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Das Reich lässt grüßen

Die Bundesrepublik ist ein Bluff, sagen die „Reichsbürger“, und geben ihre Ausweise ab – auch in hiesigen Rathäusern.

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© K. Richter

Von Jörg Stock und Britta Veltzke

Riesa. Und wieder grüßt das Reich. Das „Präsidium des Deutschen Reichs“ mit Sitz in Fürstlich Drehna, Südbrandenburg, erlässt im Amtsblatt Nr. 1 die „Anordnung zur Entnazifizierung“. Ausweispapiere der BRD seien „Nazi“-Ausweise. Um die Menschenrechte wiederzuerlangen, solle jeder umgehend seine rechtmäßige Staatsangehörigkeit in einem der Bundesstaaten des Deutschen Reichs annehmen, gemäß Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom Juli 1913. „Sofern Sie dieser amtlichen Anordnung nicht folgen, können Sie sich strafbar machen!“

Unfug aus dem Faxgerät: Das „Präsidium des Deutschen Reichs“ ordnet an, die Ausstellung von „Nazi“-Ausweisen zu unterlassen.
Unfug aus dem Faxgerät: Das „Präsidium des Deutschen Reichs“ ordnet an, die Ausstellung von „Nazi“-Ausweisen zu unterlassen. © SZ/J. Stock

Das Pamphlet ist ein Symptom des Treibens der „Reichsbürger“ – mit konkreten Folgen für die örtlichen Ämter. In Nünchritz hat laut Bürgermeister Gerd Barthold Mitte 2015 jemand seinen Personalausweis abgegeben. Schon aus vorherigen Kontakten sei der Mann der Verwaltung als Reichsbürger bekannt. Und auch in Riesa hat man schon Bekanntschaft mit dem Klientel gemacht: „Meine Kollegen sagen, dass sie das Thema seit etwa zwei Jahren begleitet“, sagt die Referentin des Oberbürgermeisters, Manuela Langer. Etwa sechs Personen seien dahingehend aufgefallen. „Es wurden auch Zahlungen verweigert. Grundsätzlich gilt bei Mahnungen das sächsische Verwaltungsvollstreckungsgesetz. Wenn der Zahlungspflichtige nach der Mahnung innerhalb von einer Woche seine Rückstände nicht bezahlt hat, dann werden die offenen Forderungen zwangsweise eingezogen.“ Das bedeutet: Pfändung.

Die Auftritte von Reichsbürgern werden nicht systematisch erfasst. Daher ist es laut der Sprecherin des Landratsamts Meißen „eher Zufall, wenn sich jemand als Reichsbürger zu erkennen gibt“, erklärt Kerstin Thöns. Nach ihren Kenntnissen ermittele der Verfassungsschutz aktuell in diese Richtung. „Uns begegnen Reichsbürger bei Bußgeldbescheiden, die sie nicht bezahlen wollen und entsprechende Schreiben aus dem Netz herunterladen und an uns senden. Ebenso bei Fragen der Versicherung, bei Geschwindigkeitsüberschreitungen und so weiter.“ Hier komme es nicht selten zu zwangsweisen Stilllegungen von Fahrzeugen bis hin zum Führerscheinentzug. „Nach meinem persönlichen Eindruck wird diese Gruppe größer oder öffentlicher“, so Thöns.

In aller Munde sind die „Reichsbürger“ spätestens seit Oktober 2016, als einer von ihnen einen bayerischen SEK-Beamten erschoss. Von harmlosen Querulanten unterscheiden sie sich durch fixe Glaubenssätze. Der wohl wichtigste: Die BRD ist kein legaler Staat, sondern ein Verwaltungskonstrukt, erfunden nach Kriegsende von den Alliierten, um die Deutschen für dumm zu verkaufen und auszubeuten. Aus dieser Erkenntnis leiten „Reichsbürger“ das Recht ab, sich selbst zu verwalten oder provisorisch die Macht zu ergreifen.

Geläufige Protestform ist es, den Personalausweis irgendwie loszuwerden. „Reichsbürger“ wollen kein „Personal“ der Bundesrepublik sein. Auch halten sie die im Ausweis vermerkte Staatsangehörigkeit „Deutsch“ für gefälscht. Der einzig legitime deutsche Staat ist für die meisten Vertreter der Szene das „Deutsche Reich“ Weimarer Prägung, in dem man Staatsangehöriger eines Gliedstaats war, zum Beispiel des Freistaats Preußen. Erst unter Hitler wurde die einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit verordnet. So ist auch das Fax vom „Reichspräsidium“ zu deuten, wenn es von „Nazi“-Ausweisen spricht.

Jeder braucht einen Ausweis

Wenn deutsche Staatsbürger sowohl ihren Personalausweis als auch ihren Reisepass abgeben, liegt ein Verstoß gegen die Ausweispflicht vor – eine Ordnungswidrigkeit.

Obwohl die Thesen der Reichsbürger reichlich obskur und pseudowissenschaftlich daher kommen: Die Szene wird vom sächsischen Verfassungsschutz im Auge behalten. Seit Anfang Dezember 2016 steht das Reichsbürgertum unter Beobachtung. Laut Sprecher Martin Döring ist das Lagebild noch nicht komplett. Man gehe von rund 500 „Reichsbürgern“ in Sachsen aus, wovon etwa dreißig „Bezüge zu rechtsextremistischen Beobachtungsobjekten“ hätten, etwa zur NPD oder zu neurechten Gruppen wie den „Identitären“. Das Phänomen Reichsbürger zu erfassen, sei deshalb so schwierig, sagt Döring, weil es sich um ein nahezu uferloses Sammelbecken handele. „Es gibt viele Einzelaktivisten und Spinner fernab jeglicher Strukturen, die glauben, sich mit dem Staat ein permanentes Gefecht liefern zu müssen.“ Um klarer zu sehen, hat der Verfassungsschutz ein „Reichsbürgersensibilisierungsschreiben“ an alle Kommunen gesandt. Darin werden die Rathäuser gebeten, Informationen über die Protagonisten weiterzureichen.

Weil die Reichsbürger von den „BRD-Vasallen“ ihrer Überzeugung nach keine korrekten Ausweise erhalten, basteln sie sich, quasi in Notwehr, selbst welche. Dabei sind ihnen „Reichsdruckereien“ im Internet behilflich. Einen Reichs-Personenausweis kriegt man für etwa 30 Euro, ein Reichs-Reisepass, „hundert Prozent Handarbeit“, kostet 90 Euro.

Diese Machwerke werden dann Amtspersonen unter die Nase gehalten, auch Polizisten – „zum Beispiel bei Kontrollen an Grenzen und in Zügen oder Bahnhöfen“, sagt Bundespolizeisprecher Daniel Rackow. „Das sind meist die Härtefälle, die einfach mit so einem frei erfundenen Ausweispapier provozieren wollen.“ Wenn es hart auf hart kommt, werde der oder diejenige zur Feststelle der Identität mit auf die Dienststelle genommen.

Strafrechtlich liegen solche Eigenbauten in einer Grauzone. Weil es die Staaten und Behörden, die in den Ausweisen genannt sind, gar nicht gibt, kann streng genommen auch keine Urkundenfälschung vorliegen. Anders sieht die Sache aus, wenn der aktuelle Bundesadler verwendet wird oder wenn man sich real existierende Amtsbezeichnungen und Titel zuschreibt, etwa Staatssekretär oder Ministerialdirektor. Dann wäre zumindest der Anfangsverdacht von Urkundenfälschung oder Amtsanmaßung gegeben.