinander. Der Stadtrat sitzt auf einem Besucherplatz. Vorrath erscheint zusammen mit seinem Anwalt Jürgen Kasek, der gleichzeitig Landesvorstandssprecher der sächsischen Bündnisgrünen ist. Dem Angeklagten ist anzumerken, dass ihn die Sache aufwühlt. Seine Stimme vibriert, öfter streicht er sich die halblangen Haare aus dem Gesicht. Seine Verteidigungsstrategie tritt trotzdem schnell klar zutage.

Vorrath möchte, dass sein Kommentar im Zusammenhang mit Aussagen gesehen wird, die sowohl von Jörg Schlechte als auch von Uwe Steimle mehrfach zu hören waren. Er fasse nur zusammen, was diese hätten anklingen lassen. So habe Steimle in der WDR-Sendung Mitternachtsspitzen geäußert: „Wieso zetteln die Amerikaner und Israelis Kriege an, und wir Deutsche dürfen den Scheiß bezahlen?“ Damit greife er ein altes antisemitisches Vorurteil auf, wonach die Juden andere Völker gegeneinander aufhetzten und nach der Weltherrschaft strebten. Bei einer MDR-Riverboat-Talkshow wiederum sagte der Kabarettist auf Pegida angesprochen, er hege für die Dresdner Montagsumzügler „ein zärtliches Gefühl“. Ein Beleg dafür, so sieht es Vorrath, dass Steimle offen mit dieser völkischen Bewegung sympathisiere. Weitere Zitate aus Interviews und Auftritten des Bühnenkünstlers folgen.

Ähnlich die Argumentation des Angeklagten im Fall Schlechte. Bundesweite Aufmerksamkeit hatte der Kommunalpolitiker beispielsweise im Oktober 2016 mit seiner Reaktion auf den tätlichen Angriff eines Flüchtlings gegen einen Richter erregt. „Dem Mann kann geholfen werden“, postete der Christdemokrat und lies einen Verweis zur Internetseite des Meißner Krematoriums folgen.

Nach rund anderthalb Stunden fällte Richter Andreas Poth sein Urteil in der Sache. Er sehe Vorraths drastische Wortwahl durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Sie sei Teil einer politischen Diskussion. Steimle und Schlechte hätten mit ihren eigenen Aussagen wiederholt Vorlagen geliefert, die eine solche Meinung zuließen. „Diese Sichtweise beruht auf einer Reihe von Medienbeiträgen“, so Poth. Gleichzeitig müsse speziell bei Jörg Schlechte berücksichtigt werden, dass dieser zuvor Vorrath als „Feigling“ und „grüne Zecke“ bezeichnet habe. Deshalb könne sich dieser auf ein juristisch verbrieftes Recht zum Gegenschlag zurückziehen.

Kabarettist Steimle kommentierte Urteil und Begründung am Donnerstagnachmittag. In einer Nachricht an die SZ schrieb er: „Ich halte mich als Pazifist an folgendes: Meine Kirche ist der Mensch, meine Religion der Zweifel. Lerne schweigen, ohne zu platzen.“ Zu den Antisemitismus-Vorwürfen verwies er auf eine im Internet freigeschaltete Folge der MDR-Serie Steimles Welt, in der er den 92-jährigen Auschwitz-Überlebenden Justin Sonder interviewe.